Wenn Sie so wollen, wird hier die Geschichte aus der Augustinausgabe 505 vom Mai fortgesetzt. Zur Erinnerung, ich hatte erwähnt, dass aufgrund dieser außergewöhnlichen Situation nicht nur die gesamte Löschgruppenanzahl 47 von gesamt Wien nach unten revidiert wurde, sondern sogar ein eigenes Dienstsystem in Kraft gesetzt wurde. Ich werde es später erläutern.
Als ich um 6 Uhr die Wache betrat, ging ich mich umziehen, waschen und hatte meine Dienstablöse mit dem Kollegen der Dienstgruppe B2. Nun war es Zeit für einen Kaffee, bevor ich mit meinen Arbeiten, die sich hauptsächlich im administrativen und organisatorischen Bereich bewegen, begann, außer natürlich, das Alarmlicht geht an, der Alarm hebt alles auf. Unser Café liegt im zweiten Stock. Im Normalfall ist es um diese Zeit prall gefüllt, da sich noch viele Kollegen der Dienstgruppe B darin aufhalten. Auch wenn sie schon abgelöst sind, geben sie sich gerne noch einem «Plauscherl» hin, natürlich mit Kaffee und manche mit Zigaretten, letztere nebenan im Raucherraum. Heute ist das anders, die Kollegen der anderen Gruppe dürfen nicht mehr hinein, sie sollen die Wache nach der Ablöse so schnell wie möglich verlassen, eine Durchmischung soll vermieden werden. Nur drei Personen inklusive Kaffeesieder, wie er so schön genannt wird, befinden sich im Raum, der zur linken Hand eine Art Theke hat. Schön brav sitzen sie, jeder an einem der drei kleinen Tische. Der Abstand wird bei uns, wenn möglich, ebenfalls eingehalten, auch wenn das, wie zum Beispiel am Einsatzfahrzeug, unmöglich ist. Für solche Fälle wurden jedem Beamten drei persönliche Mund-Nasen-Schutzmasken ausgehändigt. Zwei große Fenster zur Rosensteingasse vermitteln angenehme Helligkeit. Ein freundliches «Guten Morgen!» und ein großer Espresso folgten. Wir führten Schmäh, hauptsächlich über das Coronavirus, zehn Minuten später saß ich bereits im Büro.
Antreten und Standeskontrolle
Um 7.30 ist Antreten und Standeskontrolle, das erinnert ein wenig an das Bundesheer, das ist aber ein weit hergeholter Vergleich. Die Anzahl der Anwesenden muss sehr wohl überprüft werden, heute 24. Neuerungen jetzt zu verkünden liegt auf der Hand, da die gesamte Wache anwesend ist. Ein Rundschreiben zum Thema Coronavirus wurde veröffentlicht. Der Selbstschutz bei Einsätzen wird darin angesprochen. Kollegen, die sich zu Helfenden nähern müssen, haben sich ab nun, wenn es die Einsatzsituation zulässt, mit Gesichtsmasken (entweder die persönlichen oder FFP2-Masken vom Fahrzeug), Augenschutz, Einweghandschuhen und Einwegoveralls auszurüsten. Natürlich nur, wenn es die Zeit erlaubt und es sich um keinen Brandeinsatz handelt. Wichtig ist auch das richtige An- und vor allem Ausziehen dieser erwähnten Schutzbekleidung. Weiters wurde nochmals auf Händewaschen und Desinfizieren bei den in jedem Stockwerk aufgestellten Spendern hingewiesen. Die Küche dürfen nur mehr jene Personen betreten, die darin eingeteilt sind, also unser System «Viele Hände, rasches Ende!», wie es zum Beispiel beim Erdäpfelschälen gehandhabt wird, fällt derzeit aus.
Es folgt das Übernehmen aller Fahrzeuge, Essen anmelden und Betten machen. Anfänglich habe ich die Zahl 47 und ein anderes Dienstsystem erwähnt, darauf möchte ich nun ein wenig genauer eingehen. Im Normalfall wird danach getrachtet, dass immer 47 Löschgruppen in Wien im Dienst sind. Manchmal, bei vielen Kranken in einer Dienstschicht, wird die Zahl um eins verkleinert. Aufgrund des neuen Systems, während der bestehenden Krise, wurden mehrere Löschgruppen vorübergehend aufgelassen. Im Normalfall gibt es bei der Wiener Feuerwehr zwei Gruppen, A und B. 24 Stunden, von 7.30 bis 7.30 die eine Gruppe, danach durch Ablöse, die andere. In Hernals zum Beispiel müssen immer 34 Mann, nein, 34 Personen, immerhin haben wir auch 4 Frauen bei der BF Wien, im Dienst sein. Die Restlichen der Gruppe sind im freien Tag, eine Art Zeitausgleich, Urlaub oder auch Krankenstand. Nun wollte man, falls sich ein Beamter infiziert, nicht sofort sehr viele Kollegen in Quarantäne schicken, die Schlagkraft der Feuerwehr wäre mit einem Schlag geschwächt. Deshalb wurden nun vier Gruppen ins Leben gerufen, indem jede Gruppe noch einmal unterteilt wurde. Ich bin in der Dienstgruppe A und nun in der Gruppe A2 eingeteilt. Ich versehe drei Schichten, und danach bin ich drei zuhause. Ich habe also mit der anderen Gruppe, der A1 null Kontakt. Momentan geht es sich noch knapp aus, und es sind fast alle Fahrzeuge besetzt. Derzeit haben wir aber auch fast keine Krankenstände, Urlaube sind zurzeit nicht möglich.
Von 8 bis 11 Uhr findet normale Arbeitsleistung statt. Wir halten Übungen ab, verrichten Küchenarbeit und warten die Geräte. In der Küche sind bei uns auf der Wache immer drei Personen zum Kochen eingeteilt. Eine weitere geht einkaufen, der sogenannte Einholer. Er ist der Einzige, der die Wache außerhalb eines Einsatzes verlassen darf. Die ersten sechs Jahre meiner Feuerwehrzeit war ich auch in der Küche. Von Zwiebel schneiden über Gemüse putzen und Suppen kreieren bis zum Zubereiten von Haupt- und Mehlspeisen, alles dabei, man lernt fast wie in einer Lehre von der Pike auf. Mittag- und Abendessen wird immer warm zubereitet und jeder, dem es zusagt, kann es sich in der Früh bestellen. Für das Frühstück sorgt der Einholer.
Außergwöhnliche Dienstschichten
Jetzt in der Zeit der außergewöhnlichen Dienstschichten wurden alle Übungen abgesagt. Da im Sportbereich kein Gedränge herrschen soll, wurde erlaubt, dass bereits vormittags Sport betrieben werden kann und sich so die Kollegen über den Tag aufteilen. Wir haben alle zwei Jahre eine körperliche und gesundheitliche Überprüfung, daher steht Bewegung sehr hoch im Kurs. Die Kraft- und Cardio-Geräte auf allen Wachen schaffen wir selbst über einen Jahresbetrag an, auch eine Sauna ist auf jeder Wache verfügbar.
Somit ist momentan alles ein wenig anders. Gleicht bleibt, dass es um 11.15 Essen gibt, heute ein griechischer Vorspeisenteller, eine Salatbar ist ebenfalls vorhanden. Anders allerdings ist die Sitzaufteilung im Speisesaal, an jedem Tisch dürfen nur zwei Personen sitzen und die müssen gegenüber Platz nehmen. An wärmeren Tagen ist es einfacher, da können wir auch die geräumige Terrasse nutzen.
Wie das Amen im Gebet: Der Vormittag war komplett ruhig, doch kaum saßen wir beim Essen, ging das Alarmlicht an. Jeder wartete gespannt, denn in Gemeinschaftsräumen, wie dem Speisesaal, gibt es keinen Selektivalarm, somit weiß keiner, was kommt. «Hernals! Kommandofahrzeug, 1. HLF*, TLF*, Drehleiter, 2. HLF; 17. Bezirk, Mustergasse 1; TUS* Ausrückeordnung, betreutes Wohnen!» Wie immer wurde die Ansage wiederholt, der Speisesaal leerte sich, die gesamte Wache rückte aus. Oft sind Einsätze ein heikles Unterfangen in diesen Unterkünften. Personen, die aus den «normalen» Lebens- und Wohnzusammenhängen gefallen sind, leben auf engstem Raum in Minizimmern, wo geraucht, gekocht und so manch Unerlaubtes getan wird. Zu Zeiten des Coronavirus natürlich ein noch größeres Problem. Eine kleine Erkundungsmannschaft findet heraus, warum der Melder ausgelöst hat. Auch die Verantwortlichen vor Ort sind da sehr hilfreich und gut geschult. Brandschutz geht natürlich vor, aber auch Einweghandschuhe, Schutzbrille und FFP2-Masken werden angelegt. Bald sitzen wieder alle bei ihren Tellern, die Alarmursache war eine angebrannte Speise, ein Einsatz für ein Fahrzeug, der Rest konnte einrücken.
Danach kommt ein Teil, der für Außenstehende meist sehr ungewöhnlich erscheint, es erfolgt eine Pause bis 14 Uhr, wo auch Schlafen gestattet ist. Ich kann mich noch gut an meine ersten Tage bei der Feuerwehr erinnern. Hä, jetzt schlafen, wie ein Baby? Nach der dritten Schicht war es so weit, ich schlummerte wie ein Kleinkind.
Von 14 bis 17 Uhr die selbe Arbeitsaufteilung wie Vormittag. Denkste, keiner weiß, was die nächsten Minuten bringen, aber auch das ist das Schöne in unserem Beruf, das Ungewisse. Alle Kollegen werden aus dem Schlaf gerissen, 13.25: «Brand in der Müllverbrennung am Flötzersteig!» Passiert immer wieder, dass beim gewollten Verbrennen von Müll die Verrauchung zu stark wird und das Brandmeldesystem anschlägt. Als erste Gruppe wurde die Küchenbesatzung einrückend gemacht, jeder möchte um 17 Uhr das frische Essen auf dem Tisch haben.
Wenn das Alarmlicht angeht
Tafelspitz, Rösti, Schnittlauchsauce und Semmelkren standen auf dem Tagesprogramm, jeder konnte es warm und in Ruhe genießen, diesmal hatte die Bevölkerung Gnade, und wir wurden nicht alarmiert. Nach 17 Uhr ist freie Verfügbarkeit. Soll heißen, im Wachgelände kann jeder seinem Wunsch nachgehen. Ob nun jemand Sport betreibt, im Erdgeschoss ein kleines Fußballspiel bestreitet, sein Auto wäscht oder repariert, in die Sauna geht, im Café plaudert oder Karten spielt, fernsieht oder einfach am Zimmer liest, ganz egal. Natürlich sind Alkohol und Drogen absolut tabu, und wenn das Allarmlicht angeht und sein Fahrzeug alarmiert wird, muss er in etwa 30 Sekunden fertig angezogen am Fahrzeug sitzen. Momentan wird eben von uns Chargen und dem Offizier immer wieder darauf hingewiesen, dass sich im Sportbereich und im Ausgleichsraum, wie unser Café eigentlich wirklich heißt, nicht mehr als drei Personen aufhalten und auch der Abstand eingehalten wird. Auch das Fußballspiel in unserer kleinen Halle, wo normalerweise drei gegen drei gespielt wird, ist derzeit untersagt.
Die Statistik besagt, dass in den Abendstunden die meisten Alarme eingehen. In den Zeiten vor Corona gibt es im Schnitt etwa 100 Alarme in Wien am Tag. Im Morgen- und Abendverkehr steigt die Zahl der Verkehrshindernisse und KFZ-Entfernungen deutlich an. Während den Geschäftszeiten sind natürlich die meisten TUS-Alarme in den Betrieben. Am Abend sind viele Einsätze in privaten Bereichen, wie «Wasser durch Decke», «Unfall in Wohnung» und zum Beispiel «Personen in Aufzug eingeschlossen». Die Brände sind eigentlich sehr auf den Tag verteilt, mir scheint aber, dass es nachts öfter brennt. Kann auch daher rühren, dass ein Brand nicht so schnell bemerkt wird. Im Schnitt sollte das erste Einsatzfahrzeug in rund fünf Minuten an der Einsatzadresse ankommen.
Das Covid-19 beschert uns momentan enorm niedrige Einsatzzahlen. Alle Arten von Einsätzen, die mit dem Verkehr zusammenhängen, fallen so gut wie weg. TUS-Alarme in Firmen ebenso. Was man doch ein wenig bemerkt: Einige Menschen ertragen die derzeitigen Lebensumstände überhaupt nicht, es häufen sich derzeit Einsätze wie «Person in lebensbedrohender Lage» (zum Beispiel das Aufschneiden von Pulsadern und aus dem Ruder geratene Streitereien in den eigenen vier Wänden) und «selbstgefährdende Person» (durchgeführter oder angedrohter Suizid).
«Wasser duch Decke»
Auch in dieser erzählten Schicht war es wieder sehr ruhig auf der Hauptfeuerwache Hernals. Nach 17 Uhr gab es noch folgende Einsätze:
«Wasser durch Decke», ein Waschmaschinenschlauch war geplatzt und Wasser in die darunterliegende Wohnung gedrungen. Die WI (Wohnungsinhaber), wo der Schlauch platzte, war nicht zu Hause. Die Wohnung wurde fachmännisch geöffnet, das Wasser entfernt und die Türe wieder verschlossen.
«Unfall in Wohnung», wo eine sehr betagte Dame stürzte und über ein Notrufband, das sie am Arm trägt, die Rettung alarmiert wurde. Von uns wurde wieder die Wohnungstür geöffnet und dem RD (Rettungsdienst) der Zutritt ermöglicht. Bei solchen Einsätzen wird besonderer Eigenschutz gewahrt und nur die unbedingte Anzahl an Kollegen betritt die Wohnung. Desinfizierung der verwendeten Geräte und Schutzbekleidung ist nachher sehr wichtig.
Ein gutes Buch, ein Glas Milch wurde es nicht, so könnte ich meine letzte Wachphase in dieser Schicht beschreiben, gegen 23 Uhr ging ich schlafen. Um 6 Uhr früh kommt der Ablöser. Ich selbst bleibe meist bis 6.30 liegen, putze dann noch die Zähne und suche meinen Kollegen der Dienstgruppe B, diesmal der B2. Übergebe ihm mündlich den vorangegangenen Dienst und verabschiede mich mit einem «ruhigen Dienst!» Auch in den Zeiten ohne Corona bleibe ich in der Früh, wenn ich nach Hause gehen kann, nicht im Ausgleichsraum auf einen Kaffee. Warum? Ich weiß es nicht, habe ich mir so angewöhnt und behalte es bis dato bei, somit für mich nichts Neues in dieser ungewöhnlichen Zeit.
So, eines bin ich noch schuldig. Wie war die Zeit von 23 bis 6.30 Uhr für mich verlaufen? Um 1.30 gab es einen Zimmerbrand im achten Bezirk, der gehört zu unserem Ausrückebereich. Der Anzeiger hatte angegeben, dass Rauch aus einem Fenster im dritten Stock ausgetreten sei. Bei unserem Eintreffen wurden sämtliche Wohnungen auch darunter- und darüberliegende untersucht, es konnte nichts festgestellt werden, um 2.15 lag ich wieder im Bett. Der Puls schlägt dann doch um einiges höher, und an ein sofortiges Einschlafen ist nicht immer gleich zu denken. Da aber diesmal nicht wirklich viel passierte, eher ein Routineeinsatz, war ich bald wieder in der REM-Phase. Im Unterbewusstsein hörte ich noch, dass das 2. HLF gegen 5.30 zu einer «Person im Aufzug eingeschlossen» ausrückte. Ein Zeitungsauslieferer steckte zwischen dem 4. und 5. Stock fest.
So, und jetzt geht es ab zu meiner Familie, zum Frühstücken.
*HLF: Hilfslöschfahrzeug
TLF: Tanklöschfahrzeug
TUS: heutzutage: Telemetrie und Sicherheit; früher: tonfrequentes Übertragungssystem