30 Jahre Waldheim-Bombetun & lassen

Warum der ORF einen politischen Mitarbeiter ins Archiv versetzte

Die «Panama Papers» ermöglichen weltweit Hunderten von Journalist_innen, die finanziellen Machenschaften von Regierenden bloßzulegen. Vor 30 Jahren wühlten Journalisten, darunter ein Georg Tidl, in Kriegsarchiven, um Licht in Kurt Waldheims versteckte Vergangenheit zu bringen. Von Margarete Endl.

Foto: privat 

Vielleicht hatte Kurt Waldheim vor 30 Jahren ähnliche Gefühle, wie sie heute die Regierungschefs von Island bis Großbritannien haben: das Gefühl, von einem Journalistenmob gejagt zu werden. Angegriffen zu werden für etwas, was man doch mit bestem Wissen und Gewissen gemacht hatte. Oder zumindest ganz legal, nach geltendem Recht. Den isländischen Ministerpräsidenten Sigmundur David Gunnlaugsson haben die Enthüllungen aus den «Panama Papers» bereits seine Karriere gekostet. Am Dienstag vergangener Woche, zwei Tage, nachdem seine geheim gehaltene Beteiligung an isländischen Banken über eine Briefkastenfirma bekannt geworden war, trat er zurück. Nicht gerade freiwillig, sondern aufgrund von Massenprotesten und mangelnder Unterstützung seiner Parteikolleg_innen. Der britische Premierminister findet sich (bei Redaktionsschluss) noch mitten in einem medialen Wirbelsturm. Er ist gerade dabei, sich zitzerlweise Infos aus der Nase ziehen zu lassen, welche Profite er von Papas Steuervermeidungsfirmen gezogen hat.

Noch im Februar 1986 war Kurt Waldheim aussichtsreicher ÖVP-Kandidat für das Amt des österreichischen Bundespräsidenten im Mai jenes Jahres. Waldheim war ein Karrierediplomat. Zehn Jahre lang, von 1972 bis 1982, war er UNO-Generalsekretär. Und seine Frau hieß Sissy. Ideale Voraussetzungen für den Hofburg-Job. Der SPÖ-Kandidat Kurt Steyrer war im Vergleich zu Waldheim weniger weltgewandt, weniger elegant. Doch Anfang März begann ein Strom von Enthüllungen über Waldheims Kriegsvergangenheit – sie veränderten Waldheims Leben und seine Karriere. Und sie veränderten ganz Österreich.

Und so passierte es: Am 3. März veröffentlichte der «profil»-Journalist Hubertus Czernin Waldheims Wehrstammkarte aus dem Zweiten Weltkrieg, aus der hervorging, dass Waldheim ab 1938 Mitglied der SA und des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbunds gewesen war. Ab März 1942 hatte er im Stab des später als Kriegsverbrecher hingerichteten Generalmajors Alexander Löhr gedient. Auf dem «profil»-Titelbild war eine kleine Waldheim-Karikatur, doch die Titelgeschichte lautete: Vorbild Schweiz?

Am 4. März schrieb die «New York Times» über Waldheims Kriegsvergangenheit. In großen Lettern auf Seite eins. «NYT»-Autor John Tagliabue hatte Dokumente aus verschiedenen Archiven, die ihm vom World Jewish Congress zur Verfügung gestellt worden waren, und er hatte Waldheim zwei Tage davor interviewt.

Am 5. März gab der World Jewish Congress, eine in New York ansässige Nichtregierungsorganisation mit imposantem Namen, eine Pressekonferenz über Waldheim.

Für die breite Öffentlichkeit waren die Enthüllungen ein Schock. Einige Politiker und Medienleute waren dagegen nicht überrascht. Seit Wochen hatten in Wien Gerüchte kursiert, dass über Waldheims Kriegsvergangenheit recherchiert wurde. «profil»-Chefredakteur Helmut Voska hatte seinen jungen Reporter Hubertus Czernin gebeten, den Gerüchten nachzugehen. Die profil-Story hatte zwar Aufsehen erregt, doch erst die Anschuldigungen aus den USA lösten ein politisches Erdbeben aus.

Am 8. März, einem Samstag, wurde der ORF-Journalist Georg Tidl frühmorgens vom Telefon geweckt. Er sprang auf. Hob ab. Und hörte einen Schwall von Beschimpfungen. Landesverräter, Sau, was auch immer. Tidl warf sich ins Gewand und eilte zur nächsten Trafik. Dort sah er die Bescherung am Tresen liegen. Auf dem Titelblatt der «Kronen Zeitung»: «Krone» deckt auf, wer «Waldheim-Bombe» gezündet hat. Auf Seite 5 ging’s weiter. Das Rätsel sei nun gelöst. Der linke Historiker Dr. Georg Tidl, freier Mitarbeiter beim «Inlandsreport» des ORF, habe der «Krone» in einem Gespräch von sich aus zugegeben, über Waldheims Vergangenheit in den Kriegsarchiven Europas recherchiert zu haben. Das Material habe er an die Amerikaner weitergegeben.

Der «Krone»-Artikel hatte für Tidl schwerwiegende Folgen. Er wurde von der politischen Berichterstattung abgezogen und ins Archiv versetzt. Erst viele Jahre später durfte er wieder als Journalist arbeiten, doch die ORF-Innenpolitikredaktionen blieben ihm für immer versperrt.

30 Jahre später. Georg Tidl ist in Pension. Und schreibt nun endlich seine Sicht der Dinge, die er 30 Jahre lang aus rechtlichen und beruflichen Gründen nicht sagen wollte oder sagen durfte. «Waldheim. Wie es wirklich war. Die Geschichte einer Recherche», erschienen im Löcker Verlag. Über Tidls Rolle ist in den Veröffentlichungen zur Waldheim-Affäre viel spekuliert worden. In vielen Variationen. Mal habe er für die SPÖ gearbeitet, mal das Material für Geld den Amerikanern verkauft. Tidl selber hat in all den Jahren Interviews abgelehnt, weil er einen bestimmten Menschen, eine Informationsquelle, nicht namentlich nennen wollte.


Tidl sagt aus

Wie war es nun wirklich? Warum hat Georg Tidl begonnen, über Waldheims Kriegsvergangenheit zu recherchieren? Warum hat er sich immer weiter in diese Geschichte verbohrt? Wer hat ihm geholfen? Wer hat ihm den Zugang zu Archiven geöffnet, die damals selbst für Historiker_innen gesperrt waren? Wer hat den World Jewish Congress und die «New York Times» mit Material versorgt? Wer hatte bereits 1971 belastendes Material über Waldheims Vergangenheit? Warum haben Staaten wie Israel oder Jugoslawien darüber geschwiegen? Am 15. April 2016 spricht Georg Tidl darüber in der Arena-Bar (1050 Wien, Margaretenstraße 171, 19.30 Uhr) – über alles, was er weiß, und auch das, was er nicht weiß. Am Podium auch die Autorin Margarete Endl und der Chefradakteur des «Neuen Forum», Gerhard Oberschlick.

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