Als Ferry den Bertl gabtun & lassen

«Kupfermuckn»: Linzer Nachrichten von unten – seit 20 Jahren

Die Marienstraße in Linz versprüht italienischen Charme.  Kopfsteinpflaster, Häuser mit freundlichen Fassaden und wenig rollender Verkehr. Dafür sind viele Menschen zu Fuß unterwegs. Hier, im Haus mit der Nummer elf, ist sie untergebracht, die Straßenzeitung der oberösterreichischen Landeshauptstadt, die nun schon seit 20 Jahren erscheint. Andi Wahl über eine etwas jüngere Schwester des Augustin.

Foto: Walter Hartl

Als ich ankomme, steht eine kleine Gruppe Männer vor dem Haus. Sie wirken fröhlich, als ob sie etwas ausheckten. Einige Gesichter sind mir bekannt. Man kennt sich in Linz. Hier gilt die alte Weisheit, dass man jede_n im Leben mindestens ein zweites Mal trifft, mit besonderer Schärfe: Man trifft dauernd die gleichen Leute.

Ich schenke den Männern ein Lächeln und trete in die Durchfahrt des Hauses. Durch die Tür rechts und über die Treppe in den ersten Stock gelangt man zur Arge für Obdachlose. Diesen Weg nehmen jeden Mittwoch Obdachlose, aus deren Texten die Linzer Straßenzeitung zum Gutteil besteht. Seit 20 Jahren findet die wöchentliche Redaktionssitzung immer am Mittwoch um 13 Uhr statt. Gut 20 Leute treffen sich hier, um jenes Blatt entstehen zu lassen, das sie auch auf den Straßen von Linz, Wels und Steyr verkaufen werden.

Dass die «Kupfermuckn» noch immer großteils von Obdachlosen geschrieben wird, hat auch einen historischen Grund. Begonnen hat nämlich alles in der Wärmestube der Arge für Obdachlose. Weil die Leute dort nicht dauernd die Decke anstarren wollten oder Daumen drehen, hielten die Linzer Autoren Kurt Mitterndorfer und Richard Wall 1994 eine Schreibwerkstatt ab. Die so entstandenen Texte wurden bei Lesungen präsentiert und fanden viel Beifall. Im Oktober 1996 erschien die erste Linzer Straßenzeitung mit solchen Texten in einer Auflage von 3000 Stück. Diese erste Nummer wurde gratis an Passant_innen verteilt. Seit 1997 wird jede weitere Nummer von Obdachlosen und Menschen, die in Armut leben, verkauft. Der Verkaufspreis wird nach altem «Straßenzeitungs-Ehren-Codex» halbe-halbe geteilt.

Aber in den 20 Jahren haben sich einige Sonderregelungen eingespielt. So ist jede zehnte Zeitung für die Verkäufer_innen gratis, und sie bekommen bei jeder Ausgabe ein «Startpaket» von 10 Zeitungen kostenlos. Auch Restriktionen haben sich in 20 Jahren entwickelt. Redaktionsmitglieder können höchstens zwei Texte pro Woche liefern. Gekauft wird jeder Beitrag, der in die Blattlinie passt und eine gewisse Mindestlänge aufweist. Fünfzehn Euro wechseln jeweils die/den Besitzer_in. Hier weht nach wie vor der Wind der alten Schreibwerkstatt. Der erste Teil jeder Redaktionssitzung besteht in der Präsentation der in den letzten Wochen entstandenen Texte. Dabei zeigt sich sehr schnell, ob ein Schwerpunktthema funktioniert oder nicht. Etwa ein Drittel der Beiträge finden dann auch ihren Weg in die «Kupfermuckn». Aber darum geht es zuerst gar nicht. Wichtig ist das ­Schreiben als Prozess der Reflexion und der eigenen Positionierung. Dass aus all den Texten eine ansprechende Zeitung wird, darum kümmern sich ein dreiköpfiges Redaktionsteam und der Herr am Layoutcomputer.

 

Oft ist es ein ziemliches Theater

Als ich die Redaktionsräume betrete, werde ich von Bertl begrüßt. Er ist für viele Linzer_innen DAS Gesicht der «Kupfermuckn». Seit er vor einigen Jahren für ein Werbeplakat des Landestheaters (man gab die «Dreigroschenoper» von Brecht) posierte, kann er sich in puncto Bekanntheit durchaus mit dem Bürgermeister messen. Geht es um Beliebtheitswerte, sowieso! Kurt Palm setzte ihm und zwei weiteren «Kupermuckn»-Kollegen auch eine kleines literarisches Denkmal. Als Linz 2009 Europäische Kulturhauptstadt wurde, verfasste Palm das Stück «Der Zwerg ruft», in dem er sich über die Kulturhauptstadt und seine Protagonist_innen lustig machte. In dem vom Theater Phönix inszenierten Stück spielten «Kupfermuckn»-Verkäufer eine wesentliche Rolle. Der beliebte Volksschauspieler Ferry Öllinger «gab den Bertl». Seither ist Kurt Palm der «Kupfermuckn» und ihren Verkäufer_innen sehr zugetan. Unvergessen der Skandal, den er inszenierte, weil Verkäufer_innen der Zutritt in das Linzer Restaurant «Promenadenhof» verwehrt wurde. Die Restaurantbetreiber_innen mussten klein beigeben und sich bei den «Kupfermuckn»-Leuten entschuldigen.

Das ist nur ein Beispiel dafür, wie sehr die «Kupfermuckn» fester Bestandteil des (kulturellen) Lebens in Linz geworden ist. Für die Schreiber_innen und Verkäufer_innen der «Kupfermuckn» ergeben sich durch ihr Engagement oft vielfältige Möglichkeiten für weitere Aktivitäten. Eines der jüngeren Beispiele ist die Uraufführung des Theaterstücks «Antigone im Schillerpark», angelehnt an die Geschichte der Antigone von Sophokles (442 v. Chr.). War es bei Sophokles die Schwester von Polyneikes, die ihrem Bruder ein anständiges Begräbnis und damit den Übertritt ins Totenreich ermöglichte, so sind es im aktuellen Stück Obdachlose, die einem verstorbenen Kollegen seinen letzten Wunsch, im Schillerpark begraben zu werden, erfüllen. Dazu muss der Leichnam aber erst aus der Aufbahrungshalle entwendet werden. Uraufführung des Stückes, bei dem auch «echte» Obdachlose mitwirken, wird am 20. November sein.

Oft dabei bei solchen Aktivitäten ist eben Bertl. Auch das ein wesentlicher Grund für seine Bekanntheit und Beliebtheit in Linz. Er geleitet mich in die Redaktionsräume, wo ich auf Heinz Zauner, Chefredakteur und Pulsschlag der «Kupfermuckn», treffe. An einer Wäscheleine sind Ausdrucke der sich gerade in Produktion befindlichen Ausgabe ausgestellt. Zum Schluss werden es 24 Seiten sein. Viele fehlen nicht mehr.

 

Viel hat sich verändert

Heinz berichtet mir, dass sich die Linzer Straßenzeitung gerade in den letzten Jahren sehr dynamisch entwickelt hat. Aus den vormals 3.000 Exemplaren ist mittlerweile eine Auflage von 40.000 Stück geworden (bei Sondernummern bis zu 60.000). Etwas mehr als 200 Verkäufer_innen wird dadurch ein kleines Zusatzeinkommen verschafft. Neben Linz gibt es auch in Wels und Steyr Ausgabestellen, und die Zeitung wird im ganzen oberösterreichischen Zentralraum verkauft. Aber nicht alles ist besser geworden. Trotz der hohen Auflage gibt es noch viel zu viele Menschen, die die «Kupfermuckn» auch verkaufen möchten. Immer mehr Menschen geraten an den Rand der Gesellschaft. Bedenklich ist auch, dass ein immer größerer Teil der Verkäufer_innen bei der «Kupfermuckn» «picken» bleiben. Bis vor einigen Jahren konnten jeweils etwa ein Drittel der Verkäufer_innenstellen jährlich neu vergeben werden, da viele auch wieder den Absprung schafften. Nun beginnt sich für viele ihre Armut zu verfestigen und der Verkauf der Straßenzeitung zur Langzeitbeschäftigung zu werden.

Ein bedeutendes Thema ist auch die Verteidigung des öffentlichen Raumes gegen Vertreibung und Verbannung armer Menschen. Das seit 2. Mai geltende sektorale Bettelverbot in der Linzer Innenstadt bedeutet einen herben Rückschlag. Die Zeit ist wohl reif für eine neue Aktion.

Wie etwa damals, als die «Kupfermuckn», zusammen mit zahlreichen Sympathisant_innen, das Stelzhammer-Denkmal erklomm, um das, aus Stelzhammers Feder stammende, ­«Hoamatland» (oberösterreichische Landeshymne) zu intonieren. Der öffentliche Raum als «Heimat für alle» ist die Mindestanforderung des Zusammenlebens. Da wird die «Kupfermuckn», bei allem Pragmatismus, keinen Millimeter weichen. Hier geht es um Menschenrechte!

Der gesellschaftliche Wind wird auch in Linz rauer und kälter, aber der Zusammenhalt in der «Kupfermuckn» spendet auch viel Wärme. Zum Schluss unserer Unterredung lädt Bertl mich noch zu einer Führung durch das «Linz der Obdachlosen» ein. Auch so ein «Bestseller» der «Kupfermuckn», der aus einem Kulturprojekt entstanden ist. Die von Obdachlosen geführten Touren sind stets ausgebucht.

Als ich wieder auf die Marienstraße trete, blinzle ich zuversichtlich in die Sonne. Mit solchen Freund_innen lässt sich der ganze neoliberale Wahnsinn leichter ertragen.

http://arge-obdachlose.at/kupfermuckn

20-Jahres-Fest: 10. November, 19 Uhr

Kunstuniversität Linz, Hauptplatz 8