Abschaffen? Demokratisieren!tun & lassen

Geschworenenrecht aus der Sicht eines mündigen Geschworenen

Kürzlich war im Augustin viel Skeptisches über LaienrichterInnen zu lesen. Anlässlich einer Diskussion über „Fehlverhalten der Justiz“ hatte Staatsanwalt Walter Geyer darauf hingewiesen, dass Geschworenenprozesse in vielen Rechtsstaaten nicht mehr existierten. Sie seien „generell ein diskussionsbedürftiges Rechtsmittel, weil das Laienurteil zwar einmal durch Berufsrichter aufgehoben und der Fall einem neu zusammengesetzten Geschworenengericht zugeführt werden könne, dieser zweite Laienspruch dann aber in jedem Fall unwiderrufbar sei.“ (Ausgabe Nr. 194) Die Gefahr, dass Laien zu einem Fehlurteil kommen, sei allerdings keineswegs geringer, als jene von Irrtum oder Willkür seitens der Berufsrichter, räumte der Staatsanwalt ein. Im Folgenden ein im Grunde positiverer Blick auf das Geschworenenrecht – und zwei konkrete Prozessberichte des Autors als Geschworener.Wozu Geschworenengerichte? Sie waren, sind und bleiben wohl weiterhin eher im Verruf. Bei den meisten Vertretern der Justiz sowieso. Und erst recht bei den Leuten, die als Geschworene auserwählt wurden. Soll aber deswegen eine wichtige demokratische Einrichtung abgeschafft werden?

Richter, Staatsanwälte und auch Rechtsanwälte argumentieren, dass den Geschworenen die notwendigen Fachkenntnisse fehlten, um überhaupt korrekt urteilen zu können. Die Geschworenen werden aus ihrem beruflichen Alltag gerissen, müssen finanzielle Einbußen hinnehmen und haben aber dafür die schwere Bürde, über das Schicksal anderer Menschen urteilen zu müssen.

Jede/r, der/die einmal ein Verfahren vor einem Geschworenengericht beobachtet hat, wird sich fragen, wozu das denn gut sein soll. Die meistens netten Damen und Herren Geschworenen wohnen den Verhandlungen brav bei, schweigen (dass jemand sich einmal mit Fragen in den Prozess einmischt, ist die ganz seltene Ausnahme!), gähnen, schlafen fast ein oder stricken sogar .

Einspruch, Euer Ehren!

Gehen wir in der Geschichte zurück: Bei fast allen Urvölkern wurde über die Delikte Einzelner (Mord, Diebstahl usw.), die das soziale Gemeinschaftsleben störten, in Vollversammlungen des Stammes diskutiert, abgestimmt und schließlich durch den Stammeshäuptling das Urteil gesprochen. Je „kultivierter“ ein Volk wurde, umso spezialisierter wurde die Justiz.

Hier der Alltag des Volkes, dort die Spezialisten der Rechtssprechung (wie auch in der Politik, Wirtschaft usw.). Wie kompliziert (und widersprüchlich) die Sprache des Rechts geworden ist, zeigt am besten die nun schon über ein Jahr lang währende Beratung über die Neuformulierung der österreichischen Verfassung oder der Streit über die EU-Verfassung.

LaienrichterInnen mit eigenständigem Denken

Ich beobachtete vor Jahren einen Prozess durch alle Instanzen. Das Ersturteil war ein Skandalurteil eines rechtslastigen Richters, der IMMER Neonazis frei und Antifaschisten schuldig sprach, sodass immer wieder als solches in der Fachliteratur zitiert wurde. Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil. Da mit diesem Urteil nicht einmal der damalige Justizminister einverstanden war, kam der Fall vor den Obersten Gerichtshof. Noch einmal wurde das Urteil bestätigt. Im Anschluss kam der Generalprokurator (= oberster Staatsanwalt der Republik) zum Angeklagten und entschuldigte sich dafür. Im Übrigen wären auch die Höchstrichter von seiner Unschuld überzeugt, doch wegen eines Formfehlers seiner jungen Anwältin hätten sie gar nicht anders können, als das Urteil zu bestätigen.

Da kann doch was nicht stimmen? Nur wegen eines Formfehlers in der Berufung bleibt ein Urteil wider besseren Wissens und Überzeugung der Höchstrichter aufrecht?

Wenn immer Diskussionen über den Sinn von Geschworenengerichten diskutiert wird, erinnert man vor allem auch an die Skandalurteile gegenüber Nazi-Verbrechern nach 1945.

Doch dann soll man bitte auch daran erinnern, wie die NS-Justiz in Österreich (die immerhin z. B. ca. 2000 Widerstandskämpfer aufs Schafott schickte, Arisierungen absegnete usw.) nach 1945 sich selber „säuberte“. Es gab zwar nach 1945 auch Verfahren gegen Richter und Staatsanwälte (in den meisten Fällen unter Ausschluss der Öffentlichkeit), doch keine Schuldsprüche. Sie alle bastelten danach emsig weiter an ihren Karrieren. Ein relativ hoher Beamter des NS-Reichsjustizministeriums konnte später im österreichischen Justizministerium sogar Sektionschef werden.

Und die NS-Professoren am Juridicum lehrten nun als „Demokraten“ leicht modifiziert weiterhin ihre Paragraphen den neuen Studenten.

So verwundert es nicht, dass die Rechtswissenschaft noch über Jahrzehnte als Hochburg der Rechten bzw. der rechtsradikalen Szene und der Burschenschafter an Österreichs Universitäten galt.

Und diese ehemaligen NS-Richter im demokratischen Gewand hätten nun allein weniger skandalös über NS-Verbrecher geurteilt als die Volksgerichte?

Und das ist auch der Widerspruch, wenn in der Gegenwart gegen Geschworenengerichte argumentiert wird: Einerseits wird den Laienrichtern vorgeworfen, dass sie sowieso überflüssig seiem, weil sie (bar jeden juristischen Wissens) ohnedies das Urteil später abgeben werden, das ihnen der juristisch gebildete Richter vorgibt, andererseits empört sich die Öffentlichkeit, wenn es dann bei Geschworenengerichten zu Fehlurteilen kommt.

Was jetzt? Und wenn der Richter allein das Urteil gesprochen hätte, wäre es kein Fehlurteil gewesen? Fälle wie die von Jack Unterweger, wo es nur zu einer knappen Mehrheit für einen Schuldspruch im Geschworenengericht kam, zeigen, dass es auch dort Laienrichter gab, die zu eigenständigem Denken in diesem sonderbaren, fragwürdigen Verfahren fähig waren.

Erst recht im Fall Tibor Foco, wo den Geschworenen (leider) erst nach dem Schuldspruch die zahlreichen Widersprüche in der Verhandlung auffielen, die aber dann geschlossen so einen medialen Wirbel auslösten, dass eine Wiederaufnahme des Prozesses notwendig wurde (dass sich Tibor Foco diesem Prozess weiterhin entzieht, kann man ihm bei seinen Erfahrungen mit der österreichischen Justiz nicht verdenken).

Der (Berufs-)Richter hat zu viel Macht

Nicht die Geschworenengerichte sind DAS Problem, sondern das System der österreichischen Justiz.

Wer einmal ein ganz normales Strafverfahren in einem österreichischen Gericht beobachtet, glaubt oft einem Kasperltheater beizuwohnen: Der Staatsanwalt bringt die Anklage, danach der Verteidiger die Verteidigung vor. Und dann bestimmt fast nur mehr der/die Richter/in das weitere Geschehen. Wurde alles vorgebracht, erhebt sich Herr oder Frau Rat und verkündet schon das Urteil.

Als Beobachter fragst du dich: Wieso hat der oder die Richter/in nicht einmal eine Sekunde lang über das Urteil nachdenken müssen, wenn für ihn oder sie schon von Anfang an das Urteil feststand? Oft führt allein der Richter das Verhör des Anklagten und der Staatsanwalt sitzt bis zum Schlussplädoyer schweigend dabei. Wozu braucht man bei den Prozessen in den meisten Fällen überhaupt noch Staatsanwälte?

Geschworenengerichte könnten eine wichtige Bereicherung für Prozesse sein. Nehmen wir z. B. einen Mordfall. Der Angeklagte beteuert seine Unschuld. Die Vorerhebungen dauern ein Jahr lang. Und dann kommt der Prozess. Aufgrund des Aktenstudiums hat bis dahin auch der Richter gewiss schon sein (Vor-)Urteil für sich gefällt (außer es kämen im Prozess selbst sensationelle neue Fakten zutage – was jedoch äußerst selten geschieht).

Anders die Laienrichter: Bis zum Beginn des Prozesses wissen sie nicht, welcher Fall auf sie zukommt. Wenn es keine mediale Vorberichterstattung gab, wohnen sie völlig unbeeinflusst dem Geschehen bei, hören sich Für und Wider des Falles an. Und dann müssen acht Leute alle Fürs und Widers unvoreingenommen abwägen, in einer Diskussion zu einem Ergebnis, also einem Urteil kommen. Das könnte manchmal sogar ein wichtiges Korrektiv sein.

Ein Advokat argumentierte einmal: „Und wenn da eine Hausmeisterin, die nur die Krone liest, dann urteilen soll?“ Ich antwortete: Ihr Rechtsempfinden schätze ich sicher nicht geringer ein als das eines Richters, der in seiner Freizeit „Alter Herr“ in einer schlagenden Verbindung spielt. Und weiß ich, ob dessen Lieblingslektüre, von der er sich hauptsächlich beeinflussen lässt, nicht ebenfalls die Boulevardpresse ist?

Eines der Grundprobleme der österreichischen Justiz besteht darin, dass die Richter – im Unterschied zu vielen anderen Ländern – zu viel Macht haben und es über sie zu wenig Kontrolle gibt, dass die Gewaltentrennung im Justizbereich dringend reformiert gehört. Doch das müssten die Juristen bewerkstelligen, und die haben daran kein Interesse. Dafür wären jedoch funktionierende Schöffen- bzw. Geschworenengerichte ein wichtiger Schritt.

Wenn nun ausgerechnet Richter für die Abschaffung von Geschworenengerichten plädieren, macht das hellhörig. Sicher, Geschworenengerichte sind in der derzeitigen Praxis (meistens) nur ein formaler Popanz, den das Gesetz vorschreibt.

Wenn eine wichtige Einrichtung wie das Geschworenengericht nicht funktioniert, ist die einfachste Lösung dessen Abschaffung. Das würde jedoch einen weiteren Demokratieverlust und noch mehr Alleinmacht für die Richter bedeuten. Wie sollen aber Geschworenengerichte wirksamer und funktionsfähiger werden? Ich weiß es nicht. Wie jede Erneuerung hin zu mehr Demokratie eine schwere Arbeit. Diese Frage zu lösen, müsste eine spannende Herausforderung (nicht nur) für demokratische Juristen sein.