Das neue Schauspielhaus eröffnet mit einer politischen Revue
Jón Gnarr war der Popstar unter den europäischen Bürgermeister_innen. Jetzt gibt ihm auch das Schauspielhaus unter der neuen Leitung von Tomas Schweigen die Ehre. Veronika Krenn hat sich die Eröffnungsrevue «Punk & Politik» angesehen und dabei durchaus Spaß gehabt – aber auch ein paar Zweifel angemeldet.
Foto: Matthias Heschl
Ein Hauch von Unfertigem umweht das neu adaptierte Schauspielhaus. Es wirkt, als hätte das Ensemble selbst Hand angelegt, um den Wänden einen schlammgrünen Anstrich zu geben und ein neues Logo zu basteln. Die Eröffnungspremiere «Punk & Politik» des Neo-Intendanten Tomas Schweigen lässt eine neue kollektive Energie spüren, als Autor_innen des Stücks zeichnen Ensemble und Regisseur. «Stadt- und Landestheater sind in der Regel stark hierarchisch strukturiert, das hat Auswirkungen auf die künstlerischen Prozesse», so Schweigen. Im Schauspielhaus könne, bedingt durch dessen überschaubare Größe, anders gearbeitet werden, er wolle «den Teamgedanken mehr in den Vordergrund rücken».
Gebeuteltes Europa, getanzte Sterne
Die Arbeit «Punk & Politik» soll exemplarisch für diesen Weg stehen. Titel und Themensetzung waren vorgegeben, erklärt der 1977 geborene Schweigen, aber Struktur, Text und Form des Abends entstanden unter dem Mitwirken der Schauspieler_innen während des Probenprozesses. «Niemand wurde dazu verdonnert, eine fremde Geschichte oder ein fremdes Konzept zu vertreten.» Der Regisseur fungierte dabei als Koordinator, als Reiseführer und erst in letzter Instanz als Entscheider.
An «Punk & Politik» ist manches hübsch verquer. Ausgehend von der Geschichte des Punk-Comedian-Bürgermeisters von Rejkyavík Jón Gnarr (2010 bis 2014) nutzt das Schauspielhaus-Ensemble in einer Art Polit-Revue das Theaterforum, um selbst eine politische Initiative für ein neues Europa zu setzen. Gnarrs Politik-Stil machte seine mangelnde Polit-Erfahrung mit Humor und Kreativität wett. Inspiriert durch ihn will das Ensemble nun die Mittel des Theaters auf die Probleme unserer Zeit – etwa den Rechtsruck in Teilen Europas oder die sogenannte Politik- und EU-Verdrossenheit – ansetzen. Das Feld solle nicht den Polit-Profis überlassen werden, von politisch aktiven Künstler_innen sollen kreative Impulse gesetzt werden. Zur Inspiration wird beispielsweise Robert Menasse in einer Videoeinspielung zu seiner Idee einer Europäischen Republik befragt, wie er sie in seinem Essay «Der europäische Landbote» thematisiert. Auch ein Europa der Regionen wird beschworen und auf der Bühne eine Politveranstaltung abgehalten. Man tanzt Sterne-Choreografien, es regnet «Lose» der Initiative www.european-republic.eu und ein gebeuteltes Europa – verkörpert von Vassilissa Reznikoff – intoniert ein Liedchen. Am Ende stehen fiktive Premierengrüße von «Punk & Politik»-Inszenierungen aus verschiedenen Ländern nach dem Motto: Schauspielhäuser, vereinigt euch!
Ebenso bekommt das Publikum – als Stellvertretung der Öffentlichkeit – gleich eingangs eine Rolle. Am Ende der Treppe, die in den Zuschauerraum führt, landet man mitten auf der Bühne. Erst durch eine Glastür gelangt man zu den Sitzplätzen und findet sich quasi außerhalb des Theaters wieder: Das Schauspielhaus-Eingangsportal ist auf der Bühne nachgebildet und durch die Geräuschkulisse wird der Schauplatz zum öffentlichen Raum. Zunächst wird mittels Laufschrift kommuniziert – der Beginn der Vorstellung immer wieder verschoben, das Ensemble und der vorbeilaufende Bühnenbildner Stephan Weber vorgestellt, «geheime» private Details werden verraten, die Meta-Ebene des Entstehungsprozesses ist Thema. Ein Schauspieler gesteht, bei den Proben seien noch Probleme mit dem Beginn, dem Ende und auch ein bisserl mit dem Dazwischen geblieben. Er soll Recht behalten.
Wir sind verpflichtet, Position zu beziehen
Ob Theater mit seiner Behäbigkeit als politisches Forum überhaupt tauge, frage ich Regisseur Tomas Schweigen. Er sieht Theater nicht als langsames Medium: «Klar, wir reagieren nicht in jeder Vorstellung auf tagespolitische Ereignisse, aber die politische Situation in Europa, mit der wir im Sommer und Herbst konfrontiert waren, ist direkt in unseren Probenprozess und in den Abend eingeflossen. So gesehen birgt Theater absolut die Chance, sehr zeitnah auf drängende Fragen der Zeit zu reagieren».Theater, meint Schweigen, könne Politik nicht ersetzen, aber Perspektiven ändern, Denkanstöße liefern. Er habe auch keine Angst, mit dieser Arbeit sehr klar Position zu beziehen: «Das halte ich für unsere Pflicht.»
«Kollektive Stückentwicklung, wie bei dieser Arbeit, braucht vor allem mehr Energie»; auch die lange Probenvorbereitung sei wichtig. «Wie die Arbeit am Stück dann tatsächlich verläuft, lässt sich im Vorfeld nur bedingt planen.» Man probiere viele Dinge aus, bis allmählich so etwas wie ein Fahrplan entstehe. Das Schöne sei, dass jede_r Einzelne wichtig sei und sich einbringe, damit am Ende die gemeinsame Sache funktioniert. Trotz gutgemeinter Ideen und witzigem Einstieg verliert sich «Punk & Politik» allerdings sehr in Polit-PR-Rhetorik – vernunftbefreites politisches Handeln ist, egal auf welcher Seite, auch nicht der Weisheit letzter Schluss.
Info:
Punk & Politik
bis 29. 12.
www.schauspielhaus.at
Jón Gnarr: «Punk war der Körper und der Anarchismus dessen Seele»
Action Man gegen Barbie und Ken
Ich mochte den Busbahnhof und traf dort sogar andere Punks. Der Hlemmur war ein Treffpunkt für Punks, Saufbrüder, Psychopathen und Sonderlinge jeder Art, die dort den ganzen Tag über kamen und gingen oder auch von früh bis spät dort herumhingen. Besonders abends und am Wochenende ging es hoch her. Dann waren oft fünfzehn bis zwanzig Punks gleichzeitig da. Ich habe keine Ahnung, wie es kam, dass der Busbahnhof zur inoffiziellen Zentrale der Reykjavíker Punkszene wurde. Vielleicht gab es einfach nicht viele Alternativen. Der Hlemmur lag zentral, es gab Bänke zum Sitzen, und dort war immer was los. Bei gutem Wetter war man zu Fuß gleich in der Innenstadt. Diesen Luxus hatten nicht viele Orte zu bieten. Außerdem wurden wir dort normalerweise in Ruhe gelassen und nicht andauernd hinausgeschmissen wie in den Kiosks (…)
Was uns verband, war die Verachtung für das bürgerliche Leben der Normalos und Spießer, also für alles, was durchschnittlich, bieder und langweilig war – und damit das Gegenteil von uns. Am untersten Ende unserer Werteskala rangierten unsere Erzfeinde, die Disco-Freaks. Disco-Freaks liefen in gelben oder pinkfarbenen Pullovern herum, waren immer wie aus dem Ei gepellt und gingen zum Tanzen ins Hollywood. Sie waren Barbie und Ken. Wir dagegen waren Action Man.
Das Wachpersonal am Hlemmur behandelte uns im Allgemeinen freundlich und korrekt. Mit manchen von ihnen freundeten wir uns mit der Zeit sogar an und nannten sie «Opa» oder «Oma». Sie kamen regelmäßig an unserer Ecke vorbei, setzten sich und hielten ein Schwätzchen. Wenn wir doch mal Ärger machten, redeten sie geduldig auf uns ein und baten uns, doch nicht so einen Lärm zu machen. Manchmal schickte Opa uns für eine Weile nach draußen, weil jemand angerufen und sich beschwert hatte. Dann zogen wir brav und ohne zu murren ab, und das nicht, weil wir vor der Autorität den Kopf einzogen, sondern aus Respekt und Sympathie gegenüber Opa und Oma. Wir wussten, dass sie nur ihren Job machten, und wollten sie nicht in Schwierigkeiten bringen.
Die Punks vom Hlemmur hatten im Grunde längst vor dem System kapituliert. Die Hlemmur-Kids waren stumpf und teilnahmslos, und letztlich war ihnen alles egal. Das war ihre Auffassung von Punk. Ich sah das ganz anders. Für mich war Punk das Leben selbst, Punk war Veränderung und Neuanfang und damit das genaue Gegenteil von Gleichgültigkeit und Stagnation. Der Punk schrie dem System ins Gesicht, und er schrie nach Veränderung. Er forderte die anarchistische Revolution, denn beides war untrennbar miteinander verbunden. Punk war der Körper und der Anarchismus dessen Seele.
Auszüge aus Jón Gnarrs autobiografischem Buch «Indianer und Pirat. Kindheit eines begabten Störenfrieds», Klett-Cotta Verlag