Affront in Augenhöhetun & lassen

Eine Idee geht in Serie: Augustin wirft Augen auf die Justiz

Stellen Sie sich vor, Sie fahren in Urlaub. Sagen wir nach Ibiza oder Madagaskar, nach Phuket oder Antalya. Stellen Sie sich vor: zirka alle hundert Meter, beim Einkaufen, auf dem Weg zum Strand, am Eingang zum Internetcafé finden Sie die Aufforderung „Österreicher raus!“, oder sogar: „Tötet die scampifarbigen Europäer-Maden!“ Würden Sie sich dabei sehr wohl fühlen?An fast jeder Ecke in Wien empfängt sozusagen ein inoffizielles Begrüßungskomitee des rassistischen Wien aus dem Ausland stammende BesucherInnen und MitbürgerInnen. Zwar nicht auf den Rolling Boards und Citylights der Werbefirmen, aber dafür sehr viel mehr in Augenhöhe, subtil, allgegenwärtig, infam. „Neger raus!“, „Ausländer raus!“ oder sogar „Tötet Neger!“ steht auf Mülleimern, Koloniakübeln, Telefonzellen und Hauswänden. Ein ständiger Affront nicht nur für die so Beschimpften, sondern für alle halbwegs sensiblen Menschen in dieser Stadt. Und übrigens auch strafbar. Nicht nur als Sachbeschädigung, sondern vor allem als Verhetzung.

Wer sich einmal die Mühe gemacht hat, die jeweiligen BesitzerInnen der dergestalt zu rassistischen Schautafeln umfunktionierten Gegenstände oder Immobilien um die Entfernung der Beleidigungen zu ersuchen, handelt sich meist nur ein müdes Lächeln ein. Zwar entfernen z. B. die Wiener Linien gemeldete Schmierereien relativ rasch, die MA 48 hat aber offensichtlich ihre Beschäftigten leider nicht angewiesen, nicht nur den Müll in den Müllkübeln, sondern auch den Müll auf den Müllkübeln zu entsorgen. Und private Hausbesitzer oder Hausverwaltungen machen meist keinen Unterschied zwischen Tags und Parolen und rassistischen Verhetzungen. Es ist ihnen alles lästige Beschmutzung, die zu entfernen sich kaum lohnt, da sie sofort durch neue ersetzt wird, oder es ist ihnen einfach überhaupt wurscht.

Was passiert, wenn man versucht, die Polizei auf die grobe Störung der öffentlichen Ordnung aufmerksam zu machen, erzählt Klaus W.: Er habe mehrere Male beim nächstliegenden Kommissariat eine Streife angefordert, um auf rassistische Schmierereien aufmerksam zu machen, beim fünften Mal habe man ihm gedroht, ihn in die Psychiatrie einzuweisen.

So ist Sandra X. nur eine von vielen Leuten in Wien, die beim Anblick der meist mit dünnem schwarzem Stift gekrakelten Verhetzungen selber zu Lippenstift, Kajal, Filzschreiber oder Marker greifen und die Aufstachelungen zum Völkermord oder zur rassistischen Gewalt übermalen, verändern, unleserlich machen, vielleicht in ein klares „Nazis raus“ oder ein dadaistisches „Twuggerstraps“ verwandeln.

Dummerweise wurde Sandra X. aber beim Durchstreichen und Hinzufügen des Worts „Nazi“ von einem besonders eifrigen Herrn F. beobachtet, der sie und ihren Freund, Alexander B., daraufhin nicht nur beschimpfte, sondern auch die Polizei rief und einen Passanten, der sich einmischte und für Sandra X. Partei ergriff, packte und nach eigenen Aussagen „fixierte“ und – nachdem Sandra und ihr Freund davonrannten – ihnen auch noch durch den halben Bezirk folgte.

Staatsbürgerliche Pflicht

Am ersten Prozesstag vorm Bezirksgericht gibt Sandra X. gleich zu, das Wort „Neger“ durchgestrichen und durch „Nazis“ ersetzt zu haben, ja, sie erklärt, dass sie es für eine staatsbürgerliche Pflicht hält, solche Aussagen in der Öffentlichkeit nicht stehen zu lassen. So kreist die Zeugenbefragung mehr um die Frage, ob die Schürfwunde, die Herr F. beim Eintreffen der Polizei an der Hüfte hatte, daher rührt, dass Alexander B. mit einem Stein nach ihm geworfen hat, als um die Frage nach der Gesetzeswidrigkeit der Korrektur der rassistischen Schmiererei.

Die Richterin scheint davon auszugehen, dass es sich dabei auf jeden Fall um eine strafbare Sachbeschädigung handelt. Einzig, wenn die Wand eh schon recht beschmutzt gewesen sei, könne das Wort „NAZIS“ vielleicht die Wand nicht mehr erheblich beschädigt haben.

Damit scheint die entscheidende Frage in diesem Prozess allerdings unterzugehen. Ist die Entschärfung einer rassistischen Verhetzung überhaupt gesetzeswidrig? Ist nicht der Schutz ausländischer, in diesem Fall aus Afrika stammender MitbürgerInnen vor Beleidigung, Verhetzung, Todesdrohungen ein viel höheres Gut als die Sauberkeit einer eh schon beschrifteten Wand?

Kein Richter käme auf die Idee, jemanden wegen Sachbeschädigung zu verurteilen, der eine Scheibe einschlägt, um ein Feuer zu löschen, das sonst ein ganzes Haus niedergebrannt hätte. Wenn eine Gefahr, ein Schaden droht, der erheblich größer ist als eine zur Verhinderung dieser Gefahr notwendige Sachbeschädigung, ist die Sachbeschädigung nicht gesetzeswidrig.

Die entscheidende Frage ist also: Ist eine rassistische Verhetzung nicht ein Notstand, der es legitimiert, zur Selbsthilfe zu greifen und Abhilfe zu schaffen?

Kann man HausbesitzerInnen, die rassistische Schmierereien nicht wegputzen, nicht zumuten, wenigstens eine Übermalung oder Korrektur zu dulden?

Hat nicht Sandra X. Recht, dass es eine staatsbürgerliche Pflicht sein sollte, solche Verhetzungen zu entschärfen? Ein exemplarischer Freispruch, der den Schutz vor rassistischer Diskriminierung als ein höheres Rechtsgut ansieht, als den Schutz einer beschrifteten Wand vor zusätzlicher Beschriftung, wäre ein ermutigendes Zeichen, das dafür sorgen könnte, dass bald die diskriminierenden Krakeleien alle korrigiert wären. Ich jedenfalls dann nicht mehr nur nachts heimlich zum Lippenstift greifen.

Solidaritätserklärungen und Hinweise auf rassistische Schmierereien erwünscht an:

f17soli@hotmail.com

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