Alles in Butter?tun & lassen

Illustration: Thomas Kriebaum

Lange Arbeitszeiten, zu wenig Ruhepausen, ­zu wenig Geld. Warum der Personalmangel in der Gastronomie hausgemacht ist, erzählen hier zwei Beschäftigte selbst.

Said, der in Wirklichkeit anders heißt, ist 2017 aus Syrien gekom­men, wo er eine dreijährige Koch­lehre absolviert hat. Bereits zwei Wochen nach seiner Ankunft in Wien, noch im Asylverfahren, fing er an, sich für die österreichische Kochprüfung vorzubereiten. «In der mündlichen Prü­fung kam ich mir mit den fünf Prü­fern wie vor Gericht vor», erinnert er sich. «Ich wur­de gefragt, wie ich Rinder­magen zubereiten würde. Da musste ich kreativ werden, weil wir in Syrien nur mit Kälbermägen kochen. Aber es war wohl gut genug. Trotz meinen miserablen Deutschkenntnisse damals, habe ich bestanden.» Seit 2018 arbeitet der 32-jährige Sous-Chef in einem zentral gelegenen Hotel in Wien.

Personalmangel und -fluktuation

Laut Bianca Schrittwieser, Leiterin der Arbeits­rechtsberatung der Arbeiterkammer Wien, fällt das Gastgewerbe ganz besonders durch Arbeitsrechtsverletzungen auf. Gastronomiejobs machen in Wien etwa sechs Prozent aller Beschäftigungen aus. Dennoch findet sich das Gastgewerbe auf Platz eins bei den persönlichen Be­ratungen der AK Wien. Häufig wenden sich die Menschen an die AK oder die zuständige Gewerkschaft vida, nachdem das Arbeitsverhältnis bereits beendet ist. Zu groß ist die Abhängigkeit vom Job, zu groß die Angst vor Arbeitslosigkeit.
Dabei wird in zahllosen Betrieben hän­deringend nach Personal gesucht, so auch im Hotel, wo Said arbeitet, die Fluktuation der Mitarbeiter:innen ist groß. Bestimmte Positionen seien leichter zu besetzen als an­dere, merkt er an. Als Küchenhilfe kann jede:r anfangen, auch ohne abge­schlossene Ausbildung. Trotzdem bleiben ausgeschriebene Stellen über Monate lang unbesetzt, erzählt der Sous-Chef. Dagegen reagiert die Hotelführung kreativ: «Wenn man Personen vermittelt und diese mindestens drei Monate bleiben, bekommt man bei uns eine Prämie von 500 Euro.»
Laut einer aktuellen Studie der For­schungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt FORBA im Auftrag der Arbeiterkammer Wien und der Gewerkschaft vida machen Migrant:innen fast die Hälfte der Beschäftigten in der Branche aus. Saids Eindruck nach, sind es mindestens 80 Prozent. «Ich habe sogar das Gefühl, dass mit der Zeit durch den Job mein Deutsch schlech­ter wird, weil ich ständig Arabisch rede», sagt er.
«Sowohl für Kellner:innen als auch für Küchenhilfen gilt der Kollektivvertrag für Angestellte im Hotel- und Gastgewerbe», sagt Bianca Schrittwieser. Der Brutto-Mindestlohn für Küchenhilfen beträgt dabei 1.800 Euro. Schließt man eine entsprechende Lehre ab, steigt man im Job mit 1.860 Euro auch nicht recht viel höher ein. Damit reiht der Einkommensbericht des Rechnungshofs 2023 das Einkommen von Menschen mit ganzjähriger Vollzeit­beschäftigung im Hotel- und Gastgewerbe im Branchenvergleich an letzter Stelle ein. Im Vergleich: Die Armutsgrenze liegt bei 1.392 Euro. Der kollektivvertraglich festgesetzte Mindestlohn beträgt mit 1.476 Euro netto nicht mal 100 Euro mehr.
Menschen in seinem Umfeld vermeiden das Arbeitsmarktservice, meint Said: «Keiner will etwas mit dem AMS zu tun haben. Die Leute lassen sich über Kon­takte vermitteln, um direkt nach Kündi­gung in einen neuen Job starten zu können», erzählt Said. Das AMS vermittelt Arbeits­suchenden nämlich Gastronomiejobs in allen Bundesländern Österreichs. Ar­beitnehmer:innen wären somit ge­zwun­gen, ihren Lebensmittelpunkt in andere, vor allem ländliche Regionen zu verle­gen, wo der Arbeitskräftemangel am größten ist.

Stundenlohn niedriger als Burger

Trotz gleichem Kollektivvertrag verdienen die Köch:innen und Küchenhilfen eines po­pulären Wiener Burger-Restaurants sie­ben Euro, die Kellner:innen neun Euro pro Stunde, berichtet Barbara, selbst Kell­nerin im Betrieb. Die 23-jährige Studen­tin, die ihren wahren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, arbeitet hier ge­ringfügig. Die Küchenhilfen sind zwar auf Teilzeit angestellt, arbeiten je­doch viel mehr als festgelegt und somit «unter­dokumentiert». Den Lohn­unter­schied verstünde sie nicht, denn die Ar­beit in der Küche sei schließlich durchaus härter. «Das Trinkgeld wird ge­teilt. Allerdings wird das auch stets erst auf wiederholte Nachfrage ausgezahlt», so Barbara weiter. Im vergangenen Sommer war es beim Küchenpersonal wieder der Fall. Das wurde vom Küchenchef, der einzigen Person mit Deutschkenntnissen, an die Serviceleitung weitergegeben. Bis das dann beim Chef angekommen und das Geld ausbezahlt war, sind Wochen vergangen. «Löhne werden uns generell nur in bar ausgezahlt und stimmen meis­tens auch gar nicht. Es gibt außerdem kein Weihnachtsgeld und die meisten Mit­ar­beitenden werden mindestens ein bis zwei Monate lang nicht angemeldet.»
Diese Missstände reihen sich zu den am häufigsten vorgebrachten Problemen, bestätigt Bianca Schrittwieser. Nicht nur die vielen jungen Menschen in der Branche, die begleitend zum Studium arbeiten, auch der hohe Anteil an undokumentiert Arbeitenden würden den geringen Anteil an vollversicherten Vollzeitarbeitskräften in der Branche erklären.
Die langen Arbeitszeiten und kurzen Ruhepausen bilden den Hauptgrund für Drogenmissbrauch in der Branche. «Unregelmäßige, lange Arbeitszeiten, hohes Stresslevel und eine leichtere Ver­fügbarkeit von Suchtmitteln machen An­gestellte in der Gastronomie, besonders natürlich der Nachtgastronomie, zu einer besonderen Risikogruppe», berichtet Andrea Lins-Hoffelner, Referentin beim Institut für Suchtprävention der Sucht- und Drogenkoordination Wien. Unbemerkt bleibt der Konsum nicht: Regelmäßig erreichen das Institut für Suchtprävention Anfragen von Gastronomiebetrieben, die den übermäßigen Konsum von Alkohol oder Drogen erkennen und Maßnahmen ergreifen wollen, beispielsweise in Form von Führungskräfteschulungen.

Nie wieder Gastro

Said ist der Meinung: «Jede Person kann frei entscheiden, wo sie arbeitet. Ich habe in 21 Betrieben Probetage gehabt, bis ich schließlich in diesem ge­blie­ben bin.» Über undokumentierte Ar­beit hinaus, war in den anderen immer irgendwas, das nicht passte: «Meistens dreckige, alte Küchen. Die schlechteste Hygiene haben die ganzen alten Gasthäuser. Da sind die großen Betriebe besser.»
In seinem Hotelbetrieb arbeiten 65 Per­sonen. Einen Betriebsrat gibt es nicht, ob­wohl man bereits ab fünf An­ge­stellten einen gründen darf. Eine Erfüllung der gewerk­schaftlichen Forderungen und eine Ver­besserung der Arbeitsbedingungen hält Said für Traumvorstellungen. Dafür schlägt ihm im Alltag zu viel Gleichgültigkeit entgegen.
«Arbeitgeber sind oft der Meinung, wir haben keinen Grund uns zu beschweren, weil wir in unserem Heimatland für dieselbe Arbeit ein Viertel des Geldes bekommen würden. Aber ich kenne meinen Wert. Wenn die Arbeit anstrengender wird, verlange ich eine Gehaltserhöhung und bekomme sie in der Regel auch», meint Said.
Der Großteil aller Gastronomieange­stel­lten, so ein Ergebnis der FORBA-Studie, kann sich nicht vorstellen, bei bestehenden Bedingungen bis zur Pension in der Bran­che zu bleiben. Genauso geht es Said: «Am liebsten würde ich mich mit etwas Handwerklichem wie Elektriker oder Installateur selbstständig machen. Noch­mal in der Gastro? Auf keinen Fall!»

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