Abspeisentun & lassen

Illustration: Thomas Kriebaum

Eing'Schenkt (11. Oktober 2023)

Essen ist mehr als Nahrungsaufnahme. Ernährungsarmut heißt Mangelernährung im mehrfachen Sinne: Mangel an Teilhabe und Mangel an guter Speise wie gutem Speisen. Das gemeinsame Essen, eine gute Mahlzeit, ist wichtig. Ein Kompagnon ist jemand, mit dem man das Brot teilt, «con» heißt zusammen und «panis» ist das Brot. Essen und Gemeinschaft sind in vielen Sprachen zu einem Wort zusammengefasst.
Wenn es eng wird, dann gibt es nur einen Posten, der verfügbar ist: Essen. Sparen geht nur dort. «Ich hab dann am Ende des Monats mein Essen für die Kinder gespart», erzählt Maria, die einige Jahre in Armut leben musste. Jetzt geht es ihr und ihren drei Kindern wieder besser, rückblickend sagt sie: «Das Essen macht jetzt wieder Freude, kann wieder etwas Schönes sein statt dem kraftraubenden Stress zwischen Arbeit und Schlafengehen.» An Einkaufengehen im Supermarkt denkt sie besonders ungern zurück. «Ich bin da blind durchgegangen, damit ich nur das Billigste und Notwendigste mitnehme.» Einkaufen bedeutete «Zwang und schlechte Stimmung».
Wenn sie zu wenig haben, sollen sie halt Burger essen, sagt der Bundeskanzler zu Maria und ihren drei Kindern. Kern dieser Rede ist, ihr seid alle selber schuld. Frauen sind zu faul, sie sollen halt mehr arbeiten, oder sind zu blöd, Kinder günstig zu versorgen. Was viele nicht verstehen oder ideologisch bewusst nicht beherzigen wollen: Es geht bei Armutsbekämpfung nicht nur ums «reine Überleben», sondern auch ums «aufrecht Gehen». Abspeisen heißt demütigen – zum Beispiel mit Burgern.
Es sich nicht leisten können, Freund:innen zum Essen einzuladen, ist ein bewährter Indikator der Armutsmessung. Wenn es um Einladungen nach Hause geht, wird hier nicht nur Auskunft über zu wenig Geld gegeben, sondern auch die soziale Scham sichtbar, im Unglück nicht sein Privatestes herzeigen zu wollen.
Aber nehmen wir die aktuelle Debatte zum Anlass für gute und wirksame Maßnahmen. Die soziale Benachteiligung von Kindern zu bekämpfen, heißt die Therapielücke bei psychischen Problemen zu schließen, heißt eine warme Mahlzeit in der Schule zu organisieren, heißt das unterste soziale Netz zu reformieren, damit Existenzsicherung, Chancen und Teilhabe für jedes Kind gesichert sind. Diejenigen, die die Mindestsicherung abgeschafft haben, sind übrigens dieselben, die jetzt die Opfer ihrer Kürzungen mit Burgern verhöhnen.
Ein warmes Essen oder gesunde Jause in der Schule ist ein guter Beitrag für alle Kinder, aber besonders hilft es Ärmeren. Es hilft pädagogisch, weil die Kinder sich besser konzentrieren können, es hilft sozial, weil gemeinsames Essen der Gemeinschaft gut tut, es hilft gegen Armut, weil Familien in finanziell schwieriger Situation entlastet werden. Weiters könnten mittels eines «Chancenindex» benachteiligte Schulstandorte besser ausgestattet werden, z. B. auch mit gemeinsamen Essen. In Toronto heißt diese solidarische Ressourcenzuteilung «Learning Opportunity Index ». Wozu er dient, argumentiert man in Kanada so: «Die Schulen mit dem höchsten Wert haben die stärksten Herausforderungen zu bewältigen und brauchen daher die meiste Unterstützung». Das wäre dann das Gegenteil von abfertigen, abfrühstücken, abwimmeln, abspeisen.

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