Der Fonds Soziales Wien sorgt einmal mehr für Verwirrung
Körperliche, psychische und mentale Probleme und Behinderungen erschweren es vielen älteren Menschen, sich im Betreuungsangebot und/oder Behördendschungel zurechtzufinden. Ihre sozialen Probleme wurden bisher in den Beratungszentren wahrgenommen, und es wurde mit ihnen gemeinsam an Unterstützungsmöglichkeiten gearbeitet. In allen Beratungszentren gab es bisher auch türkisch-, bosnisch- kroatisch- und serbischsprachige MitarbeiterInnen. So konnten die KlientInnen, ob mit oder ohne Migrationshintergrund, Beratung in ihren Muttersprachen erhalten. Die Beratungszentren standen auch den Angehörigen der älteren Menschen zur Verfügung.
Der Fonds Soziales Wien (kurz FSW) wurde 2004 als privatrechtliches Unternehmen im Eigentum der Stadt, bestehend aus mehreren Teilen verschiedener Magistratsabteilungen, gegründet. Natürlich unter völliger Kontrolle der Rathauspolitik. Ziel der SPÖ-beherrschten Stadtverwaltung ist damit einerseits, mit den eigenen Leistungsorganisationen den Wettbewerbsregeln der EU zu entsprechen. Es wurden mehrere FSW-eigene GmbHs gegründet, in denen Häuser für Wohnungslose, die mobile Hauskrankenpflege, die Schuldnerberatung, Seniorentageszentren und zuletzt die Spitalssozialarbeit geführt werden. Andererseits wurde mit dem FSW ein Steuerungsinstrument geschaffen, dessen Regeln sich alle Organisationen, die im Wohnungslosen-, Pflege- oder Behindertenbereich arbeiten, letztlich anpassen müssen, um bestehen zu können. Das Lohnniveau konnte damit auch nach unten gedrückt werden. Das wurde bisher auch konsequent mit der gleichzeitigen Einführung des individuellen Fördersystems umgesetzt. Das bedeutet: Jeder Hilfesuchende muss einen Antrag stellen; wenn die Fördervoraussetzungen erfüllt sind, erhält man dann eine Leistung durch private Anbieter oder FSW-eigene, gemeinnützige GmbHs.
Die Case-Manager Bedarfserheber und Verwalter
In Entsprechung dieses Schemas, nämlich alles, was Leistung ist, in eine GmbH zu stecken, zerpflückt man jetzt noch die Arbeitsweise der Sozialarbeit der Beratungszentren in einen so genannten Case-Management-Teil und in einen Durchführungsanteil. Wobei der FSW unter Case-Management nur eine Abklärung, die Erteilung einer Förderbewilligung und Leistungsvermittlung versteht. Dafür wird die Hälfte des bisherigen Personals abgestellt! Soziale Arbeit beginnt aber selten als leichte Bedarfserhebung mit folgender Leistungserbringung. Vielmehr ist Sozialarbeit ein wechselseitiger Prozess, der Vertrauensbildung voraussetzt und in dem ein vereinbarter Maßnahmenplan immer wieder verändert werden muss. In der Sozialarbeit muss eine vielschichtige Problemsituation analysiert, mit der KlientIn eine Problemlösung erarbeitet und sie/er bei der Umsetzung unterstützt werden. Das ist eine zusammenhängende sozialarbeiterische Arbeitsweise, die den Menschen in seiner Gesamtheit wahrnimmt. Diese wird derzeit von allen SozialarbeiterInnen in den Beratungszentren vertreten.
Ein Beispiel, um anschaulich zu machen, was diese Organisationsänderung ab 1. August 2009 für einen hilfesuchenden Menschen bedeuten kann: Eine 86-jährige verzweifelte Dame ruft bei der Nummer des geplanten FSW-Callcenters an.(Hoffentlich nicht mit: Wollen Sie Pflege, drücken sie die 1. Haben Sie andere Sorgen, dann drücken Sie die 5 …) Sie gibt an, dass sie durch Trickdiebe um ihre ganze Pension gebracht wurde, die Polizei schon da war und sie jetzt nicht weiß, wovon sie in diesem Monat leben soll. Sie hört etwas schlecht, kann auf manche Frage nicht ausreichend antworten. Wenn sie Glück hat, wird sie an das zuständige Beratungszentrum verbunden. Dort hebt eine Mitarbeiterin ab, der die alte Dame das ganze nochmals erklärt. Sie soll an die zuständige Case-Managerin aus der Berufsgruppe der SozialarbeiterInnen verbunden werden. Da diese nicht erreichbar ist, wird der Dame ein Rückruf versprochen.
Nach stundenlangem Warten erhält die Dame den ersehnten Anruf. Eine Case-Managerin macht einen Besuch zu Hause, da die Dame gehbehindert ist. Es gibt keine Angehörigen, sie hört schlecht und stellt sich als etwas vergesslich und misstrauisch heraus. Noch dazu scheint sie ihren Haushalt nicht mehr zu bewältigen. Nach längerem Gespräch besteht der Eindruck, dass die Geschichte mit dem Bestohlen-worden-Sein nicht recht stimmt. Sie scheint etwas den Überblick verloren zu haben. Es gilt das Misstrauen der Dame abzubauen, damit sie Einblick in ihre finanzielle Situation zulässt. Was auch nach längerem Gespräch gelingt. Es stellt sich heraus, dass ein Neffe an ihrer finanziellen Lage mit schuld ist. Das Konto ist überzogen, einige Rechnungen sind unbezahlt. Anstatt bei der Bewältigung dieser Situation selbst aktiv zu werden, muss die Case-Managerin die weitere sozialarbeiterische Durchführung an die Kollegin der operativen GmbH weitergeben. Das könnte eine Geldaushilfe sein, Ratenvereinbarungen mit den Gläubigern, Auseinandersetzung mit dem Neffen … Sie kündigt der alten Dame eine baldige Kontaktaufnahme mit diesen an sowie den Besuch der Case-Managerin aus der Berufsgruppe der Pflege, die den Bedarf einer Heimhilfe erhebt (so wie bisher), die entsprechende Förderung bearbeitet und eine Pflegeorganisation vermittelt.
Verwirrend? Frau X wird ein bis zweimal verbunden, hat es mit zwei Case-Managerinnen und zwei Leistungserbringern zu tun. Da soll man nicht misstrauisch werden? Es ist ein durchschnittliches Beispiel.
Bisher konnte eine hilfesuchende Person direkt im Beratungszentrum anrufen und wurde von einer Sozialarbeiterin vom ersten Gespräch an weiterbetreut. Gerade alte Menschen brauchen diese Kontinuität, die zu Vertrauensbildung und bedarfsentsprechender Unterstützung führt.
Wir sind da, um für Sie da zu sein
Ab 1. August soll es in jedem der acht Beratungszentren (für je 2 bis 4 Bezirke) nach geplanter Umsetzung nur mehr je ein bis zwei SozialarbeiterInnen als Case-ManagerInnen und zwei SeniorenberaterInnen geben. (Das ist ca. die Hälfte der bisherigen Besetzung). Die andere Hälfte kommt in die so genannte operative Dienstleistungs-GmbH.
Die soziale Unterstützungsleistung der ausgegliederten MitarbeiterInnen steht den KlientInnen nur mehr über Umwege zur Verfügung. Die in den Beratungszentren verbleibenden SozialarbeiterInnen sollen sich als Case-ManagerInnen auf Bedarfserhebung und Vermittlung sozialer Arbeit beschränken. Im Gegensatz zu Pflegeleistungen ist die Unterstützung durch Sozialarbeit und Seniorenberatung bisher kostenlos. Es handelt sich um eine Sozialhilfeleistung im weitesten Sinn. Diese Aufspaltung lässt vermuten, dass auch an die Einführung eines Kostenbeitrags gedacht ist. Die Beratungszentren verlieren damit einen wesentlichen Teil ihrer Funktion. Dadurch kann das bisherige Beratungs- und Betreuungsangebot nicht weiter aufrechterhalten werden. Es entsteht ein völlig unübersichtliches System, das den Bedürfnissen älterer Menschen nicht entspricht.
Der Leitsatz des Fonds Soziales Wien lautet: Wir sind da, um für Sie da zu sein. Ob die PR-Agentur, die für diesen Slogan verantwortlich zeichnet, den Hegelschen Daseins-Begriff im Hinterkopf gehabt hat? Daseiendes ist ein Zusammengesetztes aus Sein und Nichts und steht damit sozusagen mit einem Bein im Nichtsein. Das Für-die-Klienten-Dasein des FSW ist ein Zusammengesetztes aus dem Sein des sozialstaatlichen Restbestandes und dem Nichts des zeitgenössischen Effektivitäts-Fetischismus. Wie reagierten Case-ManagerInnen, käme jemand ins Beratungszentrum, die oder der den FSW-Leitsatz derartig sophisticated entzweideutet?
Eventuell würden sie eine neue Ausgliederung vorschlagen: GmbH für die Haltung, Pflege und Wiedereingliederung philosophischer Eigenbrötler …