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Üblicherweise wird eine Schule für Kinder ohne Behinderung gebaut, und Kinder mit Behinderung werden dann in diese Schule integriert. Bei uns ist es umgekehrt, erzählt die Schuldirektorin Silvia Gehrmann. Bei der Planung dieser Schule gingen wir von den Bedürfnissen von Kindern mit schwersten Behinderungen aus. Was architektonisch für Kinder mit schwersten Behinderungen notwendig ist, bietet auch für Kinder ohne Behinderung optimale Lernvoraussetzungen.Hier lernen 141 Kinder mit und ohne Behinderung gemeinsam. Gehrmann: In unserer Schule lernen auch Kinder ohne Behinderung und das mit Begeisterung und tollen Erfolgen. Das sehen auch die Eltern: Die Schule hat eine lange Warteliste mit den Namen von Kindern ohne Behinderungen, deren Eltern möchten, dass sie in diesem Umfeld unterrichtet werden.
Was den Schwachen gut tut, nützt auch den Starken. Wenn die Bedingungen stimmen. Denn wenn es zu wenig Integrationslehrer für Kinder mit Behinderungen gibt, wenn geschlossene Ausländerklassen zum Deutschlernen errichtet werden, wenn zweisprachige Begleitlehrer an allen Ecken fehlen, wenn leistungshomogene Restklassen entstehen, wenn die Klassen überfüllt sind, wenn die Raumarchitektur flexible Lernformen nicht zulässt dann wird es nichts mit dem Nutzen für alle.
Die Frage, wie Kinder, die schwächer sind, gestärkt werden können, ist ja nicht neu: sozial benachteiligte Kinder, Kinder, die aufgrund ihrer Herkunftsfamilie Probleme haben, Kinder mit Behinderungen oder einfach solche, die die Unterrichtssprache noch nicht gut beherrschen. Die Idee, homogene Gruppen mit den Schwächeren zu bilden und diese im Namen der Integration von den Stärkeren zu trennen, ist auch nicht neu. Es waren immer die Gleichen, die von den Schwächeren Integration gefordert haben, um sie dann wenn’s ernst wurde in Aussonderungsmodelle zu stecken. Wer nicht in das Schema passt, wird in eine Nische geschoben und dort von Spezialisten unterrichtet. Das ist ein System mit abschiebender Wirkung, stellt der Leiter der Grazer Forschungsabteilung für Schulentwicklung, Werner Specht, fest.
Eine integrative Schule kann allen nützen. Die Starken verlieren nicht. Im Gegenteil. Sie profitieren von den Lernbedingungen, die den Schwachen helfen. Das zeigen alle Schulvergleichsstudien. In Finnland (6%), Kanada (10%) und Schweden (13%) finden sich deutlich weniger SchülerInnen am unteren Ende der Leistungsverteilung als in Österreich (21%). Gleichzeitig erreichen 15% der finnischen, 13% der kanadischen und 11% der schwedischen SchülerInnen mit Level fünf den obersten Leistungsbereich im Lesen (in Österreich 8%). Die Förderung von Spitzenleistungen muss nicht auf Kosten der Förderung von schwachen SchülerInnen gehen. Vielmehr können Schulsysteme ihre Besten für Spitzenleistungen qualifizieren, gleichzeitig aber dafür sorgen, dass der Abstand der schwächsten Schüler zu den besten gering ist. Das zeigt, dass Schulsysteme, die Risikogruppen möglichst klein halten, allen Kindern bessere Möglichkeiten bieten. Die Förderung von schwächeren Kindern geht somit ganz und gar nicht auf Kosten der Entwicklung von Talenten und Fähigkeiten aller Kinder oder besonders begabter Kinder.
Buchtipp: «Es reicht! Für alle! Wege aus der Armut», von Martin Schenk und Michaela Moser. Deuticke Verlag, 20,50 Euro