5. Akt: Die Bauordnung bin ich!Artistin

Diese Stadt ist anders.

«Oh, du Schöne und Grausame, warum bin ich nicht wie du?» Der Wohnbaustadtrat stand mit nacktem Oberkörper im Bad und sprach mit sich selbst vor dem Spiegel. Am Kinn klebte ihm noch ein wenig Rasierschaum, und er trug die weißen Pyjamahosen mit den kleinen blauen Elefanten, sein Lieblingspyjama, obwohl er ihm etwas zu groß war (das Gummiband an der Hose war ausgeleiert).

Dann brach er in ein hysterisches Gelächter aus: «Ha ha ha ha ha ha ha ha! Du denkst, du hast mich reingelegt, was? Aber da irrst du dich, grausame Athena! Ich werde Bürgermeister! Und du wirst gar nichts mehr sein! Du wirst nach Griechenland zurückgehen und Sirtaki für die Touristen tanzen! Oh ja, und sie werden dir Geldscheine in den Büstenhalter stecken wie einer Striptease-Tänzerin! Ha ha ha ha ha haaaarrrr!» Dann schwieg er keuchend und kniete nieder. Er legte das feiste Gesicht auf den Rand des Waschbeckens und begann leise zu weinen, gelegentlich von Schluchzern geschüttelt

 

Liebe Leser, das Sonderkommando der Flöhe, das wir schon einmal benutzt haben, um uns gegen die Baupolizei von Anderswo zu wehren, konnte einen weiteren spektakulären Coup landen! Wir hatten den niedlichen Tierchen die Privatadresse von Ludwig van Beton verschafft, dem gefürchteten Wohnbaustadtrat von Anderswo, und die Flöhe haben in einer Aktion, die den Marines alle Ehre gemacht hätte, ein Komplott aufgedeckt, das auf diesen Seiten mit einem Exklusivbericht dokumentiert und bewiesen wird.

An einem Dienstag im vergangenen Dezember sind die Flöhe in aller Herrgottsfrühe durch ein Fenster in die Wohnung des Wohnbaustadtrats eingedrungen, und die Entdeckung, die sie dort machten, ist wahrhaft explosiv: Ludwig van Beton hat eine Achillesferse. Der allmächtige Politiker der Partei Tomaten rein! ist besessen von Athena Schmusenreich, der Aktivistin der Ökopartei Erbsen rauf!, die ihm den Posten als Vizebürgermeister weggeschnappt hat. Im Herzen von Ludwig van Beton haben sich Liebe und Hass vermischt und eine gefährliche, heimliche Neurose genährt. Van Beton liebt und hasst, hasst und liebt die schöne Athena, und nie, keinen einzigen Moment lang, weiß er, welches der beiden Gefühle überwiegt. Eine maßlose Sehnsucht, in allem und für alle Welt wie sie zu werden, die schöne Vizebürgermeisterin Athena.

Kaum durchs Fenster in der Wohnung, haben die Flöhe sich ins Bad eingeschlichen, weil sie zu Recht vermuteten, dass Ludwig van Beton um diese Zeit seine Toilette machte. Und so war es.

 

Nachdem der Wohnbaustadtrat aufgehört hatte zu weinen, wühlte er in einer Kommode neben dem Waschbecken und zog ein Foto hervor: Athena Schmusenreich auf einer Party, wo die schöne Griechin lächelnd und tief dekolletiert, eine phantastische Federboa über den Schultern, wie eine berühmte Schauspielerin posiert.

 

Auf das Foto starrend, nahm er sein Handy und wählte eine Nummer. Eine schüchterne, fast bebende Stimme antwortete. Es war Onno Werbungswahn, sein Pressesprecher. «Zu Befehl, Chef!» «Also, Onno, wann erscheint der Artikel gegen die Schmusenreich in der Gratiszeitung ZUSPÄT?» «Wir werden ihn morgen veröffentlichen, Chef. Ich habe soeben den Vorabdruck bekommen. Großartig! Der Reporter hat meine Aufzeichnungen tadellos kopiert: Die Schmusenreich ist faul, sie muss sich noch einarbeiten, sie hat keine klaren Vorstellungen, keine Erfahrung, sie kennt die Gesetze von Anderswo nicht Bei den nächsten Wahlen wird der Sessel des Vizebürgermeisters wieder dir gehören.» «Bürgermeister, du Idiot! Nicht Vizebürgermeister!» Ludwig van Beton zog mit einer Hand seine Pyjamahose hoch, die ihm über die Hinterbacken gerutscht war. «Ach, übrigens, was ist aus dem Artikel über diese zwei Italiener geworden, diese Monaldi & Sorti?»

 

«Der ist heute erschienen, Chef. Hast du die Zeitungen nicht gesehen? Ich hatte sie dir vor die Haustür legen lassen, wie immer.» Ludwig van Beton ging aus dem Bad, lief durch den Flur, öffnete die Wohnungstür, sammelte einen Stapel Zeitungen ein und kehrte zurück. «Warte aha, da. Aber was Idioooot!» «Warum schreist du, Chef?» «Schwachkopf, Hornochse, Armleuchter! Ich hatte dir gesagt, dass ein Artikel GEGEN die beiden erscheinen sollte, nicht für sie!» «Aber Chef, ich habe doch nur deine Anweisungen befolgt »

 

Das Schlimmste, was passieren konnte, war passiert. Mit den praktisch unbegrenzten Mitteln, die ihm das Rathaus von Anderswo zur Verfügung stellt, kauft Ludwig van Beton seit Jahren tonnenweise Propaganda-Werbung in der aggressiven Gratiszeitung ZUSPÄT Heute die Nachrichten von gestern, um sein fettes Gesicht auf jeder Seite zu sehen. Da ihm die Zeitung praktisch gehört, hatte der Wohnbaustadtrat nicht nur befohlen, Dutzende von Artikel gegen Athena Schmusenreich zu veröffentlichen, sondern auch einen gegen Monaldi und Sorti.

Der Schuss ging nach hinten los

Aber manchmal sind sogar die Journalisten von ZUSPÄT eben richtige Journalisten. Wenn sie eine gute Nachricht entdecken, können sie nicht widerstehen und schreiben sie, wie sie ist: bestechend, einfach und mächtig. Statt ein dummes bürokratisches Kommuniqué von Ludwig van Beton, in dem er Roiba, Gangsta und Schummel mitsamt ihren Kollegen Baupolizisten verteidigte, in den Vordergrund zu rücken, hatte ZUSPÄT eine andere Nachricht auf die erste Seite gesetzt: Zwei bekannte Schriftsteller verdächtigten die Baupolizei von Anderswo der Korruption. Die Erwiderung von Ludwig van Beton und ein entschuldigender Satz des Journalisten waren in den Innenteil verbannt, an das Ende des Artikels, den bestimmt niemand gelesen hatte (bei Zeitungen wie ZUSPÄT genügt es, die Überschriften zu lesen). Ergebnis: Statt der Baupolizei zu nützen, hatte der Artikel die gegenteilige Wirkung erzielt.

 

«Du bist ein Esel, Onno, ein verdammter Esel!» «Schicken wir ZUSPÄT eine Gegendarstellung, Chef?» «Quatsch, von wegen Gegendarstellung! Ich selbst habe verlangt, dass dieser Artikel erscheint, verstehst du? Und der Journalist hat meine Worte korrekt wiedergegeben. Was nicht erscheinen durfte, ist das Foto dieser beiden auf der ersten Seite und mit diesem Titel.» «Ja Chef, du hast recht. Aber was sollen wir nun ma »

 

Ludwig van Beton hatte Werbungswahn wutentbrannt abgehängt. «Idiot», zischte er, während er schon die Nummer von Dr. Gerhard Bautrick wählte, dem gerissenen Obertechniker der Baupolizei und einzigen Menschen auf der Welt, der in der Lage war, eine technische Erklärung für jede Schweinerei der Baubeamten zu finden. «Gerhard, ich bins. Hast du ZUSPÄT gelesen? Ein Scheißartikel, ich weiß. Nein, den haben nicht die beiden Italiener ins Blatt gesetzt. Ich war das. Das ist Selbstmord? Deine Leute sind stinksauer? Sie sagen, ich beschütze sie nicht genug?», und an dieser Stelle erbleichte van Beton, weil er sich ausmalte, wie viele Stimmen er verlieren würde. «Schuld ist dieser Schwachkopf Onno, der aber lassen wir das. Ich werde dir gleich eine Erklärung meiner Solidarität mit der Baupolizei schicken, damit deine Leute sich beruhigen. Aber ich warne dich, niemand darf wissen, dass dieser Artikel in ZUSPÄT auf meine Initiative zurückgeht. Niemand, ist das klar? In meiner Erklärung werde ich sagen, dass ich die Aussagen in dem Artikel entschieden zurückweise und verurteile und so weiter und so fort, bla, bla, bla, und vor allem werde ich die beiden beschuldigen, dass sie Bausünder sind, die Schlupflöcher suchen. Was sagst du? Ach, ihr Haus ist sogar kleiner als das bewilligte Projekt und hätten Gangsta, Roiba und Schummel die Bewilligung gar nicht widerrufen dürfen? Ha, ha, ha! Aber jetzt sitzen sie in der Falle, diese beiden italienischen Geizknochen! Hä? Nach der Bauordnung wären wir verpflichtet, erneut zu bewilligen? Und dem Nachbarn von Monaldi & Sorti haben wir gerade ein zusätzliches Stockwerk nachträglich bewilligt, indem wir das Erdgeschoss als Keller durchgehen ließen, und dadurch ist das Haus des Nachbarn jetzt drei Meter höher als angegeben? Du sagst, wenn andere Zeitungen das herausfinden, kriegen sie uns am Arsch?

In diesem Moment fiel Ludwig van Betons Blick wieder auf das Foto von Athena Schmusenreich. Die Hassliebe, zu der die Wut über den verdammten Artikel in ZUSPÄT hinzukam, ließ den Wohnbaustadtrat ausbrechen wie einen kleinen Vulkan: «Schreib dir eins hinter die Ohren, Bautrick: DIE BAUORDNUNG BIN ICH! Und ich habe angeordnet, dass diese beiden Italiener nie wieder eine Bewilligung bekommen!»

 

Ludwig van Beton hängte auch Bautrick kurzerhand ab. Seine Hände zitterten. Er zog sich die Pyjamahosen mit den kleinen Elefanten aus und öffnete einen Schrank. Er zerrte eine himmelblaue Boa, einen roten Minirock, ein grünes Bustier und ein Paar Schuhe mit schwindelerregend hohen Absätzen heraus und zog alles an, von den Schuhen bis zum Bustier. Aus einer Schublade holte er ein Tonbandgerät. Er setzte sich auf den Badewannenrand und schlug die Beine übereinander wie die Schmusenreich auf dem Foto. Endlich fühlte der traurige Bürokrat von Tomaten rein! sich ein bisschen so wie die brillante Aktivistin von Erbsen rauf!. In der Linken das Foto von Athena Schmusenreich, in der Rechten das Tonbandgerät, begann er, mit heiserer Stimme den Brief von Gerhard Bautrick zu diktieren: Sehr geehrter Herr Dr. Bautrick, lieber Gerhard

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