«Du musst ständig in Betrieb sein»Artistin

Illustration: © Silke Müller

Wovon leben Schriftsteller:innen? Anlässlich der Veranstaltung «Prekäres Leben, prekäres Schreiben», die die beiden Autor:innen gemeinsam mit der Armutskonferenz organisieren, beleuchten sie den Literaturbetrieb und die soziale Situation jener, die darin tätig sind.

«Und wie viele Bücher verkaufst du so?» Wer sich als Schriftsteller:in bezeichnet, sieht sich in Gesprächen mit Menschen, die vielleicht gerne lesen, selbst aber in anderen Berufen tätig sind, oft mit dieser Frage konfrontiert. Dabei kommen wir, die, wie man so sagt, vom Schreiben leben, ins Schwitzen: Wir wissen, wie lächerlich gering die Verkaufszahlen unserer Bücher in den Ohren einer Person klingen, die mit dieser Frage auf höfliche Weise herauszufinden versucht, wie erfolgreich bzw. berühmt wir sind und ob wir auch tatsächlich davon leben oder lediglich eine Art erfreuliche, aber brotlose Nebenbeschäftigung betreiben. Allen, deren Bücher sich nicht Tausende oder gar Zigtausende Male verkaufen, sei an dieser Stelle zum Trost gesagt: «Fast neunzig Prozent der derzeit in Deutschland erhältlichen Bücher schaffen keine hundert Stück zu verkaufen.»
Elmar Weixlbaumer, Geschäftsführer des Wiener Goldegg Verlags, präsentiert in seinem Buch Bestseller – Insiderwissen für Buchmarketing entsprechende Daten aus dem Jahr 2018. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Auf die an jene nach den Verkaufszahlen oftmals anschließende Frage – «Wovon lebst du dann?» – gibt es viele Antworten, die je nach sozialer und geografischer Herkunft, nach Alter und Geschlecht variieren. Fest steht, wie es die Literatursoziologin Carolin ­Amlinger formuliert, dass «die Arbeitswirklichkeit von Autor:innen keineswegs ausschließlich im literarischen Feld verortet ist. In diesem Fall erhöbe man die Ausnahme – die hauptberufliche Schriftstellerin, die sich die meiste Zeit der stillen Schreibarbeit widmet und ab und an Lesungen abhält – zur Regel.» Die Regel der Arbeitswirklichkeit von Autor:innen aber ist, mit einer bunten Einkommensmixtur aus Lesungs- und Texthonoraren, Stipendien, Schreibresidenzen und Brotjobs, die bei manchen mehr, bei manchen weniger mit der schriftstellerischen Tätigkeit zu tun haben, irgendwie zu Rand zu kommen. Sofern es nicht, sozusagen von Haus aus, einen nennenswerten finanziellen Polster gibt.

Ständig in Betrieb sein

Im Vorwort zur Anthologie Brotjobs & Literatur schreiben die Herausgeber:innen, dass viele die prekären Arbeitsbedingungen, mit denen sie sich als Schriftsteller:innen konfrontiert sehen, als «Selbstausbeutung» bezeichneten – so individuell die schwankenden Erwerbsverläufe auch seien, sie müssten «als strukturelles Problem erkannt und behandelt werden». Diese strukturellen Pro­bleme betreffen dabei sämtliche Komponenten der Einkommensmixtur. Das Wissen um die eigene prekäre Lebenssituation sei tief in die Biografie vieler Schriftsteller:innen eingeschrieben und präge den Blick darauf, welche Möglichkeiten etwa für medizinische Versorgung, für Alterspension, aber auch für Förderungen und Stipen­dien für eine:n in Frage kommen, betont Ilse Kilic, Schriftstellerin und Präsidentin der Grazer Autorinnen Autorenversammlung (GAV). Die österreichische Subventionspolitik für Literatur sei nicht so schlecht, aber es gebe Kolleg:innen, die nur schwer Fuß fassen könnten in der Förderungsmaschinerie, da diese gewissermaßen eingezäunt sei: «Zäune zu überklettern ist nicht jederfraus, nicht jedermanns Sache zu jeder Zeit.» Bei jeder Einreichung für ein Stipendium müsse eine:r bereit sein, sich in unmittelbare Konkurrenz zu den Kolleg:innen zu begeben, eine Art Leistungsnachweis im Sinne der jeweiligen Ausschreibung zu erbringen und sich einem Urteil zu unterziehen, das für die meisten in Form einer Absage negativ ausfällt. Das alles gelte es zu erlernen und laufend zu bewerkstelligen. «Du musst eigentlich ständig in Betrieb sein, wenn du in diesem literarischen Feld bist.»

Ein Teufelskreis

Die Zäune, die es zu überwinden gilt, um in der österreichischen Literaturförderlandschaft Fuß zu fassen, sind nicht für alle gleich hoch. Auch in diesem Zusammenhang spielen Alter, physische und psychische Verfassung sowie soziale und geografische Herkunft ausschlaggebende Rollen. Wer aus einem anderen Sprachraum kommt, sieht sich mit zwei grundsätzlichen Schwierigkeiten konfrontiert – darauf weist Sarita Jenamani, Schriftstellerin und Generalsekretärin des PEN Austria, hin: Erstens müsse eine:r zunächst alle Informationen zu den jeweiligen Stipendien kennen; zweitens müssten die Einreichformulare und vor allem die Textproben auf Deutsch verfasst sein. Die Sprachbarrieren schlagen sich auch in inhaltlichen und formalen Aspekten nieder: «Europa interessiert sich nicht besonders dafür, was in anderen Ländern geschrieben wird. Daher ist es für Schriftsteller:innen, die von anderen Kontinenten kommen, schwierig, hier ein Publikum zu finden.» Außerdem gebe es fest verankerte ­Stereotype, fügt Aftab Husain, der als «Writer in Exile» aus Pakistan nach Wien gekommen ist, hinzu: «Der Orient wird immer noch romantisiert.» Sarita nickt: «Von uns wird erwartet, dass wir über Flucht und Migration schreiben. Das ist sehr frustrierend: Wenn du das nicht machst, dann hat deine Literatur keinen Wert.» Formal würden die meisten, die in ihrer Zweit- oder einer Fremdsprache literarisch schreiben, auf «kleine» Formen zurückgreifen: «Sehr ­viele Kolleg:innen schreiben Lyrik. Mit Lyrik ist es auch für deutschsprachige Autor:innen schwierig, Geld zu verdienen. Es ist ein Teufelskreis: Wenn du mit deiner Kunst gar kein Geld verdienst, musst du prekären Jobs nachgehen. Das bedrückt auch psychisch. Und wenn du so bedrückt bist, kannst du auch nicht hundert Prozent in deine künstlerische Arbeit geben.» Von dieser Abwärtsspirale weiß auch Gerhard Ruiss, Autor und Geschäftsführer der IG Autorinnen Autoren, zu berichten: «Forcieren Schriftsteller:innen ihre literarische Tätigkeit, verarmen sie, forcieren sie ihre Brotbeschäftigungen, werden ihre literarischen Tätigkeiten zu Begleiterscheinungen ihres sonstigen Lebens, ob als ganz privates Hobby oder steuerrechtlich so eingestufte ‹Liebhaberei›.»

Solidarischer Betrieb

Die letzte ­offizielle Studie zur sozialen Lage von Kunstschaffenden in Österreich zeigt, dass die Hälfte der befragten Literat:innen und Bildenden Künstler:innen im Jahr 2017 nicht mehr als 5.000 Euro ­netto mit ­ihren künstlerischen Tätigkeiten verdienten. Hinzu kommt, dass diese Einkommen unregelmäßig und schwer planbar sind. Die Frage, ob sich seitdem etwas verbessert habe, verneint ­Gerhard ­Ruiss – die Lage habe sich, was literarische Einkommen betrifft, deutlich verschlimmert. Das ­liege ­einerseits daran, dass Hörfunk und Fernsehen sparten, dass Zeitungen eingestellt würden und generell wenig für Buch- und Lesekultur getan würde; andererseits gebe es große Mängel im ­Steuer- und Sozialrecht. Aus Sicht der IG Autorinnen Autoren sollte es eine bessere rechtliche Verankerung geben, die dazu führe, dass nicht mehr über Förderungen, sondern über Kunstfinanzierung gesprochen werde.
Wie könnte ein Literaturbetrieb aussehen, der auf Prinzipien jenseits von Stars, Bestseller und Konkurrenz baut? Ilse Kilic erzählt von ihrem Wunsch, dass sich Kolleg:innen zusammenschließen, um auch finanzielle Engpässe gemeinsam abzufedern: Es wäre eine Art von Literaturgenossenschaft, in der die Einkommen gleich verteilt würden – egal ob Bestseller-Autorin oder eine von den 90 Prozent, die «keine hundert Bücher verkaufen». Wie sich das tatsächlich organisieren und durchführen ließe, bleibt eine Frage, der wir nachgehen wollen. Fest steht, dass wir uns einen solidarischen Literaturbetrieb wünschen, an dem nicht nur jene partizipieren, die es sich leisten können. 

Am Freitag, 25. Oktober, 18 Uhr, sprechen im Depot
Schriftsteller:innen und Vertreter:innen der Armuts­konferenz über prekäres Leben und prekäres Schreiben; in diesem Rahmen wird auch das alternative Regierungsprogramm der Armutskonferenz vorgestellt. www.depot.or.at

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