Musikgeschichte
Pionierarbeit in elektronischer Musik? Wurde in Österreich auch in Salzburg geleistet, was angesichts der Mozartseligkeit der Stadt ein kaum bekanntes Faktum ist. Philipp Weismann (Text) über 60 Jahre Studio für elektronische Musik.
Es zischt und blubbert, donnert und rauscht: das Stück Claire Obscure des Salzburger Elektronik-Pioniers Irmfried Radauer aus dem Jahr 1960. Produziert wurde es im 1958 gegründeten Studio für elektronische Musik der damaligen Akademie Mozarteum in Walserfeld. Das Studio gehörte zu den ersten dieser Art in Österreich. Dort standen unter anderem zwei Tonbandmaschinen und ein Tongenerator. Nur wenige Komponist_innen haben damals mit diesen Geräten experimentiert. «Die Ausstattung war recht primitiv», sagt der heute 87-jährige Komponist Joseph Maria Horvath, ein Schüler und Mitstreiter Radauers. «Es stand wenig Geld zur Verfügung. Aber es war eine lockere Atmosphäre, ich erinnere mich sehr gern an diese Zeit zurück.» Studioleiter Irmfried Radauer verließ Salzburg 1967 in Richtung USA, um sich dort mit Computermusik zu beschäftigen. Die Aktivitäten im Studio Walserfeld nahmen danach rapide ab.
Dudelsack und singender Hund.
1973 baute der Salzburger Komponist Klaus Ager an der Hochschule Mozarteum ein neues Studio für Studierende auf. Einer, der dort häufig gearbeitet hat, ist der heute 70-jährige Klangkünstler Werner Raditschnig. Im Lehrgang Live-Elektronik und experimentelle Instrumentalmusik entwickelte er manch skurrile Stücke, wie Sinfon Anette von 1980, bei dem Raditschnig Geräusche von explodierenden Bonbons mit dem Dudelsackspiel eines Bekannten und dem Singen von dessen Hund mischte.
Salzburg sei allerdings ein schwieriges Pflaster für die experimentelle elektronische Musik gewesen, meint Raditschnig. Zu wenige hätten sich dafür interessiert, im Vergleich dazu habe es in Graz oder Wien eine größere Neugier gegenüber dieser Kunstform gegeben – und daher auch eine größere Szene. «In Salzburg braucht alles seine Zeit, und es muss immer mit höchster Perfektion passieren – wobei man damals noch gar nicht wusste, was Perfektion in dieser Musik überhaupt ist.»
Eine öffentlichkeitswirksame Aktion gelang dem Salzburger Studio beim Neue-Musik-Festival Aspekte 1991. Festival-Gründer Klaus Ager holte den weltberühmten Komponisten John Cage nach Salzburg, der am Flughafen mit klingenden Fahrrädern empfangen wurde, mit sogenannten «Klangmobilen»: Fahrräder mit aufmontierten Stereoanlagen, die die Umgebung mit eigens für den Anlass produzierten elektronischen Klängen beschallten. «John Cage hat sich über diesen Empfang sehr gefreut. Er ist auch selbst auf ein Fahrrad gestiegen und am Flughafen herumgefahren», erinnert sich Ager.
Lahmgelegte Rechner.
Eine weitere spannende Idee entwickelte sich in Salzburg ab Mitte der 1970er-Jahre. Der aus den USA zurückgekehrte Irmfried Radauer machte sich daran, ein Computermusikzentrum nach US-amerikanischem Vorbild aufzubauen. Es ging dabei um rein digital erzeugte Klänge, oder um Computeralgorithmen, die Kompositionsstrukturen errechnen konnten. Unterstützung kam zunächst von der Salzburger Sparkasse, die ihre leistungsfähigen Großrechner zur Verfügung stellte. Am mathematischen Institut der Universität Salzburg wurde 1983 schließlich das Computermusikzentrum eröffnet, das damals im deutschsprachigen Raum eine Vorreiterrolle auf dem Gebiet der digitalen Klangerzeugung einnahm. Komponisten wie J. M. Horvath, Herbert Grassl oder Klaus Ager schufen dort Werke.
Klaus Ager berichtet im Zusammenhang mit der Computermusik von höchst aufwendigen Prozessen, da die Computer zu der Zeit noch sehr langsam waren. Oft sei man nächtelang gesessen, um die gewünschten Klänge herzustellen. Lahmgelegte Computer seien die Regel gewesen. «Für eine Sekunde Musik musste man in etwa eine halbe Stunde Rechenzeit einkalkulieren», so Ager.
Mit den Jahren wurde das Salzburger Computermusikzentrum aber von der rasanten technologischen Entwicklung überholt. Immer kleinere, effektivere und bald für viele leistbare Geräte kamen auf den Markt. Nach der Emeritierung von Irmfried Radauer – er hatte eine Professur am Mozarteum – wurde das Computermusikzentrum 1996 aufgelassen.
Studio als sozialer Ort.
Das Studio für elektronische Musik am Mozarteum ist aber noch aktiv. Seit 2006 leitet es der Komponist Achim Bornhöft. Das Studio entwickle sich immer mehr zu einem sozialen Ort, es sei kein derart exklusiver Platz mehr, wie es in den 1970er- oder 1980er-Jahren der Fall war, so Bornhöft. Die Studierenden entwerfen heute ihre Kompositionen meist am eigenen Computer, im Studio nutzen sie etwa die hochwertigen Lautsprecher für Mehrkanal-Produktionen.
Was auch auffällt: Die Beschäftigung mit analogen Geräten nimmt wieder zu. Im Dezember 2018 wurde im Rahmen des Festivals Crossroads das 60-jährige Jubiläum des Studios für elektronische Musik gefeiert. Präsentiert wurde dort auch eine alte Tonbandmaschine, die der Komponist Marco Döttlinger für seine Installation downsampling the infinite einsetzte. Und da waren sie wieder, die rauschenden, flirrenden Tonbandklänge, die so charmant altmodisch wie zeitlos wirken.
Zur Zeit arbeitet der Musikwissenschaftler Jürgen Neuhofer an einer umfassenden Darstellung der Geschichte der Salzburger Studios für elektronische Musik, die heuer in Buchform erscheinen soll. Der genaue Erscheinungstermin wird auf der Studiohomepage bekanntgegeben werden: sem.moz.ac.at