Abriss und Neubau einer Döblinger Spelunkevorstadt

Das Tüwi zieht um – jetzt aber wirklich!

Fast ein Vierteljahrhundert lang residiert das selbstverwaltete Tüwi schon im Cottageviertel.  Im April soll das Haus abgerissen werden. Lisa Bolyos (Text und Fotos) hat «Aktüwist_innen» zum Gespräch über eine vergangene Ära, den zweifelhaften Charme eines Neubaus und das Betreiben eines alternativen Beisls mitten in Döbling getroffen. Und ist dabei selbst ein bisschen nostalgisch geworden.Ob die Gründung des Tüwi auf eine Besetzung zurückgeht oder besser als Übernahme einer Konkursmasse gewertet wird (die Mensa an der Universität für Bodenkultur musste aufgeben, für eineinhalb Millionen Schilling übernahm der Verein Tüwi den Standort) – schon da scheiden sich die Geister. Auch, ob nun das Jahr 1985 (Gründung des ersten «Tüwi-Vereins») oder das Jahr 1995 (Übernahme des Beisls) als Geburtsstunde gilt, weiß niemand eindeutig zu beantworten. Fest steht, mitten im Treiben einer der konservativsten Universitäten des Landes hält sich seit einem knappen Vierteljahrhundert eine linke Spelunke, ist gut frequentiert und gibt nicht auf – selbst wenn man ihr das Haus wegreißt.

Ich treffe drei der rund sechzig «Tüwis» im dazugehörigen Hofladen in der Peter-Jordan-Straße, der direkt an das Gastrolokal anschließt. Ein Bioladen im 19. Bezirk ist eigentlich nicht weiter verwunderlich, dieser hier wurde 2006 aber tatsächlich durch Besetzung angeeignet – ohne großes Aufsehen zog man in die Räumlichkeiten der ehemaligen Kindergruppe ein, baute Regale und Kontakt zu Lieferant_innen auf und öffnete die Pforten.

Dass die Kindergruppe wiederum vor zehn Jahren auszog, ist bereits Teil der endlosen Schleife angekündigter und nicht wahrgenommener Abrisstermine: Sucht man die Wiener Medienlandschaft nach «Tüwi» ab, so findet man eine Abrissdrohung nach der anderen. Seit mehr als fünf Jahren, sagt Michi Kovar, Geschäftsführer des Vereins, sei – jetzt aber wirklich! – die Rede vom großen Finale. Insofern bewahren die «Tüwis» auch angesichts der aktuellen Abrissankündigung Mitte April einigermaßen kühle Köpfe: «Es gibt überhaupt keinen Anlass, dass wir beim offiziellen Termin ausziehen.»

 

Absehbares Ende eines langen Kampfs

 

Die Kämpfe um das (oder «den», auch darüber ist man sich nicht einig) Tüwi haben viele Konjunkturen hinter sich. Mal war dieses Nest widerständiger studentischer Praxis einem konservativen Rektorat ein Dorn im Auge, mal ging es um den noblen Standort, mal wurden die Klagen der lärmbelästigten Nachbar_innen zu laut. Wobei es die, so Kovar, schon seit Jahren nicht mehr gebe – man ist sich einig geworden.

Das Namenskürzel «Tüwi» kommt vom Türkenwirt, der hier vorher seinen Standort hatte. Vor kurzem erst sei eine Kundin im Hofladen gewesen, die zu Studienzeiten ihres Bruders noch im alten Türkenwirt übernachtet hätte, erzählt Lukas, der im Hofladen arbeitet. «Leich’ schaun», nennt Michi Kovar das: Leute, die kommen, um dem Abrissobjekt Good-bye zu sagen. Zur Abrissfeier im April hat sich im Übrigen auch schon ein prominenter Zeitzeuge angekündigt: Landeshauptmann und Doch-nicht-Bundespräsident Pröll hat, so will es Mythos oder Wahrheit, in diesem Haus seine Angetraute kennengelernt – es gehörte anno dazumal deren Mutter. Vielleicht hilft der Abriss ja zumindest, ein paar Geister auszutreiben.

Einmal wäre das ganze Baustellenprojekt beinahe an der Solidarität der zuständigen Stadträtin gescheitert. In Verhandlungen zwischen Universität, Stadt und BIG brachte Vassilakou die Frage ein, die alle zum Zittern brachte: «Was sagt eigentlich der Tüwi dazu?» Woraufhin Vizerektorin Reithmayer die «Aktüwist_innen» darum bat, «ihr etwas Schriftliches mitzugeben». Sodass, in Anbetracht der finanziellen Unmöglichkeit, das Haus zu sanieren, die Tüwis selbst den Abriss des Tüwi genehmigten: «Wir haben geschrieben, dass wir in langen Gesprächen zur Überzeugung gelangt sind, dass ein Neubau die einzige Möglichkeit für einen langfristigen Fortbestand des Tüwi ist.» Gregor, der sich kurz zu uns dazusetzt, ist immer noch nicht ganz überzeugt von der Entscheidung. Hätte man aber abgelehnt, hätte die Universität das Gebäude in absehbarer Zeit der Bundesimmobiliengesellschaft (BIG) zurückgegeben, meint Michi Kovar. Auch wenn er die Neubaupläne durchaus als «eine Entscheidung für die Bauindustrie» betrachtet. Die geplanten Kosten von fünf Millionen in der ersten Verhandlungsrunde haben sich mittlerweile mehr als verdoppelt.

Trotzdem verursacht es Stirnrunzeln, wenn man in den Blogeinträgen diverser Denkmalschützer_innen von «Vernichtung der Gründerzeit-Bausubstanz» liest – so einfach ist die Sache auch wieder nicht. Das Gebäude des «Türkenwirts» ist innen verbaut und verschachtelt und müsste vollkommen entkernt werden, um als Universitätsgebäude genützt zu werden. «Schon allein der Arbeitnehmerschutz verlangt die Umbauten», sagt Michi Kovar, außerdem brauche die Universität einen größeren Hörsaal, der zukünftig im gleichen Gebäude sein wird. Und selbst als treue «Ehemalige», die hier die schlechtesten Konzerte und gleichzeitig die besten Feste miterlebt hat und bis heute tapfer den angebotenen Filterkaffee schluckt, aus reiner Solidarität!, kommt man – auf die Gefahr hin, spießig zu sein – nicht umhin, sich das neue Tüwi auch ganz gut mit einer Küche vorstellen zu können, über deren steile Stiegen man nicht zu stolpern droht, und einem Plenumsraum, der nicht mehr im staubig-feuchten Keller liegt. Einen ökologisch wertvolleren Bau erwartet sich auch Lukas, und Gregor denkt, dass trotz cleaner Räume und Überwachungskameras (wer hat die eigentlich zu verhindern vergessen?) eine neue Chance kommt, «die Türkenschanze wieder zu einem coolen Raum zu machen». Und freut sich darauf, wenn der Umzugsdruck endlich Geschichte ist. In der Tat ist es bewundernswert, dass ein Verein mit fast sechzig Aktivist_innen und hoher Fluktuation («Heute gilt man nach zweieinhalb Jahren schon als ‹Alttüwi›», lacht Kovar. Die massiv verkürzten und verschulten Studienpläne haben eben auch ihre Auswirkungen auf die Biographien der aktiv Beteiligten) solche langen und harten Verhandlungen durchhält; ihm gegenüber sitzen immerhin Vollzeitbedienstete der BIG.

 

Ein Swimmingpool voll Renitenz

 

«Nachdem das Tüwigebäude seit gefühlten Jahrhunderten abgerissen werden soll», liest man auf der Website des Vereins, habe man jetzt den Fortbestand vertraglich mit der Hochschüler_innenschaft gesichert – deren Flächen sind es nämlich offiziell, die das Tüwi bespielt. Die großen, schönen Bäume im Tüwigarten werden dem Neubau weichen. Das Tüwi wird zum Kellerlokal, mit einer vier Meter versenkten Freifläche: «Das schaut aus wie ein Swimmingpool», meint Michi, «wir müssen ihn nur mit Wasser anfüllen.»

Von Abriss bis Bauende sind zwei Jahre veranschlagt. Diese prolongierte Übergangszeit soll das Tüwi in Containern auf der anderen Straßenseite, haarscharf an der Grenze von Döbling und Währing, verbringen. Übergangslösungen sind an der Universität für Bodenkultur ohnehin Normalität: Auf einem Durchgangsweg zwischen Peter-Jordan-Straße und Hart­äckerstraße wurden 1993 als vorübergehende Lösung für die universitäre Raumnot Baracken errichtet – doppelstöckige Hütten, die an hässliche Urlaubspavillons oder schicke Baustellencontainer im Vorarlberger Stil erinnern. Der Weg, der als Straße gewidmet ist, wurde damit – nur kurzfristig, versprochen! – zum Gehweg. Eigentlich ganz sympathisch. Die Baracken stehen bis heute da. Sie beheimaten Universitätsinstitute, Krabbelstube (die, wir erinnern uns, vor zehn Jahren aus dem alten Türkenwirtgebäude ausgezogen ist, weil es «jetzt gleich» abgerissen würde) und die Mensa der Universität. In die Holzverkleidung hat man das Kürzel «BOKU» gefräst, um Missverständnissen vorzubeugen.

Auch andere architektonische Anekdoten erzählt man sich an der Boku, zum Beispiel die vom «Rosthaus», einem riesigen Institutsgebäude, das 1974 aus korrodierendem Stahl gebaut wurde (die Architekten bekamen dafür im Jahr 1976 den «europäischen Stahlbaupreis»). «Dazu gesellte sich ein Asbest-Problem», schreibt das Architekturzentrum Wien. Mitte der 1990er Jahre wurde der «Meilenstein der Architekturgeschichte» (BIG) zugesperrt, um Gesundheit und Leben der land- und forstwirtschaftlichen Akademia nicht zu gefährden, 2004 wurde schließlich generalsaniert. Den Wettbewerb zum Tüwi-Neubau hat ein Dornbirner Büro gewonnen. Wenig überraschend stehen große Glas-Holz-Kästen auf der Agenda.

Ein Vierteljahrhundert lang war das Tüwi Hort widerständiger Kultur. Hoch oben in den Hügeln von Döbling haben Generationen von jungen Ahnungslosen aus allen Provinzen des Landes politisch gehen gelernt, Feste gefeiert, die schwarz-blaue Regierung bekämpft, vor Prüfungen gezittert und sich mit klugen Sprüchen auf Klowänden verewigt. «Ich kann mich an Auftritte grottenschlechter Punkbands im Tüwi erinnern, die vor 10 Leuten gespielt haben. Die Stimmung war immer exzellent und allen war’s egal, wie mies die Band eigentlich war», postet ein Besucher auf der Website eines Lokalguides für Wien. Ein anderer kommentiert liebevoll: «Auch die seltsamsten Gestalten mit den verworrensten Ansichten, die hier manchmal zur Tür hereinkommen, werden hier zumindest mit Respekt behandelt.»

Wird es gelingen, einen uncharmanten Neubau ohne Geschichte wieder mit der räudig-freundlichen Kultur zu füllen, die dem Tüwi so eigen ist? Natürlich wird es das. Erst einmal gilt es aber abzuwarten, ob es überhaupt Ernst wird; oder ob auch dieser Text im Archiv der zahllosen Abrissankündigungen landet, die niemals wahr wurden.