Am RandArtistin

Musikarbeiter unterwegs … Amerika, Bregenz, Songtexte und Novellen

Drei Sekunden Jetzt heißt der neue Roman von Hans Platzgumer, lange einer der produktivsten heimischen Musiker. Sein Weg von der Gitarre zum Schreiben. Von ­Rainer ­Krispel (Text) und Mario Lang (Foto).

In der Auslage meiner Erwerbsarbeit, einem Platten- und HiFi-Geschäft, steht eine wunderbare Singles-Box von HP Zinker, eine der geileren Rock-Bands dieses Planeten. 17 Lieder aus den Jahren 1989 bis 1994, eingespielt von Hans Platzgumer (Gitarre, Stimme), Andi Puempel und David Wasik. Erschienen 2013 zum 10-jährigen Jubiläum des Labels Noise Appeal Records, dieser Tage – Gratulation! – beim 15-jährigen angekommen. Anderswo im Laden finden sich verschiedene Alben von Convertible, Platzgumers letzter Band. Das legendäre Solo-Debüt Tod der CD!, 1987 erschienen und 2008 wiederaufgelegt, suchte man freilich leider vergeblich – noch … Als Musiker hat der 1969 in Innsbruck geborene Hans Platzgumer definitiv Spuren hinterlassen – er spielte bei Die Goldenen Zitronen, produzierte ein Tocotronic-Album, sein «elektronischer» und anderweitiger (Soundtracks! Hörspielvertonungen!) Output ist nicht nur eine Geschichte für sich. Er hat dieser Tage wieder einen Wiener Wohnsitz und holt mich und Fotoarbeiter Lang netterweise zum Interview bei Dienstschluss im Laden ab. Von 2000 weltweit gespielten Konzerten erzählt er später in einem nahegelegenen Café, dessen Name nach Ägypten führt. Tags darauf stellt der Schriftsteller seinen neuen, bei Zsolnay erschienenen sechsten Roman im unweit gelegenen Literaturhaus vor.

Verdammt gute Limettenlimonade.

Der weitgereiste Hans gibt einen kundigen Hinweis zur Getränkewahl, und wir versenken uns in die Geschichte seines Ankommens beim literarischen Schreiben, «nicht ganz kurz», wie er anmerkt. Von etwa 1999 bis 2015 widmete er sich beiden künstlerischen Ausdrucksformen gleichberechtigt, wobei Fremd- und Eigenwahrnehmung als Schriftsteller zusehends an Gewicht gewannen (2016 fand sich der Roman Am Rand auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis). Das 2015 samt Präsentation beim Donaufestival bei Konkord erschienene Album Miniaturen konzipierte er als «letztes Album», nicht zuletzt im Sinne eines konzentrierten nochmaligen Anwendens seiner musikalischen Erfahrungen und Möglichkeiten.

Diese Miniaturen waren allesamt instrumental, was eine Signifikanz hat. Seine meist englischen Songtexte lässt Platzgumer nicht als Vorformen dessen gelten, was er jetzt tut. Manche sieht er heute uneitel als «peinlich», als «Jugendsünden» an – selbst die gelungeneren sind untrennbar mit der Musik verbunden und nicht dazu geeignet, für sich gelesen zu werden. Im Rahmen der Arbeit an Hörspielen für den Bayerischen Rundfunk erzählte er in der off time Anekdoten aus seinem internationalen Musikerleben. Eine Redakteurin findet, diese müssten aufgeschrieben werden. Hans setzt sich hin und tut es. Lange erlebt er diesen Prozess als Anstrengung, fast als schulisches und zwanghaftes Arbeiten. «Das hatte keinen literarischen Wert, aber die Geschichten waren gut.» Bis er durch beständiges Schreiben und das «ergebnisoffene» Feedback zweier Lektoren dazu an einem Punkt ankommt, wo das Geschriebene so «aus ihm herausfließt» wie zuvor die Musik, das Schreiben vermeintlich «wie von selbst» geht. 2017 spielt er sein letztes Konzert, in Innsbruck, das Gefühl, damit fertig zu sein, zulassend. Heute setzt er sich fast jeden Tag, «als Hobbymusiker, privat» ans Klavier. «Das brauche ich schon, zum Runterkommen, so wie andere Menschen fernsehen.»

Auf Expedition und weiter.

Der erste autobiographische Roman Expedition erscheint 2005. Der Reise eines Undergroundmusikers, so der Untertitel, mit ihren Stationen in den USA und anderswo, folgen an Romanen Weiß, ein Arktisroman, Der Elefantenfuß, Korridorwelt und Am Rand, die immer weiter vom Selbsterlebten wegführen. Meist hin zu Figuren in extremen Lebenssituationen. «Eigentlich könnte ich alle meine Romane Am Rand nennen», meint Platzgumer, und gesteht zu, dass diese als «düster» oder «harter Tobak» verstanden werden können. Die auslösenden Momente, Geschichten, die Emotion(en) oder Ideen in ihrem Zentrum verlangen aber diese Intensität, um dem Autor überhaupt zu ermöglichen, die jahrelange intensive Arbeit aufzunehmen, ganz in die zentrale Figur «hineinzuschlüpfen». Letzteres ist mit ein Grund dafür, warum er häufig einen Ich-Erzähler wählt. Wie für die Geschichte von Francois, die in Drei Sekunden Jetzt erzählt wird, der als von seiner Mutter im Supermarkt ausgesetztes Findelkind in Marseille ins Leben startet. Platzgumer, schreibend aktuell schon «ganz tief» in einem neuen Roman, lässt so präzise wie fesselnd ein existentialistisches Lebensdrama ablaufen. Bei allen beschriebenen Heftigkeiten bis hin zur obdachlosen Straßenexistenz des Protagonisten ein intensives Lesevergnügen, an dessen Ende dieser schöne Satz steht: «Das Leben, es ist nicht allzu schlecht.»

 

Hans Platzgumer:

Drei Sekunden Jetzt

Zsolnay 2018, 256 Seiten 22,70 Euro

www.platzgumer.net