Alles anders und dennoch gleichDichter Innenteil

Heller Osten über Frauen und Feminismus*

Im Jahr 2010 begann unser gemeinsames Studium der feministischen Politik und Bildung in Strobl am Wolfgangsee, im dortigen BIFEB, Bundesinstitut für Erwachsenenbildung, errichtet auf arisiertem Boden, ein großes schönes Areal auf dem – wenn man den Seespaziergang genießen will – immer schön brav die Erste sein muss beim lauten Grüßen von Grüß Gott. Wie gut, dass wir im tiefsten Österreich gut geschützt in einer Gruppe von denkenden und gebildeten Frauen waren, wissbegierig und offen nach neuen Informationen, Details, Fakten und Geschichten über Feminismus.

Foto: Teresa Lugstein

Zwei Jahre Studium warteten auf uns. Jeden Monat Rückzug zur Klausur in Strobl, manchmal drei, manchmal fünf Tage. Teresa Lugstein reiste mit Auto und Rolli an. Aber wie! Dynamisch und mit ihrem umwerfenden frechen Lachen. Da nahm ich kein Leid, keine Trauer, sondern eine echte Kämpferinnennatur wahr. Sie war in unserer Mitte, einer kraftvollen Runde von Frauen auf der Höhe ihrer Potenz, jede mit ihrer eigenen Story, manche schmerzlich, manche versteckt schmerzlich, je nachdem wie frau es wahrnehmen konnte.

Von Geburt an hatte Teresa eine Behinderung, Operationen, und seit sie 17 war, ging sie auf Krücken. Muskelschwund. Medizinisch nicht aufhaltbar. Bis das Wunder geschah, ein längerer Heilungsprozess, von dem sie sagt: «Es ist nichts wie vorher und doch alles gleich.» Ihre schamanischen Reisen während der Fort- und Ausbildungen bei der Foundation for Shamanic Studies praktizierte sie schon lange. Unspektakulär, aber umso erschütternder in ihrer Wirkung, so beschreibt sie eine schamanische Reise. Nach dieser war alles anders und dennoch so normal. «Wie zwei Erdplatten, die sich ineinander verschieben», so hat es sich angefühlt, und von da an waren ihre Schmerzen weg, die sie seit ihrer Kindheit begleitet, ja geprägt haben. Die Muskelkraft baute sich wieder auf, und seit letztem Herbst bewegt sich Teresa auf zwei Beinen und ohne Krücken durchs Leben. Teresa fährt in Kürze auf Urlaub und zum ersten Mal ohne Rollstuhl. Sie kann gehen! Unfassbar, als ich das erfahre, unfassbar meine Freude über ihre Heilung. Große Demut überkommt mich. Vom schamanischen Zugang her ist vieles möglich. Teresa stellt sich in diesem Zusammenhang immer wieder die Frage «Was steht an?» oder «Was brauche ich, damit es mir mit der Behinderung gut geht?»

Das Vertrauen, dass Antworten mit Sicherheit sehr klar und unerwartet kommen, ist für Teresa immer und immer wieder wahr geworden, nachdem sie schon lange Zeit vor ihrer Heilung Methoden und Zugang zur Umsetzung im Alltag erlernt hatte. Teresa sagt jedoch, sie habe die Seminare nicht besucht, um Heilung auf körperlicher Ebene zu erlangen! Ich habe mit dem Schmerz Tag und Nacht gelebt, aber nie wegen des Schmerzes um schamanische Hilfe gebeten, das wäre mir nie in den Sinn gekommen, aber meine Sicht der Welt hat sich verändert, erzählt lachend Teresa, neben unserer alltäglichen Bewusstseins- und Daseinsform gibt es auch noch andere, sogenannte nicht-alltägliche Wirklichkeiten, die existieren, die Spirits sind überall und ich fühle mich mit allem verbunden. Für den Heilungsprozess waren zudem die Intensität, die gebündelte Kraft der Spirits und die Zeuginnenschaft der schamanischen Gruppe ausschlaggebend. Der Gedanke allein «Bitte erlös mich», der funktioniert so nicht. Ich kann was bewegen, das ist der Fokus.

Ein selbstbestimmtes Leben

Auch durch mein langjähriges Engagement in der Mädchenarbeit, in Selbsthilfegruppen für Menschen mit Missbrauchserfahrungen, im Behindertenbereich ist es mir ein Anliegen, Veränderungen zu bewirken. Dabei greife ich sogenannte Randthemen auf, die ich in die Mitte der Gesellschaft holen will durch meine Umsetzung der Projekte, schildert Teresa. Die Zuschreibungen, die behinderte UND missbrauchte Frauen erfahren, sind ausgrenzend, einengend, ja eben behindernd. Dass Mädchen und Frauen mit Behinderungen ein selbstbestimmtes Leben führen können und dieselben Wünsche und Bedürfnisse haben wie alle anderen auch – Arbeit, Freizeit, Beziehungen, Sexualitäten, Familie, Kinder – das wird oft ausgeblendet. Neues Denken, neues Erfahren braucht Zeit, und ich habe mich immer persönlich stark eingebracht.

Ja, warum erzähle ich das alles – der rote Faden, der sich da für mich überall durchzieht – in allen Bereichen sind Hoffnung und Glaube ganz wichtig und natürlich auch die Bereitschaft, selber etwas dafür zu tun und nach außen zu gehen damit. Mein Alltag ist nun aber wie zuvor, sagt Teresa, und doch ist er völlig anders – ohne Barrieren. Ich will auch nicht, dass ich nur durch Krankheit wahrgenommen werde. Ich bin mehr als das. Mehr als meine Gewalterfahrungen. Mehr als meine Behinderung. Das sind alles bloß Schubladen. Allerdings ermöglichte mir meine Erfahrung einen Zugang zu den anderen behinderten Frauen, sie vertrauten mir, und wir konnten leichter miteinander reden, dadurch dass wir eine ähnliche Sozialisation durchgemacht hatten, schildert Teresa. Was ist das Ziel? Dass Menschen mit Behinderung auch gut leben können. Insofern bin ich nun als sichtbar gewordene Expertin in eigener Sache dankbar, auf so vielfältige Weise Frauen und Mädchen ermutigen zu können, uns gemeinsam stark zu machen für Veränderungen, sagt sehr trocken Teresa. Was ich auf persönlicher Ebene erfahren durfte durch die Spirits, durch schamanisch-spirituelle Wesenheiten, das ist im Prinzip sehr bodenständig und nichts Abgehobenes und lässt sich ganz kurz zusammenfassen:

Sich aufmachen und vertrauensvoll durchs Leben gehen.

INFO:

In der Sendereihe «Teresas Frauenzimmer» der Radiofabrik Salzburg gestaltete Teresa Lugstein eine Sendung mit dem Titel «Schamanismus als Herzensweg». Zum Nachhören: http://cba.fro.at/269760

*Das Autor_innen-Kollektiv «Heller Osten» beschreibt im feministischen Kontext weibliche Lebensläufe.