Der Ganslwirt: Vom Feindbild zur Institution
Im November ist der Ganslwirt 15 Jahre alt geworden. Drogenabhängige aus der Straßenszene erhalten dort Hilfe. Das Angebot reicht von warmen Essen, Spritzentausch, Beratung und ambulante Behandlung bis zu Notschlafstellen.
Die sozialmedizinische Drogenberatungsstelle, wie der Ganslwirt im Amtsdeutsch genannt wird, wurde im November 1990 eröffnet, zuerst als Tageszentrum zur Betreuung von Drogenabhängigen, später kamen ein Ambulatorium und eine Notschlafstelle hinzu. Das Spritzentauschprogramm wurde 1992 gestartet fünfzehn Jahre später, im November 2005, wurde das 500.000 Set getauscht: Der Erfolg ist eine im europäischen Vergleich niedrige HIV-Prävalenz unter Wiens DrogenkonsumentInnen, sagt Margit Putre, die Leiterin der Beratungsstelle.
Aus dem Hilfsnetzwerk für Suchtgiftkranke ist der Ganslwirt längst nicht mehr wegzudenken ein Erfolg, der auch Nachteile hat: Im Jahr 1990 für knapp 30 Klienten konzipiert, leidet die Drogenberatungsstelle heute unter extremer Platznot.
Ein typischer Tag im Ganslwirt verläuft so: etwa alle sechs Minuten geht die Tür für einen Klienten auf, der eines der Angebote in Anspruch nehmen will. Pro Tag finden durchschnittlich 36 Beratungs- und Informationsgespräche statt. Kriseninterventionen werden jeden zweiten Tag geleistet, und alle zwei Wochen kommt es zu einer lebensrettenden Maßnahme. Dazwischen findet auch im Ganslwirt der Alltag statt: Wäsche waschen, Duschen, Essen. Täglich kommen etwa 160 Personen, die das Spritzentauschprogramm in Anspruch nehmen, sagt Margit Putre. Wir tauschen etwa 2100 Spritzen pro Tag. Das ist schon eine große Aufgabe, weil es nicht nur um den Spritzentausch geht, sondern auch um die schadensminimierenden Informationen, die man mitgibt.
Während das Tageszentrum von 50 bis 100 Personen frequentiert wird und man immer ein Plätzchen findet, ist die aus 14 Betten bestehende Notschlafstelle praktisch zu 100 Prozent ausgelastet. Immer wieder wird Putre nach der Herkunft des Namens Ganslwirt gefragt, die recht einfach ist: in den Räumen des Drogenberatungszentrums war früher ein Gasthaus. Als die Stadt Wien dann über einen Namen nachzudenken begann, hatte sich Ganslwirt bei den Klienten schon etabliert, deshalb ist es auch dabei geblieben. Noch dazu handelt es sich um einen neutralen Namen, was in Mariahilf bisweilen nicht ganz unwichtig ist.
Erinnerung an einen Herrn Pint
In einer Stadt, 15 Jahre vor unserer Zeit. Während der damalige Bürgermeister Helmut Zilk mit dem Ganslwirt ein ungewöhnliches Projekt befürwortet, ist der damalige Bezirksvorsteher Kurt Pint vom Start weg dagegen, weil er das geplante Drogenberatungszentrum mit einem Drogenbeisl verwechselt. Mit den im Eigenverlag herausgegebenen Informationsblättern Mariahilf Aktuell rüstet er zu einer jahrelangen Hetzkampagne, die letztlich erfolglos bleibt trotz 10.000 Bürgern, die sich laut Kurt Pint dagegen ausgesprochen haben. Auch frühe Bemühungen, den Ganslwirt in den Nachbarbezirk in die Nähe des Karlsplatzes abzuschieben (auf die Grundstücke rechts von der Secession), fruchten nicht. Der Ganslwirt wird eröffnet, und es war schnell klar, dass sich die Ängste, die im Vorfeld entstanden sind, nicht bewahrheitet haben. Der Ganslwirt ist eine sehr gut integrierte Einrichtung, sagt Margit Putre, die den medialen Krieg um den Ganslwirt noch von der Sozialakademie beobachtete und erst später zum Team kam. Ich glaube, dass es den Menschen in der Umgebung gar nicht bewusst ist, welches Ausmaß der Betrieb hat. Der 24 Stunden-Betrieb mit 230 Kontakten täglich geht eigentlich sehr spurlos am Bezirk vorbei. Es hat sich auch keine Drogenszene in der Umgebung etabliert.
Forderung nach Konsumationsräumen
1990 hieß das Problem der meisten Klienten noch Heroin. Heute hat auch Kokain massiv in die Szene Einzug gehalten, und nicht zuletzt sind es auch Verhaltensauffälligkeiten verschiedener Konsumenten, die dem Ganslwirt-Team Kopfzerbrechen bereiten. Da sind wir zum Teil weit über unsere Grenzen gefordert. Auch was den zur Verfügung stehenden Platz betrifft, stoßen die Betreuer immer mehr an physikalische Grenzen: Weil die Räumlichkeiten mit den Jahren zu klein geworden sind, arbeitet das Ganslwirt-Team zum Teil unter erschwerten Bedingungen. Oft sind Zeit und Platz Mangelware, meint Benny, einer der Sozialarbeiter: Für mich geht es darum, Menschen zu helfen, die anderen Orts eher kriminalisiert oder wie Abschaum behandelt werden. Hier kann ich ihnen mit Respekt entgegentreten, und ich glaube, das ist etwas, was unsere Klienten ohnehin nicht besonders oft erleben.
Allerdings stehen dafür immer weniger Möglichkeiten zur Verfügung, weshalb einige Wünsche des Ganslwirt-Teams vorerst unerfüllbar bleiben. Wir würden uns beispielsweise Konsumationsräume wünschen, sagt Margit Putre. Manchmal gibt es Beschwerden, weil sich Klienten in umliegenden Hauseinfahren aufhalten und konsumieren. Diese Problematik könnte durch einen Konsumationsraum entschärft werden. Weil das Platzproblem akut ist, denkt Margit Putre auch über eine Umsiedelung des Ganslwirt in einen anderen Stadtteil mit größeren Räumlichkeiten nach. Das könnte durchaus auch ein Vorort sein, er müsste nur gut mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar sein, sonst wird er von den Klienten nicht akzeptiert. Als größten (politischen) Erfolg des Ganslwirt sieht sie, dass die Erkenntnis durchsetzt, dass eine niederschwellige, suchtbegleitende und akzeptierende Hilfestellung notwendig ist, um diese Menschen zu erreichen und dass so etwas nicht mehr in Frage gestellt sondern akzeptiert wird.
Info:
Ganslwirt
Esterhazygasse 18, A-1060 Wien
Tel: 01/586 04 38
www.ganslwirt.at
Öffnungszeiten: Di – So von 14.00 bis 20.30 Uhr, Mo von 16 bis 20.30 Uhr