Mehr als Science-Fiction mit Agententhriller-Elementen
Eva Schörkhubers neuer Roman spielt in einer unerfreulichen Zukunft. Die Autorin betreibt aber nicht nur Schwarzmalerei, sondern appelliert auch, es nicht so weit kommen zu lassen, meint Jenny Legenstein, die das Buch gelesen hat.
Foto: Edition Atelier
Wäre Eva Schörkhubers Roman «Nachricht an den Großen Bären» ein Film, wäre es ein Road-Movie, ein Railroad-Movie. Denn ihre Hauptprotagonistin Su ist mit der Eisenbahn unterwegs, und ein großer Teil der Romanhandlung spielt sich in einem Bahnabteil ab. Wohin die Reise geht, bleibt ein wenig nebulös, ins Ausland heißt es. Dort, an einem nicht näher genannten Ziel, soll Su die geheimen Papiere, die sie aus ihrem Land schmuggelt, abgeben. Geheime Papiere ins Ausland schmuggeln klingt nach Spionageroman, und Elemente eines solchen beinhaltet das Buch tatsächlich: Konspirative Treffen, Decknamen, tote Briefkästen, verschlüsselte Botschaften, und selbst der Titel des Bandes – also die «Nachricht an den Großen Bären» – verweist auf die Übermittlung einer codierten Nachricht. Dennoch handelt es sich um keinen Text, der der Krimiunterabteilung Agententhriller zugeordnet werden könnte. Die Geschichte spielt in einer nahen Zukunft, in der rechtsextreme Gruppierungen die Macht übernommen haben, Europa in vier Zonen zerfallen ist (wobei Zone A und B reiche Länder, Zone C und D arme Staaten umfasst) und konsequente neoliberale Wirtschaftspolitik Vermögende unantastbar und Arme zu Sklav_innen und überflüssigen Menschen gemacht hat. Eine Widerstandsbewegung kämpft im Untergrund gegen das unmenschliche und undemokratische System. Diesem geheimen Netzwerk hat sich auch Su angeschlossen, als Kurierin befördert sie Informationen über die Grenze. Mit dem Überqueren der Grenze geht Schörkhubers Heldin auch über ihre eigenen Grenzen hinaus, sie überwindet ihre Angst, um zu einer besseren Zukunft beizutragen.
Jüngere Vergangenheit.
Ausgehend von Ereignissen und Entwicklungen der jüngeren Vergangenheit entwirft Eva Schörkhuber ein unschönes Bild davon, wie es vielleicht in einigen Jahren hierzulande und auf diesem Kontinent aussehen könnte: Nach mehreren erfolgreichen Wahlanfechtungen, Annullierungen der Abstimmungsergebnisse und Absinken der Wahlbeteiligung auf unter 10 Prozent nutzt eine faschistische Gruppe die regierungslose Zeit, um sich an die Macht zu hieven. Als Sündenböcke für die sich verschlechternde wirtschaftliche Lage werden «die Ausländer und Ausländerinnen» und insbesondere «die Flüchtlinge» ausgemacht. Abschottungspolitik und rigorose Grenzkontrollen sind die Folgen. An den Peripherien, also der Zone D, werden Lager eingerichtet, in die alle Unwillkommenen gepfercht werden. Auch wer im gnadenlosen Wirtschaftssystem keine Arbeit findet oder aus anderen Gründen keine Leistung bringen kann, wird ausgesondert – oder «abgewrackt», wie es in der Neusprech-Variante hier heißt – und abgeschoben oder landet letztlich in einem der Lager. Die soziale Gesetzgebung wird aufgehoben, der Zwölfstundentag wird eingeführt, Arztbesuche sind maximal einmal im Monat erlaubt.
«Allianzen zwischen den reicheren Ländern haben sich gebildet (…). Sie haben die anderen, die schwächeren, die ärmeren Länder untereinander aufgeteilt. (…) Diese Länder sind jetzt verwüstet. Sie sind zu den Zonen C und D geworden, in denen die großen Produktionsstätten und die Lager liegen. Menschenmaterial wird dort verwertet, wird dort ausgeschlachtet. Mit den staatlichen Abwrackprämien, die die Menschen erhalten, wenn sie in die Zonen C und D abgeschoben werden, können sie ihre Schulden bezahlen», beschreibt Schörkhuber das neue Europa.
Jahr der Dystopien.
Keine schöne neue Welt, die die aus St. Pölten stammende und unter anderem in Wien lebende Autorin in ihrem zweiten Roman ausbreitet. Überhaupt scheint 2017 ein Jahr der Dystopien in der österreichischen Literaturszene zu sein. In «Autolyse Wien» schildert Karin Peschka Szenen aus dem Leben verschiedener Menschen in Wien nach einer nicht näher beschriebenen Katastrophe. «Die Außerirdischen» haben in Doron Rabinovicis gleichnamigen Roman die Erde erobert, für die inhumanen Konsequenzen der Invasion aus dem All zeigen allerdings die Erdenbürger_innen selbst verantwortlich.
Science-Fiction ist vielleicht die Literaturform, um über menschliches Handeln und dessen Folgen nachzudenken. Wo sonst lassen sich Zukunftsszenarien, seien sie positiv oder negativ, besser durchspielen. Natürlich sind es keine wissenschaftlich exakten Vorhersagen. Die kanadische Schriftstellerin Margaret Atwood schrieb über ihren Roman «Der Report der Magd» vor wenigen Monaten in der «New York Times»: «Sagen wir, es ist eine Antivorhersage: Wenn diese Zukunft detailliert beschrieben werden kann, wird sie vielleicht nicht eintreten. Aber auf solches Wunschdenken kann man sich auch nicht verlassen.» Auf «Nachricht an den Großen Bären» trifft Atwoods Aussage über ihren 30 Jahre alten Klassiker gesellschaftlicher Dystopie wohl auch zu.
Eva Schörkhuber
Nachricht an den Großen Bären
Edition Atelier 2017
200 Seiten, 20 Euro
E-Book: 12,99 Euro