Als Maler Fantast als „Patient“ AufklärerArtistin

Anton Blitzstein

Blitzstein.jpgAugustin-VerkäuferInnen bieten seit ein paar Wochen ein so genanntes Postkarten-Book an. In das Cover sind zehn herausnehmbare Karten geklebt. Es kostet vier Euro, davon bleibt, wie es bei Augustin-Produkten üblich ist, die Hälfte der Kolporteurin bzw. dem Kolporteur. Der restliche Gewinn wandert in die Tasche Anton Blitzsteins, da Bilder von ihm die Postkarten schmücken. Höchste Eisenbahn, den Künstler, dessen Werke auch im Augustin unter Tonis Bilderleben (früher jahrelang unter Blitzsteins Donnergrollen) erscheinen, erstmals in der Boulevardzeitung vorzustellen.

Zu den spannendsten und glücklicherweise im zweiwöchigen Rhythmus wiederkehrenden Momenten bei meiner Arbeit in der Augustin-Redaktion gehört das Öffnen der E-Mails von Anton Blitzstein, wenn er ein Bild zur Veröffentlichung verschickt hat. Dem Klick der Mouse-Taste folgt unmittelbar der Flash im Hirn des Redakteurs. Den letzten heftigen verursachte Anton Blitzstein mit einem ans Kreuz genagelten Friedrich Nietzsche ein Philosoph, der den Tod Gottes verlautbarte.

Nietzsche und der Psychoanalytiker Sigmund Freud treten öfters in seinen Werken in Erscheinung. Ich weiß das nicht von Anton Blitzstein selbst, sondern aus einem Aufsatz des Kunsthistorikers Peter Gorsen. Von der Existenz dieses Aufsatzes weiß ich wiederum von Blitzstein, der aber in seiner großen Bescheidenheit die Aufmerksamkeit, die ihm dieser renommierte Professor schenkte, nicht an die große Glocke hängt.

Gorsen, sein bekanntestes Werk ist wohl die Sexualästhetik, schreibt im Aufsatz Steinhof ist überall, ein Wahnmärchen von Anton Blitzstein, Blitzsteins Werk dürfe man zu den Glanzleistungen der Art Brut und Outsider-Kunst in Österreich rechnen. Steinhof, Art Brut und Outsider-Kunst sind Namen bzw. Bezeichnungen, die fest den Psychiatrie-Stempel aufdrücken, wobei Gorsen nicht uneingeschränkt Blitzsteins Arbeiten zur Art Brut zählen würde. Diese Kunstrichtung wird sehr unterschiedlich beschrieben, so verzichtet beispielsweise Klaus Prinzhorn auf psychiatrisch-diagnostische Gesichtspunkte und schreibt von Schöpfungen autonomer Persönlichkeiten. Als Antipode gilt Leo Navratil, der Gründer des Zentrums für Kunst-Psychotherapie“ in Maria Gugging, für den es im Großen und Ganzen doch eine Kunst psychisch schwer gestörter Menschen ist.

Wie soll es gehen?

Er bereue mittlerweile, so Anton Blitzstein, sich vor gut 20 Jahren als Psychiatrie-Patient geoutet zu haben. Er sei in Wien einer der ersten gewesen, die dies getan hätten auf einschlägigen Veranstaltungen aus der Sicht des Betroffenen zu berichten. Dieses Psychiatrie-Image bekommt er nicht mehr weg, seine Worten dazu: Das pickt so! Andererseits könne er nur als Patient Aufklärung betreiben. Diese Zwickmühle ist für ihn nicht überwindbar: Ich weiß im Endeffekt nicht, wie es gehen soll.

Nach wie vor betreibt er Aufklärungsarbeit. Er ist Erfinder und seit sechzehn Jahren Herausgeber des Psychiatrie-Kalenders und Macher der Zeitschrift Erste Wiener Narrenfreiheit. Letzten Herbst initiierte er den Psychiatrie-Oscar, eine Auszeichnung für besonders Engagierte. Die Idee dahinter: In Wien gibt es nur wenige, die sich engagieren, und die sollten belohnt werden.

Auch für seine Kunst sei Wien kein gutes Pflaster, denn dort gebe es im Gegensatz zu Gugging kein Management für Patienten-Kunst. Diese Ortschaft von Klosterneuburg wurde zum Synonym für Art Brut. Dort lebende und arbeitende Künstler erlangten Berühmtheit. Ihre Werke sind für DurchschnittsverdienerInnen nicht mehr erschwinglich, doch der Wiener Blitzstein ist unbekannt, trotz der Worte eines Peter Gorsen, selbst in Gugging. Vor kurzem wollte er im Gugginger Museumsshop seine Erste Wiener Narrenfreiheit auflegen mehr oder weniger freundlich, jedenfalls entschieden, sei es ihm untersagt worden.

Das Zerlegen ist von Picasso übernommen

Zu malen habe er auf Empfehlung eines Psychiaters begonnen, und frühe Erfolgserlebnisse hätten ihn ermuntert, weiter zu machen. Das uvre des Autodidakten umfasst um die 2000 Werke Ölbilder, Aquarelle, Tempera und Mischtechnik. Als Künstler sieht er sich nicht als Realist, seine wichtigsten Bilder seien Fantasiebilder, doch lehne er sich schon einmal gerne an Picasso, von dem er das Zerlegen übernommen habe, an oder würde sich wie bei seinem aktuellen Zyklus von konkreten Gebäuden beeinflussen lassen.

Kommerzieller Erfolg ist ein Gedanke, von dem sich den Anton Blitzstein schon lange verabschiedet hat, selten komme jemand zu ihm, um auf Verhandlungsbasis ein Bild zu erwerben. Bei unserem Treffen steckt er mir noch eine kurze Selbstbeschreibung als Künstler zu. Ich lese: In dem Maße, in dem sich die Qualität meiner Malereien verbessert hat, ist der Verkauf umgekehrt proportional zurückgegangen. Über das, was mir die Menschen damit zu sagen versuchen, bin ich mir heute noch nicht im Klaren.

Für mich steht fest, ich habe zum ersten Mal ein Gespräch mit einem bedeutenden Maler und engagierten, scharfsinnigen Patienten geführt.

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