Abschreckungshilfetun & lassen

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Wir öffnen die Archive des Schweigens. Eine Studie zur Nicht-Inanspruchnahme von Sozialhilfe wurde vor ein paar Tagen präsentiert. Berichtet wurde darüber wenig. Stellen Sie sich vor, eine Studie zum Missbrauch von Sozialleistungen, sie hätten bestimmt darüber in der Zeitung gelesen, im Radio gehört, im TV gesehen. Was heißt gelesen. Aufmacher in der Kronenzeitung, Diskussion im ORF, wilde Forderungen im Radio.

So war aber fast gar nichts. Denn die Sache verhält sich anders: 50 bis 60 Prozent der Haushalte, denen Sozialhilfe zustünde, nehmen diese nicht in Anspruch, nur 40 % der Anspruchsberechtigten würden diese Leistung auch beziehen. Das ist das Ergebnis einer vom Europäischen Zentrum für Wohlfahrtspolitik und Sozialforschung durchgeführten Studie auf Basis der Haushaltserhebungen der Statistik Austria. JedeR zweite Hilfesuchende traut sich nicht aufs Sozialamt.

Die Ursachen für die geringe Inanspruchnahme sind vielfältig: Da gibt es subjektive Faktoren wie Stigmatisierung, Scham oder auch Stolz, besonders im ländlichen Raum, da gibt es institutionelle Barrieren wie weite Wege oder auch negative Erfahrungen mit Ämtern sowie gesetzliche Hürden, wie Regressregelungen oder restriktive Vermögensanrechnung, die abschrecken.

Die Ergebnisse zeigen, dass es sich bei der Sozialhilfe vielfach in Gesetz und Vollzug um eine Abschreckungshilfe handelt. Die Sozialhilfe hat in dieser Form keine Zukunft. Sie ist an Gnadenrecht statt an sozialen Grundrechten orientiert und lässt bürgerfreundlichen Vollzug vermissen. Egal, ob es nur zu einer Vereinheitlichung der Sozialhilfe kommt oder irgendwann doch noch zu einer echten Mindestsicherung. Entscheidend wird sein, dass die Hilfe auch dort ankommt, wo sie gebraucht wird:

Weder gibt es klare Rechtsansprüche auf eine bestimmte Leistungsart noch in allen Fällen bzw. in allen Bundesländern grundsätzlich einen Bescheid.

Wissenschaftlich fundierte Festlegung der Höhe von Richtsätzen, etwa ein Warenkorb, fehlt. Die Bedürftigkeitsgrenzen basieren auf mehr oder weniger willkürlichen Annahmen. Hilfesuchende sind je nach Bundesland unterschiedlich viel „wert“: Differenzen bis 132 Euro.

Der Regress stellt eine Armutsfalle dar, da bei Aufnahme von Erwerbsarbeit die Sozialhilfe oft zurückgefordert wird.

Zehntausende bekommen eine Behandlung über „Krankenhilfe“, was z. B. den Erhalt der E-Card ausschließt. Zugang zu medizinischen Leistungen sollte für alle vereinfacht werden; besonders für Einkommensschwache, deren Krankheitsrisiko doppelt so hoch ihre Inanspruchnahme von Gesundheitsdiensten aber niedriger ist als in der Durchschnittsbevölkerung.

Die finanziell ärmsten Gemeinden haben die höchsten Kosten, weil sie am meisten Arme haben. Ein Finanzausgleich zwischen ärmeren und reicheren Gemeinden ist nicht in allen Bundesländern berücksichtigt.

Am besten wäre ohnehin die Sozialhilfe gesetzlich bundesweit und universell zu regeln und die Länder damit zu entlasten.

Wer schnell hilft, hilft doppelt. Dass mehr als die Hälfte der Menschen, die Unterstützung bräuchten, sich nicht traut, sie auch in Anspruch zu nehmen, ist kein guter Ausweis für das untere soziale Netz. So kommt die Hilfe zu spät oder gleich gar nicht.