„Altlinke und Alt68er“, 2. Teil: Elfriede JelinekArtistin

Ein Hund namens Floppy

Elfriede Jelinek, „bekannte Staatsdramatikerin einer jetzt freilich schon vergangenen Pracht“, habe die „faule Flut ihrer Dichtkunst“ über Österreich ergossen, obwohl sie den Österreichern versprochen habe, ihre Stücke nicht mehr aufzuführen. So war’s in der Kronenzeitung vom 28. Mai zu lesen. Wenige Tage zuvor war die Feindin Nummer 1 in der sonntäglichen Schriftsteller-Portrait-Serie nach Nennings Art gewür(di)gt worden. Bleibt nur zu sagen: „Nenningitis“ (Frühsommer) ist eine Krankheit, die das Gehirn befallen kann, aber keinen Arsch.

Elfriede Jelinek sagt, sie kann sich nicht wehren. Es werde sowieso über sie geschrieben, manchmal auch plakatiert. Zum konkreten Anlassfall meint sie: „Ich wusste vorher nichts davon und habe auch nichts vorab gelesen. Wenn man Henisch im Falter liest, sind da auch andere hereingelegt worden, aber mich hat Nenning in weiser Voraussicht gar nicht erst gefragt, weil er sich natürlich denken konnte, dass ich das nicht will. Andrerseits haben wir Redefreiheit, vor allem für die Kronenzeitung, und man kann sowas nicht verbieten, jeder ist frei zu sagen was er will, aber man hört eben immer nur die einen, und die andren hört man nicht“. Deswegen gewährt sie dem AUGUSTIN, dem Zentralorgan der von der Gesellschaft Ausgegrenzten und vom Leben Sanktionierten, die darauf aber keineswegs stolz sind, ein Gespräch – gerne, wie sie anmerkt.

Die Vernaderer, die alle anderen dauernd als Vernaderer vernadern, sind da schon viel wehleidiger. Ein Zuckerstreuer ist für sie eine Bombe. Und eine Torte ein tödlicher Anschlag auf ihre völkische Gesundheit: Um sie tot, ja mund-TOT, zu machen! Während die Blausäure, mit der die roten Filzläuse vertilgt werden, was ganz und gar Harmloses ist? Mitnichten! Zum Vernichten: Schon wenige Milligramm HCN oder Cyanid, das Salz der Blausäure, wirken auf Menschen tödlich (Atemlähmung). Die Cyanidgruppe blockiert das Hämoglobin und verhindert die Sauerstoffübertragung (auch ins Gehirn). Cyanwasserstoff ist mit Wasser und Alkohol in allen Mengenverhältnissen (besonders in Bierzelten und an Stammtischen) mischbar, aber in Ether wenig löslich; Blausäure ist brennbar und kann mit warmer oder abgesonderter heißer Luft explosionsfähige Gemische bilden. Früher gewann man sie aus dem deutschen Berliner Blau, wovon auch der Name „Blausäure“ stammt.

„Es wurde mir schon öfters gesagt, ich und Künstler und Intellektuelle seien an diesem verheerenden Stimmenzuwachs mit schuld, denn man habe von uns seit Jahren nichts mehr gegen Haider gehört. Ich in meiner politischen Anteilslosigkeit habe geschrieben und geschrieben, andere haben das auch getan, mal besser, mal schlechter, manche haben ihre ganze literarische Produktionspalette umgestellt auf Haider schwarz anmalen. Wie praktisch, die anderen Farben brauchen wir jetzt eh nicht mehr, die braucht alle das Fernsehn. Es ist sinnlos geworden, dieses Anrennen!“, gibt Jelinek eine Momentaufnahme ihrer Befindlichkeit wieder.

Der vom Kleinformat als Lob getarnte Kübel Hohn, der über sie und ihr Werk ausgeschüttet wurde, schaut aus wie eine der übl(ich)en Provokationen. Denn das Kleinformat wackelt und braucht wieder gemeinsame Feinde wie Staatskünstler/Altlinke/Alt68er etc., gegen die es sich vortrefflich hetzen lässt. Obwohl wir ja alle wissen, dass so ein Kleinformat mehr an Förderung/Subvention/Unterstützung in Werbeform für Goodwill einheimst als alle Staatskünstler/Altlinke/Alt68er zusammen.

Aber bleiben wir sachlich: Elfriede Jelinek wird am 20.10.1946 in Mürzzuschlag/Steiermark geboren. Während der Schulzeit beginnt sie 1960 am Wiener Konservatorium mit Orgel, Blockflöte und später auch Komposition. Beim Vater (vor 1945 als Chemiker in kriegsdienlicher Forschung tätig und deswegen vor antisemitischer Verfolgung geschützt) stellt sich eine psychische Erkrankung ein. Mit 18 Jahren inskribiert das sensible Mädchen Theaterwissenschaft und Kunstgeschichte an der Wiener Uni. Nach einigen Semestern bricht sie wegen ihrer kritischen psychischen Verfassung ab. Erste Gedichte folgen, um möglicherweise ein Ventil zu finden. Das Jahr 1968 verbringt Elfriede Jelinek in absoluter Isolation, wie sie es selber beschreibt, und verlässt für ein Jahr das Elternhaus nicht mehr. Die Vorliebe zur Tastatur der Orgel weicht jener zugunsten der Schreibmaschine. Der Vater stirbt 1969 in einem Sanatorium. Danach engagiert sie sich in der Studentenbewegung. 1971 schließt sie ihr Orgelstudium mit „sehr gutem Erfolg“ ab. Ihr Werk „wenn die sonne sinkt, ist für manche auch noch büroschluss“ kürt die „Presse“ 1974 zum erfolgreichsten Hörspiel des Jahres – heutzutage völlig undenkbar!

1972 geht die Jelinek, die sich bereits einen Namen gemacht hat, nach Berlin. Später zieht es sie in die Ewige Stadt wie Bachmann, wo sie (nicht ewig, sondern nur) ein Jahr bleibt. Es folgen Hörspiele am laufenden Sendeband. Seit 1974 ist sie mit Gottfried Hüngsberg verheiratet, der in den wilden 60er Jahren dem Kreis um den Autorenfilmer Rainer Werner Fassbinder angehörte.

Hörspiele dienen der Dramatikerin als Vorstufe zur Theaterautorin: „Die Bienenkönige“, „Die Ausgesperrten“ und Übersetzungen von Thomas Pynchon: „Die Enden der Parabel“ fallen auf fruchtbaren Boden und werden auf ebensolchem aufgeführt. Die asketische Schreiberin scheint das psychische Spannungsfeld und die selbst gewählte Isolation so dringend zu brauchen wie die Regierung die Sanktionen.

Das Drehbuch nach dem gleichnamigen Roman „Die Ausgesperrten“ wird 1982 verfilmt. Poetologische Essays für alle Zeitungen von Rang und Namen werden ihr – euphemistisch ausgedrückt – aus der Theaterpranke gerissen. Weitere Übersetzungen u.a. von Georges Feydeau und Eugene Labiche geraten wohl. 1990 gibt’s das Drehbuch zu „Malina“, zusammen mit Werner Schroeter, nach Ingeborg Bachmanns Roman. Mehr als 13 Auszeichnungen hat die Dramatikerin bereits erhalten; darunter auch der renommierte Georg Büchner-Preis 1998. Derzeit arbeitet sie am Drehbuch zum autobiografischen Bestseller „Die Klavierspielerin“ (Regie Michael Haneke). Weitere Stücke zur Lage der Nation sind in Planung. Peymann in Berlin lechze bereits danach! Unvergessen sind die „Meilensteine der Sudelkunst“ unter seiner Ägide wie „Raststätte“ und „Sportstück“, obwohl man ziemlich sicher sein kann, dass keiner der Vernaderer sich je ins Stück wagte. Sobald man nur in der Meute laut genug mitblöken kann, kann dem einzelnen nichts mehr geschehen, glaubt das vom Verstand verlassene Individuum, das sich so gerne auf Führer verlässt und von diesen dann zuerst in die Irre geführt und dann verlassen… Aber lassen wir das und stattdessen lieber sie zu Wort kommen.

„Am bekanntesten ist die `Klavierspielerin‘. `Die Kinder der Toten‘ ist sicher mein Hauptwerk, aber kaum jemand hat es gelesen, es ist völlig unbekannt geblieben, hat aber durch die Jahre später folgenden Restitutionsklagen etc.eine selbst von mir nicht vorhergesehene Aktualität bekommen. Die Toten holen sich ihr gestohlenes Eigentum wieder zurück, damals war davon nicht die Rede. Das Buch hat wirklich niemanden interessiert, und seither bin ich – das muss ich zugeben – etwas verbittert und ungeduldig und habe das Gefühl, es interessiert niemanden, was ich zu sagen habe, obwohl das wahrscheinlich nicht stimmt.“

Der Nestbeschmutzung zieh man sie bereits, als sie noch nicht so berühmt war, aber sich schon kritisch mit den Liedtexten eines gewissen Herrn Udo Jürgen Bockelmann auseinander setzte. Ein Unbequeme war sie immer schon, weil sie nie den Schein wahrte – obwohl sie darunter selbst am meisten litt!

„In den Waldheimen und auf den Haidern“ lautete die Überschrift ihrer Rede zur Verleihung des Heinrich-Böll-Preises in Köln am 2. Dezember 1986, der dann auch in der Hamburger Zeit 50/86 abgedruckt wurde. Da sie immer schon eine Mahnerin in der Denkwüste war, sieht sie sich auch als gescheitert an. Und will bekannter Weise, dass ihre Texte weggehen, weil sie ja sagt, dass sie selber nicht weggehen kann.

Da ist es nicht verwunderlich, dass man trivial sagen könnte „Tiere sind die besseren Menschen!“ Das sah man, als die Regierungs-Clique im Tiergarten Schönbrunn einritt, um werbewirksam Patentiere zu ködern. Wer da jetzt wieder an die tierlieben und menschenverachtenden Nazis denkt, ist meschugge – pardon: irre! Jedenfalls machte die seltsame Kongregation unter der Führung des Millimetternichs aus der Metternichsuite am Ballhausplatz einen Bogen um GEÄCHTETE Tiere wie Haie und Krokodile, denen man das groß- und kaltschnäuzige Vielversprechen vorwirft. Auch für Ratten fanden sich keine politischen Patenschaften, wohl doch allesamt zu falsch und verlogen.

Jelinek liebt Tiere, so scheint es, mehr als Menschen. Ihre E-Mails schliesst sie mit aus Buchstaben zusammengesetzten Tierzeichnungen ab. Auf ihrer Homepage steht über ihr liebstes Lebewesen – der Namensstifterin dieser Geschichte – geschrieben: „Das Tier selbst endet sozusagen immer unentschieden, weil es keine Lebensrichtung hat, auch wenn es das Holzerl zurückbringt, das ich geworfen habe – selber eine Geworfene, aber mit einem Ziel.“ Und: „Also ich besitze Floppy (die Hündin, Anm.), vor dem Gesetz ein Gegenstand, daher ist sie stets bei mir, die ich nicht immer bei mir bin.“

Das ist schon zuviel des Understatements: Österreich braucht sicher kritische Stimmen, mehr als sichere Grenzen! Besonders jetzt, da in Oberwart ihr Stück „Stecken, Stab und Stangl“ aufgeführt wurde. Sie schrieb es als Reaktion auf das „katastrophalste Ereignis der 2.Republik“. Das Bombenattentat von Oberwart jährte sich heuer zum fünften Mal und das OHO begann im Herbst mit der Planung. Zum Gedenken an die vier ermordeten Roma wurde das Stück in der alten Viehversteigerungshalle gezeigt. Elfriede Jelinek verfasste eine Art Epitaph für die Opfer, aber auch eine Abrechnung mit den Beschwichtigern und Verdrängern. Eine literarische Kampfansage an jene, die die öffentliche Meinung bewusst manipulieren, ebenso wie eine deutliche Warnung vor dem gegenwärtigen, oft gar nicht mehr als solcher wahr genommenen Alltagsfaschismus, bestehend aus Originalzitaten.

„Der Staatstheater-Boykott bedeutet ja, dass ich so lange – natürlich mit anderen Kolleginnen und Kollegen – versucht habe, genau das zu verhindern, was jetzt eingetreten ist. Vielleicht sind wir mitschuldig, wie jene (Burger, Menasse, etc.) immer wieder behaupten, die uns hysterischen Antifaschismus, Alarmismus und Moralismus vorwerfen. Ich weiß es nicht, es würde mich aber sehr interessieren. Ich habe mich immer bemüht, das nicht zu plakativ zu machen, sondern es ästhetisch zu verarbeiten, mit Hilfe auch der Montagetechnik wie in `Stecken, Stab‘, dass man sozusagen mit O-Ton arbeitet und selbst nicht wertet. Aber es tut halt jeder, was er kann. Nein,was er muss!“ – Wahrscheinlich braucht Österreich sie viel mehr, als sie ihren (siehe Titel).

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