Brutal, spielsüchtig und dem Taschendiebstahl verfallen - wie die Medien sich Jugendliche vorstellen
Alle Jugendlichen in Wien sind kriminell und gewalttätig. Diesen Eindruck könnte man beim Lesen der täglichen Gratiszeitungen bekommen. 119 «Heute»-Artikel über Teenies und Jugendliche hat eine Jugendarbeiterin gelesen, um zu verstehen, was es mit der charakterschwachen Jugend wirklich auf sich hat.Man kann von kostenlosen Boulevardblättern vieles halten, Fakt ist: Sie werden gelesen und sie bilden Meinungen. Ob die lokale High Society, Parteiskandale oder Tierbabys: im Häppchenformat servieren Zeitungen wie «Heute» und «Österreich» jeden Morgen den müden U-Bahn-Fahrenden alle relevanten Neuigkeiten. Ohne großartige Hintergrundinformationen oder kritische Würdigungen wird Meldung an Meldung gereiht – oft reißerisch, manchmal komisch, immer jedoch mit einem Ziel: Impact. Und nicht selten sind diese Blätter die einzigen Informationsquelle vieler Leser_innen. Es ist also davon auszugehen, dass – neben dem persönlichen Bild, das Menschen sich anhand ihrer eigenen Beobachtungen der Welt machen – hier Meinungen und auch Wirklichkeiten gebildet werden. Menschen werden natürlich nicht von Medien gesteuert, aber: das Gegenteil, ausschließlich aktive, souveräne Leser_innen, entspricht auch nicht der Wirklichkeit.
Hobbys: Rauben und Raufen?
In einem internen Fachgespräch im Mai 2014 haben sich Fachkräfte der Wiener Jugendarbeit über das Bild ausgetauscht, das Printmedien von Jugendlichen zeichnen. Daraufhin habe ich zwischen September 2013 und Ende Mai 2014 die Berichterstattung am Beispiel des Wien-Ressorts der Tageszeitung «Heute» über Jugendliche beobachtet. Ich habe 119 Artikel, die von Jugendlichen oder Teenies sprachen, gelesen und ausgewertet.
Jugendliche in Wien sind – geht man dem Boulevard nach – Serientäter, Räuber, Spielsüchtige, Gauner, Dealer_innen, brutale Schlägertypen, Taschendiebe, feige Dieb_innen, Täter, Angreifer, haben keine Hemmschwelle und so weiter und so fort. Sie glauben, ich übertreibe? Die aufgezählten Begriffe wurden 1:1 aus den analysierten Artikeln übernommen. Mehr als drei Viertel aller im angegebenen Zeitraum erschienenen Artikel berichten von jugendlicher Straffälligkeit. Diese bezieht sich zu über 90 Prozent auf Eigentumsdelikte, körperliche Gewalt und die Androhung ebendieser. In 35 der 119 Artikel wiederum werden zudem Jugendliche als Opfer von Raub und Gewalt durch Gleichaltrige oder junge Erwachsene dargestellt. Illustriert werden die Artikel häufig mit Symbolbildern von Messern und Schusswaffen. Die vermeintliche Bedrohlichkeit jugendlicher Straftäter_innen wird somit auch bildlich verankert. Nur ein Viertel aller Artikel bespricht – ausschließlich oder überdies – lebensweltliche Aspekte, politische Entwicklungen und Anliegen sowie arbeitsmarkt- und ausbildungsbezogene Themen. Was überhaupt als «jugendlich» verstanden wird, bleibt zudem schwammig.
Wer ist schuldig?
Die analysierten Artikel zur Delinquenz sind stereotyp organisiert: Die Tat wird zur Person, sprich: Nicht ein Mädchen stahl etwas, sondern eine Diebin wurde ertappt. Nicht ein Bursche brach in ein Geschäft ein, sondern ein Einbrecher wütete in Hernals. Dazu werden oft das Alter, der Vorname und die (vermutete) Herkunft angeben. Und auch wenn darauf verzichtet wird: Spätestens in der Online-Ausgabe der „Heute“ finden sich in der Kommentarspalte hierüber Mutmaßungen einschließlich rassistischer Abschiebe- und Vernichtungsfantasien. Kriminalität jedoch ist keine Be-, sondern eine Zuschreibung. Menschen sind nicht kriminell, sondern werden durch die Gesellschaft dazu gemacht und handeln kriminell.
Jugendliche mit Migrationshintergrund sind eine «erfundene» Gruppe, anhand welcher Bilder von Verwahrlosung und Gewalt inszeniert werden. Kollektive Vorstellungen über Migrant_innen werden mit Fantasien über Kriminalität vermengt – in Jugendlichen findet sich eine ideale Projektionsfläche. Die herrschende Meinung über straffällige Jugendliche ist freilich nicht allein Sache der Medien. Diese selektieren jedoch Themen und bestimmen mit, wann und wie über etwas gesprochen wird. Damit machen Medien Politik. Politiker_innen beziehen auch Wissen aus Medien und setzen es im politischen Diskurs ein. Die daraus resultierenden Debatten werden wieder in den Medien gespiegelt – man nennt dies den politisch-publizistischen Verstärkerkreislauf.
Kriminalstatistisch lässt sich recht leicht nachweisen, dass Menschen mit Migrationshintergrund nicht tatsächlich öfter abweichend handeln. Die Abweichung von Migrant_innen wird von der autochthonen Bevölkerung und den Strafverfolgungsorganen jedoch anders wahrgenommen und es wird auf sie besonders sensibel reagiert.
Was tun?
Öffentlichkeit ist ein genuin demokratisches Element, abgesichert von Grundrechten wie Meinungs, Versammlungs- und Pressefreiheit. Journalismus ist dabei die leistungsfähigste Art und Weise, Öffentlichkeit durch Informationsvermittlung und Meinungsbildung zu schaffen und zu formen. Wie alle Berufe ist Journalismus Wettbewerbsbedingungen unterworfen – guten Nachrichtenwert besitzen reißerische Artikel.
Die Stadt Wien inszeniert sich selbst gerne als «Jugendhauptstadt». Hier betreuen 26 Vereine mit rund 1.000 Mitarbeiter_innen an 79 Standorten junge Menschen. Es ist also auch an der Jugendarbeit als Interessenvertretung hier aktiv zu werden. Die Kinder- und Jugendanwaltschaft schlägt vor, binnen 24 bis 48 Stunden mit einer Presseaussendung auf tendenziöse Berichterstattung und Veröffentlichung von Bildern, die dem Recht der Wahrung des eigenen Bildnisses widersprechen, zu reagieren. Und auch jenseits des professionellen Auftrags, sich für junge Menschen einzusetzen, gilt die Aufforderung der kritischen Öffentlichkeit auch für alle Leser_nnen des täglichen Wahnsinns: Niemand ist verpflichtet zu glauben, was in den Zeitungen geschrieben steht.