4. Akt: Also sprach der DachsArtistin

Diese Stadt ist anders eine Häuslbauerfarce

Rita Monaldi und Francesco Sorti, ein Schriftstellerpaar aus Italien, haben sich in einem idyllischen Teil Wiens, am Fuße des Schafberges, ein Haus gebaut. Möglicherweise ist es das Haus, um das es in diesem vierten Teil der Häuslbauerfarce «Diese Stadt ist anders» geht. Möglicherweise ist die Stadt Anderswo nur ein Pseudonym. Möglicherweise heißt der Wohnbaustadtrat dieser Story, Ludwig van Beton, in Wirklichkeit ganz anders. Möglicherweise ist das Fiktionsniveau dieser Geschichte nicht besonders hoch

In einer Ecke unseres Gartens gedeihen einige Gerste-Ähren. Die haben wir mit unseren Kindern gepflanzt, aus Freude, sie wachsen zu sehen. Sobald die Ähren aber reif waren, haben sich Eindringlinge damit vergnügt, diese zu zerstören. Die Ähren wurden, genauer gesagt, gegessen. Der gesamte obere Teil, der mit den Samen, wurde ausgezupft. Sobald neue Ähren wuchsen, haben sie demselben Ende entgegengesehen. Damals haben wir uns nachts auf den Wachposten begeben, um den Täter auf frischer Tat zu ertappen. Eines Abends, als wir lange aufgeblieben sind, um an unserem neuen Roman zu arbeiten, haben wir ein Geräusch gehört. Wir sind heimlich in den Garten geschlichen, ohne das Licht einzuschalten, und wir haben ihn überrascht: Ein schöner Dachs, dick und plump, war im Begriff, die neuen Ähren zu verschlingen. «Halt!», haben wir gerufen. Der Dachs hat sich ohne Eile mit einem ironischen Blick umgedreht. «Und warum?», hat er in perfektem Hochdeutsch gefragt. «Ich bin ein wildes Tier, eines von den echten. Eure Gerste muss vor allem meiner Sättigung dienen, glaubt ihr nicht?» Es war ein Philosophen-Dachs, und er argumentierte gut: Sein Überleben war wichtiger als unser Kurzweil, Gerste anzubauen.

 

Was sagt uns der Tierschützerprozess?

Erstaunt haben wir gefragt: Sprichst nun du, o Dachs? «Sicher rede ich, was glaubt ihr? Wir Tiere hören euch Menschen den ganzen Tag schwätzen. Letztendlich lernen wir etwas dadurch, nicht? Wer sich lediglich aus eigenen Kräften ernähren muss, wie wir Dachse, lernt den Verstand zu schärfen.» Na gut, lieber Dachs, also erlauben wir dir, dich von unserem Garten zu ernähren, wann immer du willst. «So viel währt nicht lange.» Was möchtest du damit sagen, Dachs? «Spielt nicht die Unbedarften. Alle wissen, dass Ludwig van Beton, der Wohnbaustadtrat von Anderswo, euer Haus abreißen lassen möchte. Ich habe das von einem eurer neidischen Nachbarn gehört.» Was weißt du über Ludwig van Beton? «Ich kenne diese Stadt wie meine Westentasche. Ich bin ein Dachs, aber auch wieder kein Dachs! Und ihr sagt mir lieber: Was macht ihr, um das Haus zu schützen?» Wir sind Opfer einer Erpressung, haben wir geantwortet, aber damit beschäftigt sich nun die Staatsanwaltschaft. «Die Staatsanwaltschaft Ha ha ha», hat der Dachs mit einer zynischen Grimasse geantwortet. Er hat sich auf ein Mäuerchen gesetzt, hat in der sicheren Pose eines Weltenkenners die Pfoten gekreuzt und sich eine Zigarette angezündet. Wir haben bemerkt, dass er zwischen seinen Pfoten die aktuellste Ausgabe der berüchtigten Gratiszeitung von Anderswo hielt: «ZUSPÄT Heute die Nachrichten von gestern».

 

«Nun Leute», hat der Dachs gesagt, während er kräftig den Rauch seiner Zigarette gegen das Sternenzelt des Himmels pustete, «haltet euch in erster Linie vor Augen, dass die Staatsanwaltschaft nur heiße Luft ist. Erinnert ihr euch an den Tierschützer-Prozess, an jene Leute, die uns Tiere retten wollten? Die haben sie eingesperrt, geschlagen und gegen sie prozessiert, als wären sie Mafiosi, um dann herauszufinden, dass sie unschuldig waren. Mit den Baupolizisten werden sie das Gegenteil machen: Sie werden sie lossprechen, als wären sie unschuldige Menschen, obwohl sie es verdient hätten, wie Mafiosi behandelt zu werden. Die Justiz, hier in Anderswo, wird lediglich aktiv, um Katastrophen hervorzurufen. Daher vergesst die Staatsanwaltschaft!» Aber die Anschuldigungen gegen die Baupolizisten sind sehr fundiert, haben wir geantwortet, der Staatsanwaltschaft haben wir einen Berg an Beweisen abgeliefert, und während der Befragungen haben sich die Beschuldigten widersprochen «Quatsch! Hört auf mich, ich weiß, was ich sage: Die Justiz wird alle zum Schweigen bringen. Welche sonstigen Ideen habt ihr, um das Haus zu retten?» Na ja, wir haben Einspruch beim Verwaltungsgerichtshof gegen alle Bescheide der Baubehörde erhoben. «Verwaltungsgerichtshof? Aber die sind ja schlimmer als die Staatsanwaltschaft!» Wirklich? Erkläre uns alles, Dachs. Möchtest du vielleicht ein Bier? «Ja, bitte, gut gekühlt. Dieser große Krug passt prima», hat der Dachs gesagt, während er durch die Fenster des Erdgeschosses auf den Tisch unserer Küche zeigte. 

 

Der Klub der Freunde

«Mmmh, wie gut euer Bier schmeckt», hat er nach dem ersten Schluck mit harscher Miene geantwortet, das Glas zwischen den Pfoten. Er ähnelte ein wenig John Wayne: Er war ein Philosophen-Dachs, aber auch ein harter Bursche. «Ihr wisst nicht, wie schwer es für uns Dachse ist, uns im Sommer ein frisches Bier zu beschaffen, die Menschen schenken uns nie etwas. Nun gut, jetzt erkläre ich euch, warum es nichts nützt, zum Verwaltungsgerichtshof zu gehen. Der Chef des Bauamts ist jener Postenjäger namens Ludwig van Beton, stimmts?» Exakt, lieber Dachs, er ist es noch immer. «Also! Und der Chef der Baupolizei ist jener Pfiffikus, Dr. Bautrick der Vierauge, stimmts?» Genau. «Gut. Ich wette, dass ihr, wenn ihr gegen die Bescheide der Baupolizei bei der Autorität zweiter Instanz, der Bauoberbehörde (BOB) von Anderswo, Berufung einlegt, dass eure Einsprüche abgelehnt werden, nicht?»

 

Genau so war es, lieber Dachs: Die BOB hat 14 von 14 abgelehnt, ein olympischer Rekord. «Wer ist euer Referent bei der BOB?» Ein gewisser Rahmweicher, haben wir geantwortet. «Nun gut, meine lieben, arglosen Italiener. Ihr müsst wissen, dass der Dominus für die Bausachen des Verwaltungsgerichtshofes ein angeblicher Aristrokrat, ein gewisser Graf Adolf Rechtsverdreher von Max und Moritz, ist. Dieser ist aber ursprünglich weder Graf noch Richter, sondern ein banaler Funktionär innerhalb der Magistratsdirektion von Anderswo, daher ein Ex-Kollege von Rahmweicher. Darüber hinaus ist er Autor von Büchern, geschrieben mit seinem engen Freund Dr. Bautrick, dem Vierauge, das die ganze Baupolizei dirigiert und dessen Bescheide häufig auf dem Tisch des VwGH landen. Wenn Ludwig van Beton daher einen Gefallen wünscht, kann er mit Bautrick (Baupolizei, erste Instanz) telefonieren, der den Bescheid erteilt und den Kollegen Rahmweicher (BOB, zweite Instanz) anruft, der seinen Freund und Kollegen, den Graf Max und Moritz, anruft (VwGH, dritte Instanz). Es ist wie ein Freundesclub, der sich abspricht und sich um die eigenen Belange kümmert. Daher seid ihr aufgeschmissen. Sie werden irgendeinen Trick erfinden, und euch immer Unrecht geben.»

 

Die Menschen werden aufwachen

Einen Moment, lieber Dachs: Wie kommt es, dass du alle diese Sachen weißt? Du weißt mehr als wir, die wir uns seit vier Jahren mit dieser Geschichte beschäftigen! «Liebe Freunde, wir Dachse sind nachts unterwegs. Das ist unser großer Vorteil. Wir stoßen versteckt in die Gärten der Einzelfamilienhäuser vor, in die Höfe der Zinshäuser, zu den Spielplätzen der Plattenhäuser an der Peripherie. Wir lauschen und erfahren viele Sachen. Leute mit Problemen, wie ihr sie habt, leben und diskutieren nachts. Wir hören zu und haben ein gutes Gedächtnis. Und wir dokumentieren. Ihr Menschen werft eure Zeitungen weg, und wir Dachse finden sie alle am Boden, genau vor unseren Nasen, um sie zu lesen, und sie sind gratis. Ich lese mindestens vier oder fünf Magazine am Tag. Meine Lieblingszeitschrift ist ZUSPÄT Heute die Nachrichten von gestern, die törichte Gratiszeitung, die täglich sechs oder sieben Fotos von Ludwig van Beton veröffentlicht: alles mit Geld gekaufte Werbung.» Entschuldige, Dachs, aber warum sagst du, dass ZUSPÄT deine Lieblingszeitung ist? «Weil sie genauso wie die Gehirne seiner Journalisten funktioniert: Sie beinhaltet nichts Interessantes, aber jedermann kann sie erwerben.»

Dachs, wir sind nicht solche Pessimisten. Auch in Italien, wo die Kriminellen viel geschickter sind als in Anderswo, landet der Täter oft im Häfen. «Ihr habt recht. Wenn wir nicht in Anderswo wären, wären viele eurer Verfolger bereits hinter Gittern. Aber erinnert euch: Pfeift auf die Staatsanwaltschaft und den Verwaltungsgerichtshof, euer Problem ist ein politisches! Richter und Beamte können endlos viele legale Haarspaltereien finden, um ihren Hintern zu retten, und sie werden sie finden. Aber die Geschichte eures Hauses ist und bleibt ein Politikum. Denn in anderen Stadtteilen von Anderswo sind weitere zehn, hunderte, tausende Bauherren wie ihr, gepeinigt von der Baupolizei, weil sie das Schmiergeld nicht bezahlt haben. Die Skandale der Baupolizei zeigen, dass in der Politik von Anderswo Diebstahl, Gaunerei, Lüge und Arroganz regieren. Und wenn die Bürger noch nicht rebelliert haben, dann nur, weil sie nicht jede Nacht vier bis fünf Zeitungen lesen, wie wir Dachse das tun. Aber früher oder später werden die Leute aufwachen. Und das Volk wird diese lächerliche Politikergeneration wegfegen, die sich taumelnd wie Zombies auf den Beinen hält, nur in dem sie Millionen von Euros vergeudet und Werbeseiten in ZUSPÄT Heute die Nachrichten von gestern tonnenweise kauft. Erinnert euch, meine kleinen Italiener: Pfeift auf die Justiz und gebt nicht nach! Ihr seid ein politischer Fall.»

 

An diesem Punkt waren wir berührt. Es schien, als hörten wir Kevin Costner im Finale des Plädoyers des Films «JFK» von Oliver Stone. Nach der Rede hielt der Dachs kurz inne, dann stieß er einen lauten Rülpser aus und drückte die Zigarette auf der Mauer aus. Es war eine filterlose Camel. Dieser Dachs war wirklich ein harter Bursche. Er dankte für das Bier und näherte sich dem Ausgang des Gartens. Zuletzt hat er sich wie ein richtig harter Kerl verabschiedet: Die Zeitung könnt ihr behalten. Ich habe sie schon gelesen.» Nichts sonst. Und er kroch in einen Strauch, um aus dem Blickfeld zu kommen. Wir haben sein Exemplar von «ZUSPÄT Heute die Nachrichten von gestern» aufgehoben. Auf der ersten Seite war das übliche Foto von Ludwig van Beton zu sehen.

Was sagt ihr, liebe Leser_innen, hat der Philosophen-Dachs übertrieben? Oder hat er doch ein wenig Recht?

Übersetzung: Ute Mörtl