Nach deutschem Vorbild hat sich in Österreich ein Bündnis aus Beschäftigten im öffentlichen Nahverkehr und Klimaschützer:innen gebildet. Der Name «Wir fahren gemeinsam» ist dabei Programm.
Es ist ein klares Statement, das Gregor Stöhr, Ersatzbetriebsrat beim Busunternehmen Dr. Richard in Niederösterreich, zur von linken Gruppen organisierten Mayday-Demo am 1. Mai in Wien mitgebracht hat: «Wir fahren gemeinsam! Und wenn es sein muss, dann streiken wir auch gemeinsam!»
Stöhr ist einer von 15.000 Busfahrer:innen, die vor allem im ländlichen Raum und in städtischen Außenbezirken den öffentlichen Nahverkehr am Laufen halten. Man erkennt ihn meist von Weitem an seinem weißen T-Shirt. «Streikbereit» ist darauf zu lesen, sowie das Logo seiner Gewerkschaft, der Verkehrs- und Dienstleistungsgewerkschaft vida. Außerdem die Schriftzüge der Organisationen Fridays for Future und System Change, not Climate Change. Und ganz in der Mitte, auf der Brust, in großen Buchstaben das Motto, welches Gregor Stöhr so oft auf den Lippen führt: «Wir fahren gemeinsam».
Ideenimport
Die Kampagne ist eine simple Idee mit einem großen Vorbild aus Deutschland. Dort hat sich in den vergangenen Jahren das Bündnis «Wir fahren zusammen» zwischen der Klimabewegung und der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) entwickelt. Als dort vor einigen Monaten in über 70 Städten die Kolleg:innen des öffentlichen Nahverkehrs im Rahmen der Tarifrunde «Nahverkehr 2024» streikten, gingen vielerorts auch Klima-Aktivist:innen mit ihnen auf die Straße und besuchten Streikposten, um die Forderung nach einer gerechten Verkehrswende in Deutschland zu unterstützen.
Während das deutsche Bündnis schon mehrere Jahre existiert, hat die österreichische Kampagne, die mit «gemeinsam» statt «zusammen» im Namen das Vorhaben präzisiert, erst einige Monate auf dem Buckel. Dabei geht es um eine einfache Prämisse: Der für einen sozialen und ökologischen gesellschaftlichen Umbau nötige Ausbau des öffentlichen Verkehrswesens wird nicht ohne gute Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten funktionieren. Aufgrund schlechter Arbeitsbedingungen sind Busfahrer:innen in Österreich auf der Liste der Mangelberufe. Das bedeutet: Wenn heute zusätzliche neue Busse angeschafft würden, gäbe es längst nicht genügend Arbeitskräfte, um diese auch zu fahren. Schon seit Monaten wird in Österreich der Kollektivvertrag für Busfahrer:innen in privaten Busunternehmen neu verhandelt. Die Gespräche gestalten sich schwierig. «Die Arbeitgeberseite sagt uns immer, dass sie offen für Reformen sind, verlangen aber gleichzeitig Kostenneutralität», sagt Gregor Stöhr. «Das kann sich aber niemals ausgehen.»
Unwürdige Arbeitsbedingungen
Rund 200 private Busbetriebe gibt es in Österreich, die vor allem am Land und in den Randzonen von Städten Buslinien im Auftrag von Kommunen und Bundesländern betreiben. Die Arbeitsbedingungen gestalten sich oft haarsträubend. Zwölf-Stunden-Arbeitstage sind keine Seltenheit. «Wir fahren vier Stunden durch, dann haben wir eine halbe Stunde Pause. Meistens gibt es aber keine Pausenräume, und keine sanitären Anlagen. Das bedeutet, dass die Fahrer:innen ihre Notdurft im öffentlichen Raum verrichten. Das regt dann natürlich die Passant:innen auf.» Im Zeitalter sozialer Medien kann das für die Fahrer:innen entwürdigende Konsequenzen haben. So kursieren von entrüsteten Passant:innen gefilmte Online-Videos von Fahrer:innen, die an einem Baum in der Nähe der Endhaltestelle ihrer Linie urinieren. Zusätzlich berichtet die Gewerkschaft vida davon, dass vor allem im Winter öfters Geldstrafen verteilt werden, weil Fahrer:innen während der Pause zwecks Beheizung den Motor ihres Busses laufen lassen, um es warm zu haben. Das ist aber laut österreichischem Kraftfahrgesetz strafbar.
«Für mich liegt voll auf der Hand, dass es für eine Mobilitätswende in Österreich bessere Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten braucht», sagt Teresa Tausch von Fridays for Future in Österreich. Sie ist eine jener Aktivist:innen, die über Monate hinweg den Kontakt mit der Gewerkschaft und den Busfahrer:innen aufgebaut hat. Gemeinsam mit Gregor Stöhr ist sie auf der Mayday-Kundgebung aufgetreten. Über die Ursprünge der Kampagne erzählt sie: «Wir hatten im letzten Jahr einen Infostand beim Kongress des Österreichischen Gewerkschaftsbundes (ÖGB). Da kam der Markus Petritsch, Fachbereichsleiter der vida für die Straße auf uns zu. Er hat uns gesagt, wie katastrophal die Arbeitsbedingungen für die Busfahrer:innen sind. Es folgten Vernetzungsgespräche und eine Einladung zu einer Betriebsrätekonferenz. Es gab anfangs viele Vorurteile gegen Klima-Aktivist:innen. Aber gleichzeitig haben sie gesagt, wie schlecht es ihnen auf der Arbeit geht, und dass sie Unterstützung brauchen.»
Bewusstsein, Begeisterung, Erfolge
Über viele Einzelgespräche mit Fahrer:innen sei es inzwischen gelungen, Vorurteile abzubauen und Beziehungen mit Fahrer:innen aufzubauen. «Inzwischen reden auch viele Fahrer:innen von der Mobilitätswende. Man merkt, dass sie sich zunehmend darüber bewusst werden, wie wichtig ihr Beruf eigentlich ist, und dass sie dafür gute Arbeitsbedingungen verdienen.»
Auch Gregor Stöhr gibt gerne zu, zu Beginn nichts mit Klima-Aktivismus anfangen haben zu können. «Ich habe auch von der Vorbild-Kampagne in Deutschland nichts mitbekommen. In den Medien war nichts zu lesen. Aber als die jungen Klima-Aktivist:innen auf der Betriebsrätekonferenz waren, war das ein großes Aha-Erlebnis. Beim Reden kommen die Menschen zusammen.» Inzwischen ist er von den Aktivist:innen rundweg begeistert. «Wir hatten bei den Kollektivvertragsverhandlungen immer Probleme damit, in die kleinen Betrieben reinzukommen. Wenn wir einen Arbeitskampf führen wollen, müssen wir dafür möglichst viele Kolleg:innen erreichen. Das machen die Klima-Aktivist:innen. Sie gehen zu den Bahnhöfen, reden mit den Fahrgästen und mit den Fahrer:innen. Das ist eine unschätzbare Arbeit von System Change, not Climate Change. Was mich besonders begeistert, ist, dass die das ehrenamtlich machen.»
Neben der Forderung nach Pausenräumen und kürzeren Fahrzeiten, wollen die Busfahrer:innen unter anderem auch eine bessere Anerkennung von Berufserfahrung und Vordienstzeiten. «Die Verträge für die Busfirmen laufen auf acht bis zehn Jahre», sagt Gregor Stöhr. «Wenn danach ein anderes Busunternehmen die Ausschreibung für eine Busroute bekommt, werden die Fahrer:innen zwar in der Regel übernommen, aber die Vordienstzeiten werden nicht angerechnet. Sie fangen wieder in einer niedrigen Gehaltsstufe an. Wir wollen schnellere Gehaltssprünge, Sonntagszuschläge und Verbesserungen bei den Nachtzuschlägen.»
Regelmäßige Aktivist:innentreffen wurden etabliert, an denen auch Fahrer:innen aus den Betrieben teilnehmen. Im Mai fand ein erstes Aktivist:innentreffen in Oberösterreich statt. «Ich danke den jungen Klima-Aktivist:innen», so das Fazit von Gregor Stöhr. «Ich weiß, wie trostlos es für junge Menschen aussieht. Wir atmen alle dieselbe Luft, und das Klima geht uns alle an. Busfahren im öffentlichen Verkehr ist der grüne Job schlechthin. Ich will bessere Arbeitsbedingungen. Und ich will, dass meine drei Kinder eine lebenswerte Zukunft haben.»
Der durch die Kampagne erzeugte Druck scheint erste Wirkung gezeigt zu haben. Anfang Juni gab es Bewegung auf der Arbeitgeber:innenseite. Die Busunternehmen stimmten unter anderem einer Anrechnung von Vordienstzeiten von maximal zehn Jahren zu. Für die Kampagne kann das nicht mehr als ein kleiner Anfangserfolg sein. Für die weitere Arbeit sieht sie sich gut aufgestellt.