Advent, Advent, der Aufstand pennt?tun & lassen

«Die Menschen reden wieder miteinander» das ist die Lehre aus Stuttgart

Am 11. Dezember wird der «zivile Ungehorsam», der in Stuttgart inzwischen allgemein als anständiges Gebaren gilt, einmal mehr die Form einer Großdemonstration annehmen. Die Schlichtungsgespräche zwischen GegnerInnen und BefürworterInnen des Bahnhofsprojekts hatten bewirkt, dass es in Stuttgart relativ ruhig war. Zudem hatte sich in den letzten Wochen die zivilgesellschaftliche Widerstandsenergie zum Atommülltransport nach Gorleben hin orientiert. Eine geradezu tödliche Ruhe herrscht in Wien; die Degradierung des Westbahnhofs und die Kommerzialisierung seines Areals hätten einen BürgerInnenaufstand mindestens in Stuttgarter Dimensionen verdient.Die kontroversielle Debatte zur Terminisierung der Großdemo in den Internetforen der Bahnhofprojekts-GegnerInnen, zum Beispiel auf www.bei-abriss-aufstand.de, zeigt, wie differenziert die Bewegung ist. «In der Adventszeit, vor allem an einem Adventssamstag, zu demonstrieren, halte ich für respektlos und unangebracht. Zumindest an den vier Adventssamstagen sollte man auf Großdemonstrationen vor dem Hauptbahnhof verzichten und auch auf Demonstrationszüge durch die Stadt. Viele Menschen wollen in der Adventszeit die besinnliche Stimmung genießen und zur Ruhe kommen», schreibt ein christlich motivierter Aufständischer.

Möglicherweise stammt auch die nüchterne Antwort von einem Christen oder einer Christin: «Wahrscheinlich wird dann den ganzen Dezember während wunderbar besinnlicher Stimmung weitergebaut, Millionen verbuddelt und Fakten geschaffen der Widerstand und die Demos müssen weiter gehen. Sinnvolle Aktionen können ja durchaus auch besinnlich sein.» Der nächste Kommentar dazu kann mit dem Advent nichts Kontemplatives mehr assoziieren: «Gibt es denn einen Baustopp in der Adventszeit? Dann könnten wir ja vielleicht zur Ruhe kommen. Und abgesehen davon geht es in der Innenstadt in der Adventszeit ja wohl in erster Linie um Kommerz und Kaufrausch ganz bestimmt eine sehr besinnliche Stimmung!»

Die innere Vielfalt der Stuttgarter Bewegung, die selbst in dieser Episode zum Ausdruck kommt, nimmt, wie zu hoffen wäre, die neue Qualität der Protestbewegungen in Europa vorweg.

Die «von Freund und Feind» wahrgenommene Buntheit der Bewegung ist auch Thema des Gesprächs, das ein Augustin-Mitarbeiter dieser Tage mit «ParkschützerInnen» führen konnte jungen Menschen, die für die Rettung des Stuttgarter Schlossgartens kämpfen, der durch das Bauvorhaben bedroht ist.

Könnt ihr uns kurz schildern, wie es zu den Ereignissen der letzten Wochen gekommen ist? Welche politischen Entwicklungen waren eurer Meinung nach für das Aufbrechen einer derartig großen sozialen Bewegung entscheidend?

Seit 1994/95 gibt es die Planungen zu einem Tiefbahnhof in Stuttgart. Dieser wurde innerhalb weniger Monate höchst intransparent durchgewunken. Die Einspruchfrist der BürgerInnen war auf vier Wochen beschränkt! Die ersten Planungen waren nicht fundiert. Es wurden zum Beispiel keine Kapazitätsberechnungen vorgenommen. Dann explodierten die Kosten so sehr, dass alle glaubten, jetzt wird er nicht mehr gebaut. 2004 wurde Oberbürgermeister Wolfgang Schuster wiedergewählt, auch weil er versprochen hatte, einem BürgerInnenentscheid zuzustimmen, wenn das Projekt erhebliche Mehrkosten für Stuttgart verursachen würde. Dieser wurde dann abgelehnt, weil es angeblich «nur» 84 Millionen Euro anstatt 100 Millionen Euro Mehrkosten waren.

Dazu kommt, dass von oben durchgesetzt wurde, dass der denkmalgeschützte Bahnhof per Gerichtsbeschluss «zum Wohl der Allgemeinheit» in Teilen abgerissen werden dürfe. Damit einher geht auch der Plan, die ca. 300 Bäume im Schlossgarten, die zum Teil über hundert Jahre alt sind, zu fällen. Durch die Tieferlegung des geplanten Bahnhofs wären weiters die Mineralquellen vor Ort akut gefährdet.



Stuttgart ist ja – ähnlich wie Wien – nicht gerade eine Stadt, in der soziale Kämpfe, die von Zehntausenden getragen werden, alltäglich sind. Wie erklärt ihr euch, dass es gerade in diesem Fall zu so viel Widerstand gekommen ist?

Als die Menschen gemerkt haben, dass es der Politik ernst ist, den Bahnhof tatsächlich zu bauen, als sie bemerkt haben, dass aber genau diese Politik sich hinter der Deutschen Bahn und den mit ihr geschlossenen Verträgen versteckt und dass mit den Abrissarbeiten am Nordflügel wirklich begonnen wird, waren sie so empört, dass sie sich spontan gewehrt haben und auf die Straße gegangen sind. Sie konnten nicht glauben, dass sie «ihre» Politik hier in Stuttgart die CDU mit Ministerpräsident Mappus so im Stich lässt, ihnen einfach nicht zuhört. Die Menschen sind auch empört darüber, dass auf dem jetzigen Gleisvorfeld ein Großkonzern bereits Grundstücke gekauft hat, um dort ein riesiges Einkaufszentrum zu bauen.

In einem YouTube-Video habe ich gesehen, wie ein Dutzend aktiver RentnerInnen gegen Stuttgart 21 (offizieller Name des Bauprojekts) ein Blockadetraining gemacht haben das fand ich einigermaßen beeindruckend, da bei vergleichbaren Mobilisierungen der Großteil der AktivistInnen unter 50 Jahre alt ist. Könnt ihr vielleicht ein paar Worte zur sozialen Zusammensetzung der Bewegung sagen?

In diesem Protest sind alle gesellschaftlich relevanten Gruppierungen vertreten. Dazu gehören die SeniorInnen, unterschiedlichste Berufsgruppen, GewerkschafterInnen, seit dem 30. September (plötzliche, von der Politik angeleitete Gewalteskalation durch die Polizei, Anm. d. Red.) auch verstärkt die Jugend. Ansonsten ist es eine Mischung aus der gesellschaftlichen Mitte, aus Menschen, die sich bisher noch nicht viel mit Politik beschäftigt haben. Diese Menschen bekommen nun jedoch die Konsequenzen der Stadtplanung heftig und am eigenen Leib zu spüren. Sie wollen mitreden und sich nicht darauf beschränken, alle vier Jahre ein Kreuzlein zu machen und ansonsten stillzuhalten.

Auf der Internetseite der ParkschützerInnen haben sich circa 31.000 Menschen eingetragen, auf der Facebook-Seite Kein Stuttgart 21 sind derzeit 93.000 Menschen dabei. Sie alle vereint die Ablehnung des tiefergelegten Bahnhofs.

Aktuell sind wir als aktive ParkschützerInnen aus den Schlichtungsgesprächen ausgestiegen, weil die Kernforderung «ohne Baustopp keine Verhandlungen» nicht erfüllt wurde. Wir sind aber nach wie vor Teil des Bündnisses. Dadurch gibt es nun eine verhandelnde Gruppe und eine Widerstand leistende Gruppe.

Wie organisiert ihr euch konkret, und wie sehen die Kommunikationsstrukturen innerhalb der Protestbewegung aus? Habt ihr Delegiertenplena, Versammlungen, Mailinglisten, SMS-Ketten, Web 2.0.?



Wir haben unterschiedliche Internetseiten, auf denen alle relevanten Infos zum Protest zeitnah veröffentlicht werden. Dort gibt es Diskussionsforen, die sehr stark genutzt werden. Für die akute Mobilisierung gibt es SMS-Infos. Im Park finden regelmäßig offene Plena statt.



In Wien wurden in diesem Jahr zwei riesige Bauprojekte begonnen der Umbau des Westbahnhofs und des Südbahnhofs. Die Sinnhaftigkeit beider Umbauten ist mehr als zweifelhaft. Wie auch bei Stuttgart 21 geht es viel eher um die Interessen großer Investoren als um die Erhaltung und Schaffung von Infrastruktur für gute und günstige öffentliche Verkehrsmittel. Leider kam es aber in Wien nicht zu einer Protestbewegung wie in Stuttgart. Gibt es Erfahrungen und Anregungen aus euren aktuellen Protesten, die ihr gerne an die WienerInnen weitergeben würdet?

Ich glaube, dass diejenigen, die die Zusammenhänge von Investitionspolitik und Gentrifizierung (vereinfacht: Verwandlung von Stadtteilen mit leistbaren Mieten in schicke und teure Bobo-Quartiere, die Red.) erkennen, so früh wie möglich Öffentlichkeit herstellen müssen. Und zwar über Parteigrenzen hinweg. Es sollte gesetzlich verankert werden, dass solche Großprojekte schon im Planungsstadium der Öffentlichkeit vorgestellt werden müssen. Außerdem ist es notwendig, Formen der direkten Demokratie zu suchen und zu finden. Alle Aspekte der Bedenken müssen gleichwertig behandelt werden: Umweltschutz, fehlende demokratische Mitbestimmung, Ineffizienz von Großprojekten, Gentrifizierung …

Eines der wichtigsten Punkte an unserem Protest ist: Die Menschen reden wieder miteinander, machen was zusammen, lassen ihrer Kreativität freien Lauf und finden Mitmachende. Dieser Protest ist so bunt und vielfältig. Hoffentlich ist sich Herr Geissler, der eingesetzte Schlichter, darüber bewusst, was passiert, wenn er keine gute Lösung für uns hat! Eine Protestbewegung, wie sie aktuell in Stuttgart läuft, ist überall möglich, wo die Dinge ähnlich schief laufen warum nicht auch in Wien?


http://www.bei-abriss-aufstand.de

http://www.parkschuetzer.de/willkommen

http://www.kopfbahnhof-21.de/

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