Musikarbeiter unterwegs … mit dem Stiegen-Nachbarn ins Studio
Stefan Frankenberger, aus Oberbayern stammender Musiker und Musikwissenschaftler, betreibt das Studio 77. Ein Lokalaugenschein von Rainer Krispel (Text) und Mario Lang (Foto).
Trotz entschieden lärmender Baustelle (der Sound des Presslufthammers auf dem mit dem Mobiltelefon aufgenommenen Interviewmitschnitt hat etwas!) bekommt die Vorstellung rasch etwas Verführerisches, sich in diesem Hinterhofstudio im zweiten Bezirk, unweit vom Praterstern, ein, zwei Wochen auf das Aufnehmen einer Musik zu konzentrieren. Sich ganz in diese Musik hineinzulassen und in den Prozess, sie festzuhalten und für eine Aufnahme zu formulieren. Vom persönlich erlebten Glück ausgehend, Platten in von zuhause (weit) entfernt gelegenen Studios auf Kosten eines Labels aufzunehmen, lässt es sich mit Stefan, Jahrgang 77 (daher der Studioname), trefflich über die vielen Aspekte von Studios und Recording sprechen. Und darüber, wie sich die globale Musiklandschaft, nicht nur diesbezüglich, verändert hat, und ständig weiter verändert.
Workstation und Kulturarbeit.
Kennengelernt haben Stefan und ich uns vor vielen Jahren, als dieser mich zu einem musikalischen Thema befragte, im Rahmen seines Studiums der Musikwissenschaft. Komposition zu studieren ist sich nicht ganz ausgegangen («Bayern gelten in Österreich nicht als Ausländer …»), aber immerhin nahm er von seiner Aufnahmeprüfung das schöne Bild nordkoreanischer Parteioffiziere mit, die ihre Schützlinge aus einem Bus zu dieser treiben. Seit 2011 führt er das Studio 77, musste dabei vor einigen Jahren vom 18. Bezirk in den 2. übersiedeln, wo er ein ehemaliges Pferdehaus so lange sanierte, bis es sich so darstellt wie jetzt. Als nicht nur atmosphärisch bewusste, sinnliche Antithese steriler, rein funktionaler High-End-Aufnahmeräume, in denen Zeit Geld ist. Einige sanierende Liebe brauchte auch der wunderbare Kontrabass, der im einladenden Aufnahmeraum wie ein zentraler guter Klanggeist steht, am Naschmarktflohmarkt günstig samt Speditionstransport erstanden (dessen Sound noch besser, als der des Presslufthammers!). Stefans Zugang ist klar ein künstlerischer, nicht zuletzt nutzt der Multiinstrumentalist das Studio 77 für eigene Produktionen, etwa sein Musikprojekt morgen es wird schoen (Album: capriole, 2017) oder seine Audiobücher. Das Studio wird vom Verein zur Erhaltung des guten Tons betrieben, dessen Sitz es auch ist. Das Häuschen, wo früher Pferde eingestellt und Hafer und Stroh gelagert wurden, beherbergt darüber hinaus weitere Aktivitäten, etwa die Friedensbim. «Der Tag hat nur 24 Stunden», sagt Stefan, den ich, wir sind Stiegennachbarn, oft einige davon mit seinen zwei Kindern im Innenhof unserer Wohnanlage verbringen sehe. Zur Aufnahmetechnik als Konsequenz des eigenen Musikmachens gekommen und mit einem 8-Spur-Gerät gestartet, bietet er mit dem Studio 77 umfassendes Service bis hin zum Arrangement an, kann Bands und (kleine) Ensembles aufnehmen. Der Kostenfaktor ist ihm bewusst – «da sind in einer Woche schnell einmal bis zu 2000 Euro weg, alles in allem» –, dennoch ist er der Meinung, dass die Erfahrung, «ein oder zwei Wochen, geblockt, an einem runden Ding» zu arbeiten, Musiker_innen definitiv etwas zu bieten hat.
Experiment und Ritterschlag.
Gegen die Demokratisierung der Aufnahmeprozesse durch leistbares Homerecording-Equipment hat Stefan an sich gar nichts einzuwenden. So kurios es dabei sein mag, dass die Schwemme an theoretisch durch das Internet zugänglicher Musik damit einhergeht, dass bei den Streaming-Umsätzen die Löwenanteile ganz klar auf Konzernmusik entfallen. Wer die Kanäle kontrolliert, füllt sie mit seinen Produkten. Wenn die Form inhaltlich spannender Musik immer mehr das detailliert ausgestaltete Kunstwerk in Kleinstauflage wird, darf das «Detail» der Aufnahme, mit all seinen Möglichkeiten, vielleicht wieder an Wichtigkeit gewinnen. Wenn es für Musiker_innen tatsächlich der Ritterschlag ist, Vinyl zu produzieren, dann soll es doch bitte bewusst (um «gut» zu vermeiden) klingen, was darauf zu hören ist. Vom Studio als Instrument wollen wir jetzt noch gar nicht reden … Mit dem spielte sich Stefan Frankenberger zuletzt anlässlich seines Audiobuchs über die Physikerin Lise Meitner. Angestoßen davon, dass in der Physik das Experiment, das ergebnisoffene Forschen, so eine große Rolle spielt, kombinierte er quasi blind einzelne Tonspuren. Interessant, dass nicht wenige Physiker_innen, die in der Wissenschaft grenzüberschreitend agierten, privat musikalisch versierte Klassiker_innen waren, denen schon Schönberg off limits war. Mit Simon Rupp hat Stefan Frankenberger seit einiger Zeit einen jüngeren, «halb so alten» Partner mit ins Studio 77 geholt, der es mit seiner Band Crowns Of Babylon nutzt, und Musik(-Produktion) noch einmal anders wahrnimmt. «Er hat schon noch einen Begriff vom Album, aber da spielen Social Media und ein breites Auftreten eine ganz andere, wichtigere Rolle.»
Studio 77
2., Holzhausergasse 3/9a
www.studio77.at