Lokalmatadorin
Renate Jacobi hat wieder Arbeit. Daher hat sie auch ihr Selbstbewusstsein zurückgewonnen. Von Uwe Mauch (Text) und Mario Lang (Foto)
Diese grundehrliche Freude! Strahlt auch auf ihre Umgebung aus. Mittagszeit im Pensionisten-Wohnhaus Föhrenhof in Hietzing: Die Bewohner_innen spazieren oder schieben sich mit ihrem Rollator in Richtung Speisesaal. Einige sprechen sofort auf diese außergewöhnliche Ausstrahlung an, grüßen, bleiben stehen, erkundigen sich über dieses und jenes, tauschen Höflichkeiten aus.
Nein, Renate Jacobi hat keinen Sechser im Lotto gewonnen, und sie fliegt auch nicht morgen in die Karibik. Viel besser: Sie hat vor wenigen Monaten eine faire berufliche Chance erhalten. Sie darf endlich das tun, was sie immer schon gerne tun wollte: «Ältere Menschen betreuen.»
Zurück im Leben.
Die 54-jährige Wienerin war über einen längeren Zeitraum glück- und arbeitslos. Doch das ist jetzt – endlich – vorbei. Sie hat im Vorjahr als eine von 26 Wieder-Einsteiger_innen beim Kuratorium Wiener Pensionisten-Wohnhäuser eine sechswöchige Schulung zur Alltagsbegleiterin absolviert und konnte danach im Rahmen der Beschäftigungsaktion 20.000 für eineinhalb Jahre einen relativ sicheren Job antreten.
Frau Jacobi arbeitet im Haus Föhrenhof, am Rande des Lainzer Tiergartens – mit einer realistischen Chance auf Weiterbeschäftigung bis zu ihrer eigenen Pensionierung.
«Dieses Haus ist für mich binnen weniger Tage zu einem Ort geworden, an dem ich mich zu Hause fühle», erzählt die Helferin. Die neue Mitarbeiterin wird auch nach dem Essen von einigen Bewohner_innen konsultiert. Sie ist in der Tat gefragt. Sie blüht hier sichtlich wieder auf. Erleichtert sagt sie: «Das ist für mich absolut fantastisch.»
Frau Jacobi ist eine, die anpacken, die auch gut mit Menschen kann. Das darf sie in ihrem neuen Job auch unter Beweis stellen. Sie hat heute schon einer dementen Bewohnerin bei einem längeren Spaziergang durchs Haus ihr Ohr geliehen, weil diese einen inneren Zweifel loswerden wollte. Sie hat dann einen älteren Herrn zur Bank begleitet. Mit anderen Bewohner_innen geht sie noch eine Runde spazieren. Und sie leitet auch schon Kleingruppen im Gruppenraum oder im Turnsaal, beim Spielen, beim Turnen oder beim Gedächtnistraining.
«Eine neue Erfahrung für mich», sagt sie mit Respekt vor der Aufgabe. Eine schöne Erfahrung, besonders schön, wenn der eine oder die andere zum nächsten Gruppen-Termin wieder kommt, woraus sich wohl Zufriedenheit mit dem Gebotenem ableiten lässt.
Arbeitsmoral ist für die Alltagsbegleiterin eine Tugend. Die hat sie schon in ihrem gelernten Beruf bewiesen: «Obwohl Buchhalterin mehr der Traumberuf meiner Mutter als mein eigener war.» Doch mit der Moral alleine kommt man heute nicht weit, vor allem dann nicht, wenn man eine alleinerziehende Mutter von drei Kindern ist.
Um ihre beiden Töchter und ihren Sohn möglichst gut versorgen zu können, musste sie früh in ihrem Leben Jobs annehmen, die schlecht bezahlt und meist nur befristet waren. In einer zunehmend durchgetakteten Arbeitswelt, in der die Beschäftigten möglichst immer und möglichst zu 100 Prozent abruf- und belastbar sein müssen, wurde ihre berufliche und damit die finanzielle Situation mit jedem Jahr prekärer.
Wie freundlich sie auf die Bewohner_innen hier zugeht! Wie nett sie mit den älteren Leuten spricht! Kaum zu glauben, dass die selbe Frau noch vor einem Jahr mit den Nerven am Ende war, mit Schulden und Selbstzweifeln zu Hause saß und ihre Wohnung nicht mehr verlassen wollte. Auch deshalb, weil ihre Suche nach einem geeigneten Job so gut wie aussichtslos war.
In sozialwissenschaftlichen Studien wurde minutiös nachgewiesen, dass sich länger anhaltende Arbeitslosigkeit wie spitze Stacheln in den Körper und die Seele der Betroffenen bohrt. Dazu passt auch diese Schilderung: «Mein letzter Arbeitgeber hat mich gemobbt, und ich musste ihm dann noch lange hinterherrennen, weil er mir meine noch ausständigen Gehälter nicht auszahlen wollte. Er hat mir gedroht, dass er dafür sorgen werde, dass ich nie wieder einen Job finden werde.» Das traf sie ins Herz: «Danach war’s wirklich vorbei. Je länger ich zu Hause saß, desto weniger habe ich mir zugetraut.»
Spirale nach unten.
Mit einer Umschulung zur Heimhelferin wollte sie noch einmal die Wende zum Guten schaffen. Doch verfolgt dich einmal das Pech, kann daraus eine Strähne des Unglücks werden: Während der Schulung stürzt sie und muss am Knie operiert werden. Was folgt, ist ebenfalls in der Langzeitarbeitslosen-Literatur genau beschrieben: weiterer Verlust des eigenen Selbstwerts, Spirale nach unten, Existenzängste, Depression. Ihr Problem: «Von der Buchhaltung war ich schon zu weit weg, und meine Ausbildung zur Heimhilfe konnte ich aufgrund des Unfalls nicht mehr beenden.»
Es ist der Aktion 20.000 und einem aufmerksamen Betreuer im Auftrag des Arbeitsmarkservice Wien zu verdanken, dass die derart Deprimierte eine neue, eine faire Chance bekommen hat: Hier im Wohnhaus darf sie zeigen, dass sie mit großer Leidenschaft ältere Menschen betreut. «Jeder Tag hier ist für mich ein gewonnener Tag», betont sie. «Ich lerne täglich etwas dazu. Ich mag die Menschen, und ich habe hier sehr nette Kolleg_innen kennenlernen dürfen.»