Afrikanerprozesse: Wiener Richter unter Beobachtungtun & lassen

Eingeschränkte Verteidigungsrechte

Zum zweiten Mal veröffentlichen wir hier das Protokoll eines „Afrikanerprozesses“, notiert von einer Prozessbesucherin. Ein Vergleich dieser Protokolle (bei der Menschenrechtsinitiative GEMMI, die diese Verfahren systematisch beobachtet, haben sich mittlerweile viele solcher Protokolle angesammelt) macht sicher: Ein bestimmtes Muster ist erkennbar. Den mutmaßlichen Drogendealern schwarzer Hautfarbe werden jene grundsätzliche Verteidigungsrechte, wie sie Beschuldigten bei fairen Verfahren in zivilisierten Ländern zugestanden werden, systematisch entzogen.Ich setze mich in den Gerichtssaal und werde wie gewöhnlich argwöhnisch von Richter und Konsorten gemustert. Es wäre ihnen wohl lieber, wenn bei diesen Prozessen die Öffentlichkeit ausgeschlossen wäre, vor allem bei einem wie diesem.

Es ist nicht der erste Verhandlungstag, daher fasst der Richter zusammen, welche Delikte den drei anwesenden Schwarzafrikanern schon „bewiesen“ wurden. Diese „Beweise“ lieferte hauptsächlich ein anonymisierter Zeuge, der sogenannte AZ1, der seit 1998 mit der Polizei zusammenarbeitet, von dieser in das von afrikanischen Asylbewerbern bewohnte MA 12-Heim Zohmanngasse eingeschleust wurde und als „Helmi“ bekannt ist, da er im Gerichtssaal immer mittels Helm unkenntlich gemacht wird. „Helmis“ Aussagen machen auch in vielen anderen Fällen den größten Teil der „Beweislast“ aus.

Den drei Angeklagten, die vom monatelangem Aufenthalt in der U-Haft im Wiener LG1 schon sichtlich zermürbt im Saal sitzen, wird der Verkauf und die Weitergabe von großen bis übergroßen Mengen an Heroin und Kokain vorgeworfen. Einer der drei, ich nenne ihn S., hat es besonders schwierig, denn er wurde bereits vor zwei Jahren wegen Drogenverkaufs verurteilt.

Die drei werden gefragt, ob sie zu Beginn des Prozesses etwas sagen wollen. Sie stehen unaufgefordert der Reihe nach auf und erklären, dass sie unschuldig sind, da sie nichts mit Drogen zu tun hatten.

Der Richter unterbricht den letzten bei seiner „Verteidigungsrede“ und reagiert ärgerlich: Das haben wir nun alles schon gehört. Wie erklären Sie sich dann die Zeugenaussagen (AZ1) und das Lauschprotokoll, welches heute von einem Assistenten des Inspektors Hotobi vorgeführt wird (Tonbänder von Handygesprächen)? Was sagen sie nun dazu?

Außer dem ersten Satz wird alles übersetzt. Und es klingt alles irgendwie wie eine Drohung.

Die Gefangenen müssen Stellung nehmen.

S.: Ich will nur sagen, dass ich, seit ich damals im Gefängnis war, nichts mehr mit Drogen zu tun hatte. Über die Zeugenaussage kann ich sagen, dass es gelogen ist. Ich weiß genau, wer es ist, er hat versucht, mich zu überreden, mit der Polizei zusammenzuarbeiten. Ich hatte seit 98 nichts mit Drogen zu tun. Ich habe gearbeitet.

Richter (R.): Wie erklären Sie sich, dass sich die Welt gegen Sie verschworen hat ?

S.: Es ist T. … Die Polizei soll dorthin gehen, wo ich gearbeitet habe … Was T. sagt, ist nicht richtig.

Seine imaginäre Sprechzeit ist vorbei, der Richter geht genervt zum zweiten Angeklagten über (den ich M. nenne).

R.: Was hat er dazu zu sagen (zur Dolmetscherin )?

M.: Es stimmt nicht , dass ich Drogen verkauft habe.

R.: Wie erklären Sie sich dann die Verhaftung und die „Beweise“?

M.: Ich bin verhaftet worden, weil ich in S.’s Zimmer war…

R.: Na gut, das haben wir auch schon gehört. (Zum dritten Angeklagten, ich nenne ihn G.): Und wie ist es Ihrer Meinung nach ?

G.: Die Polizei hat gefragt, ob ich S. kenne. Sie sagten, er ist im Gefängnis.

R. (unterbricht abermals): Das tut nichts zur Sache. Wie kommt es zu der Zeugenaussage ?

G.: Ich habe nie mit Drogen gehandelt. Den Zeugen habe ich nie gesehen. Ich vermute, er will mich absichtlich ins Gefängnis bringen.

Richter und Staatsanwalt (außer sich): Warum!?

G. zögert.

R.: Will keine Antwort geben. Also es gibt haufenweise Telefonüberwachungsprotokolle, wo es um Drogen geht, zum Beispiel das Gespräch des S. mit einem gewissen „mon amie“, wo klar über Drogen gesprochen wurde, aber das hören wir sowieso später noch. Wir sind ja hier nicht in einem Laienschauspiel! (Ich sehe den Richter an und denke, das kann ja wohl nicht sein).

Als weiterer Zeuge ist ein Informierter der Polizei Ottakring vorgeladen. Er ist in Vertretung des Inspektors Hotobi gekommen. Hotobi ist für die Lauschprotokolle zuständig. Der Zeuge erzählt über seine Arbeit: Er habe die Überwachung im Beisein von einem Dolmetscher ausgewertet. Es sind bis zu 12 belastende Telefongespräche, meist in Ibo-Sprache, was beweise, dass es um drogenhandelnde Nigerianer gehe. Diese belastenden Gespräche habe er auf einer Tonbandaufnahme mitgebracht.

R.: Was sagen sie zu den Dreien?

Polizist: Fallweise haben andere Personen die Telefone von den Dreien benutzt.

R.: Wie wurden die Telefongespräche zugeordnet?

P.: Wir haben alle Gespräche aufgezeichnet und übersetzt. Es sind 12 Gespräche.

R:. (genervt) Ja. Nach welchem System?

P.: Das Gespräch mit „mon ami“ dauert 11 Sekunden, der zweite Anruf dauert …

Der Richter nimmt ein Radio und stellt es auf den Tisch.

R.: So, das hören wir uns jetzt an.

Das Radiogerät wird an die Steckdose angeschlossen und es ertönt Musik (welche zwar sofort wieder ausgeschaltet wurde, aber ich musste trotzdem lachen, es gibt da so ein Theaterstück).

R.: Wo findet die Aufnahme statt?

P.: In der Kriminalabteilung Niederösterreich, wo Computer bereitstehen für die telefonische Überwachung.

Der Richter will das erste Gespräch hören, in dem es um „mon ami“ geht.

Der Polizei-Zeuge versucht das Band an die bestimmte Stelle zu spielen, doch er findet sie nicht. Der Richter ist schon sehr wütend. Er kritisiert auch die Kollegen des Polizisten, die genau so seien wie er. Dabei habe er die Auflistung der Gespräche extra angefordert.

Der Polizist meint dazu, dass er extra vor jedes Gespräch eine Ansage gemacht habe, in der er die Zeit des Gesprächs und die Benennung angibt.

Der Richter meint: So, damit kann man jetzt eh aufhören, das bringt eh nix. Was mach ich mit dem Bandl?

In dieser Sekunde findet der Polizist die Stelle. Und alle sind still und hören gespannt zu.

In dem Gespräch, in englischer Sprache, geht’s darum, dass „mon ami“ aus dem Gefängnis kommt, keinerlei Unterstützung hat und dringend Geld von dem Angerufenen benötigt. Dieser antwortet ständig mit O.K. und JA. Man merkt, wie die Stimmung im Saal unruhig wird. Die Schöffen schauen sich gegenseitig an und fragen den Richter, wo denn da was von Drogen zu hören sei.

Der Richter reagiert: Was hat das für einen Sinn, sich diese Sachen jetzt anzuhören, weil ich will das in der Reihenfolge, wie ich das angeordnet habe. Er gibt dem Beamten noch mal den Auftrag, die Gespräche aufzulisten.

Der Angeklagte S. steht auf und fragt, ob er was sagen darf.

S.: Das ist nicht meine Stimme und ich kann’s sogar beweisen, denn die haben davon gesprochen, dass sie sich in Graz treffen wollen, ich war aber nie in Graz, ich wohne in St. Pölten.

Der Staatsanwalt plädiert darauf, dass man die Anklage gegen S. auf schweren gewerbsmäßigen Betrug ausdehnen soll (weil der Beschuldigte in St. Pölten Sozialhilfe bezog, obwohl er zeitweise bei der Firma Feibra beschäftigt war).

Der Prozess wird vertagt. Auf unbekannte Zeit.

Fairness, ein fremdes Wörtchen

Prozessprotokolle, „ehrenamtlich“ von BeobachterInnen verfasst, die sich in Menschenrechtsangelegenheiten engagieren, sind eine neue Form der demokratischen Kontrolle des Justiz- und Polizeiapparats und der Gegeninformation. Wenn die großen Medien als öffentliche Instanzen versagen und die Schöffen, angeblich die Vertreter des „Volks“ in den Verfahren, sich zu Handlangern der Richter degradieren lassen, muss die Öffentlichkeit eben durch neue Formen hergestellt werden.

Die Lektüre dieser „inoffiziellen“ Mitschriften (wie der hier exemplarisch veröffentlichten) lehrt: Die aufwendigen Anstrengungen der Polizei, durch Videoüberwachung und Lauschangriff die Existenz einer „gefährlichen Drogenmafia“ zu beweisen, sind kläglich gescheitert. Die Videobänder und die Abhörprotokolle beweisen höchstens, dass es in Wien Afrikaner gibt, die durch den Straßendeal illegaler Drogen zu überleben versuchen. Aus der Sicht derer, die Erfolge im Kampf gegen eine internationale kriminelle Großorganisation vorweisen müssen, sind alle diese Bänder leere Kilometer.

Der überdimensionale Überwachungsaufwand muss aber irgendwie legitimiert werden. Ein Instrument dafür haben Polizei und Jusitiz in Form der anonymen Zeugen – die in den „Afrikanerprozessen“ eine Rolle spielen dürfen, die ihnen sonst nie eingeräumt wird – gefunden. Zeugen wie AZ1 liefern dem Richter „Beweise“ für das Wirken einer „nigerianischen Drogenmafia“.

Alle zivilisierten Rechtssysteme kennen das absolute Recht des Beschuldigten auf Befragung von Belastungszeugen, also auf Konfrontation. Das ist sozusagen ein grundsätzliches Verteidigungsrecht. Der Beschuldigte muss in der Lage sein, die Glaubhaftigkeit einer Zeugenaussage prüfen und den Beweiswert auf die Probe stellen zu können. Durch die Anonymität der Zeugen ist der Angeklagte in seinem Verteidigungsrecht beschränkt. Er kann die Glaubwürdigkeit des Zeugen nicht in Zweifel ziehen. Gesichtsausdruck und Körpersprache eines Zeugen, der vor dem Beschuldigten versteckt wird, können nicht nachvollzogen werden, und damit wird ein wichtiger Aspekt der Kommunikation unterschlagen. Der Beschuldigte und sein Verteidiger würden ja gerne sehen können, ob der Belastungszeuge „einen roten Kopf“ bekommt oder ins Schwitzen gerät. Keinem anonymen Zeugen kann eine eventuelle Verwechslung nachgewiesen werden.

Natürlich akzeptieren demokratische Rechtssysteme in bestimmten Fällen die Geheimhaltung von Zeugen (sie könnten ja Opfer der Rache des organisierten Verbrechens werden, wenn man ihre Anonymität lüftet). Entscheidend ist: Eine Verurteilung darf nie ausschließlich auf anonyme Aussagen abgestellt werden. Wenn es dazu kommt, dass die belastenden Aussagen des anonymen Zeugen die einzigen oder die ausschlaggebenden Beweise darstellen, müsste der Beschuldigte in dubio pro reo freigesprochen werden.

Jedenfalls in einer zivilisierten Justizlandschaft. Bei den Wiener „Afrikanerprozessen“ ist praktisch das Gegenteil der Fall. Die Richter stützen sich überwiegend auf die Aussagen der diversen „AZs“. Diese Aussagen führen dazu, dass reihenweise Urteile in der Dimension von sieben bis zehn Jahren gefällt werden. Noch kein Weißer oder Inländer, der ähnliche Delikte begangen hat, ist annähernd so hart bestraft worden.

Das Facit, das nach der Lektüre der Prozessprotokolle zu ziehen ist: Afrikanische Asylwerber können in Österreich derzeit nicht mit einem fairen Verfahren rechnen.

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