«Aber den Leopoldi, den musst unbedingt zurückholen»Artistin

Ronald Leopoldi im Gespräch über seinen Vater

Gute Stimmung im zerbombten Wien! Mit diesem Argument wurde Hermann Leopoldi gemeinsam mit Helly Möslein 1947 aus dem amerikanischen Exil zurück in ihre Herkunftsstadt gebeten. Kerstin Kellermann (Interview) und Lisbeth Kovačič (Foto) haben ihren Sohn, den Musiker und Schauspieler Ronald Leopoldi, zum Gespräch getroffen.

Was genau ist eigentlich ein «Klavierhumorist», wie Ihr Vater einer war?

Ein Klavierhumorist ist ein singender Journalist, der das Tagesgeschehen in Musik verpackt und dazu intelligente Texte produziert. Wenn man die Lieder meines Vaters anhört, wie zum Beispiel «Arm, arm sind wir jetzt» oder «Ich bin ein Durchschnitts-Wiener», so ist das eindeutig Journalismus. Es gibt so viele Parallelen zu heute, wie damals den Völkerbund mit dem Äquivalent Europäische Union heutzutage, (singt) «Frisch, auf zum Frühstück, Kaviar wird serviert. Wichtige Dokumente fertigt man dann aus, Ansichtskarten nach Haus.» Oder die lustige Parodie auf die Oper «Hoffmanns Erzählungen» von Jacques Offenbach hieß «Lass’ dir nichts von Hoffmann erzählen». Auf die Melodie der «Ungarischen Rhapsodie» von Franz Liszt gestalteten mein Vater und Arthur Rebner die Parodie «Soiree bei Tannenbaum». In dem Lied wird die in den 20er und 30er Jahren neureiche jüdische Gesellschaft parodiert. «Soiree bei Tannenbaum» musste mein Vater in doppelter Geschwindigkeit spielen und singen, sonst wäre das nicht auf die Schellack-Platte gegangen. Der Text ist kompliziert und muss sehr schnell vorgetragen werden, außerdem ist die ungarische Rhapsodie sehr schwer zu spielen. Beim Gerhard Bronner in der Marietta Bar versuchten viele junge Künstler dieses Kunststück nachzumachen, aber irgendwie ist das sonst niemandem gelungen.

Hermann Leopoldi wurde mit dem ersten Prominenten-Transport in das KZ Dachau deportiert und kurze Zeit später nach Buchenwald verfrachtet. Seine erste Frau Eugenie konnte ihn nach neun Monaten freikaufen, und er emigrierte nach Amerika. Dort lernte er ihre Mutter Helly Möslein kennen, und die beiden spielten sich in die Herzen der Amerikaner_innen. Wie gestalteten sich die Umstände der Rückkehr nach Wien?

Die Wiener Politiker Viktor Matejka und Felix Hurdes wollten unbedingt, dass mein Vater wieder nach Wien zurückkehrt. Mir erzählte Matejka, er wollte eigentlich alle jüdischen Künstler zurückbringen. Aber andere Politiker in der Regierung haben sich dagegen verwehrt. «Aber den Leopoldi, den musst du unbedingt zurückholen», sagten sie zu Matejka, «denn der macht eine gute Stimmung in unserem zerbombten Wien.» Das muss man sich einmal vorstellen: Sein Bruder Ferdinand wurde durch die Gestapo-Verhöre am Morzinplatz bis zu seinem Schlaganfall gefoltert, der 1944 zu seinem elendiglichen Tode führte. Im Gegensatz dazu wurde mein Vater nach den KZs und dem Krieg in Wien sehr hofiert. Daher war es mir ganz besonders wichtig, die Kompositionen von meinem Onkel Ferdinand in die beiden Bände «Leopoldiana. Gesammelte Werke von Hermann Leopoldi» aufzunehmen. Elf Nummern habe ich gefunden, aber vielleicht taucht irgendwo noch etwas auf.

Auf welche Weise hat sich diese aufregende und zum Teil schreckliche Lebensgeschichte Ihrer Eltern auf Sie übertragen?

Mich regen Ungerechtigkeiten wie die lange verhinderte Rückgabe des Porträts von Adele Bloch-Bauer, genannt «Die goldene Adele», von Gustav Klimt sehr auf. Die Nichte Maria Altmann erhielt das Bild erst nach acht Jahren juristischen Kampfes zurück. In Los Angeles habe ich 2015 den Film «Die Frau in Gold/Woman in Gold» gesehen und konnte nächtelang nicht schlafen, weil mich das so aufgeregt hat, wie man sich in Österreich so benehmen kann.

In Los Angeles gab es Standing Ovations für den Film. In Österreich leider wenig Publikum und keine Standing Ovations im Kino. Ich bin der Auffassung, diese Berichte zur NS-Zeit gehören in die Schulen. Im Wiener Goethe Gymnasium wurde vor kurzem ein Theaterstück über den von meinem Vater komponierten und von Fritz Löhner-«Bedda», dem Librettisten von Franz Lehár, getexteten «Buchenwälder Marsch» aufgeführt. Die Schüler waren sichtlich beeindruckt, solche Theateraufführungen gehören ausgebaut. «Buchenwald, ich kann dich nicht vergessen, weil du mein Schicksal bist. Wer dich verließ, der kann es erst ermessen, wie wundervoll die Freiheit ist.»

Zur ehemaligen Wohnung meines Vaters in der Wiener Marxergasse und über die gesamte verschwundene Einrichtung, wie auch den Bösendorfer Konzertflügel, gibt es nicht einmal einen Akt. Es ist alles weg. Als mein Vater nach Wien zurückgekommen ist, meinte er nur, er will nichts damit zu tun haben und nichts davon hören. Irgendwann in den 90er Jahren saß ich am Abend in meinem Büro in der Servitengarage, da läutet auf einmal das Telefon. Ist jemand am Apparat, der fragt, sind Sie der Leopoldi? Bitte, was kann ich für Sie tun? Wir haben ein Geschäft auf der Wiedner Hauptstraße, in dem ist ein Teppich von Ihrem Vater drin. Wenn Sie wollen, können Sie kommen und ihn kaufen, weil wir geben das Geschäft jetzt auf. Danke vielmals, ich werde mir das überlegen, sagte ich und habe aufgelegt.


Literaturtipps:

Hans Weiss und Ronald Leopoldi: In einem kleinen Cafe in Hernals. Hermann Leopoldi & Helly Möslein, eine Bildbiographie

Edition trends 1992, 157 S.

Ronald Leopoldi (Hg): Leopoldiana. Gesammelte Werke von Hermann Leopoldi und 11 Lieder von Ferdinand Leopoldi

2 Bände, Beiträge zur Wiener Musik, Wiener Volksliedwerk

Georg Traska, Christoph Lind: Hermann Leopoldi/Hersch Kohn. Eine Biografie

Mandelbaum 2012, 288 S.

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