Am SchalterDichter Innenteil

Ein blauheißer Himmel mit Sonnenspitzen, die den Kopf durchbohren und das Hirn sieden, bis Busenhalter und Unterleibchen fortgerissen werden, hervorgezogen unter der Kleidung oder statt dieser getragen, nackte Schultern und Brustspitzen, die das bisschen Windfecheln genießen möchten. Zierliche, kunstvoll verzierte Zehen und verbogene mit roten Erhebungen stecken in Schlapfen und Sandalen, aufwärtsgleitende schlanke Beine und solche mit geschwollenen Waden, Blutergüssen und Krampfadern geben sich der Öffentlichkeit preis, damit Luftiges sie umstreiche.

Illustration: Dasha Zaichanka

Aus der grellen Hitze falle ich ins Halbdunkel des physikalischen Instituts. Hinter dem Schalter ein schmales Gesicht, eingefasst von einem schwarzen langgewundenen Kopftuch, das über die Brust und über den violetten, bodenlangen Körperumhang hängt. Während ich warten muss in der langen Reihe, rasen die Hormone, von der Hitze entfacht, im Flächenbrand über die Haut. Ist das notwendig, schießt es in meinem Hinterkopf, während der Körper seine heiße Last nicht fortschleudern kann. Eine Spirale an hässlichen Gedanken dreht sich hinauf zu einer Spitze, an der die Worte überlaufen und Inhalte brechen. Amtsgewalt, Verfügungsgewalt, Bestimmungsrecht, Vereinnahmung, Zwangsmaßahmen, allgemeines Verhüllungsgebot, tönt es aus allen Ämtern und Lautsprechern, zehn und mehr Gebote … Das schmale ernste Gesicht mit den Augenbrauen, die über der Nasenwurzel zueinander wachsen, spricht leise und hochdeutsch. Ich lege meine Karte auf das Pult, setze mich rasch, während mein Entsetzen über jene Gedanken kreist und ich hilflos die Wolke einfangen möchte.

Die Erinnerung

Ich lehne jede Pflicht ab, die meinen Körper betrifft, Achsel-, Augenbrauen und Beinrasur habe ich ebenso abgelehnt, schimpft es in mir. Die Erregung greift über in die Erinnerung, wieder sehe ich mich Nylonstrümpfe von den Beinen reißen, die meine Mädchenhormone verabscheuten in der Schule, enge Röcke und Schuhe tragen, die das Gehen verdrehen und wie ein Käfig von allen Seiten gefangen halten, die Beine aneinandepressen beim Sitzen mit dem Rock, sehe mich erröten wegen der Mahnung, dass man das weiße Dreieck aus Stoff sehen könnte, während Werken und Fußballspielen verboten sind, und Männer das Zeichen zur Abfahrt des Zuges geben und Straßenbahnen, Autos und Familien lenken. Langsam sinkt die Erregung und dehnt sich aus in die Unsicherheit, die ich in öffentlichen Räumen empfand, die Beklemmung beim Sprechen, die Unterwürfigkeit und Angst vor Ämtern und Autoritäten. Ich atme auf, als das Muster sich abschält von meinem Körper und die hochgezogenen Schultern freigibt. Wie ein Kind die mythisch überhöhten Träger von Uniformen mit seinem Urgrauen belegt, denke ich und lächle. Ich blicke über die Stühle und Menschen, zu den drei Frauen hinter dem Schalter, die von meinem Aufruhr unerreicht, friedlich miteinander arbeiten, während schräge Sonnenflächen, vom Glas der Eingangstüre gedämpft, meinen Blick erhellen. Ich denke an die freundliche Begegnung mit den muslimischen Frauen in meiner Umgebung, an jene fleißige mit Kopftuch, die «immer Arbeit» antwortet und lacht, und das selbständig eröffnete Geschäft der Familie bis in die Nacht führt. Ich denke an den türkischen Supermarkt, in dem die verschleierte Kassiererin mir einen Granatapfel schenkte, und Waren billig und farbenfroh und ohne Vorurteile jedem Kunden und jeder Kundin angeboten werden. Wachstum, Vielseitigkeit, kultureller Austausch sind jetzt Worte, die ich wie Früchte genieße.

Ist das notwendig?

Am nächsten Tag stehe ich wieder am Schalter für meine Behandlung. Ein breit bestrichener Himbeermund, der keine Ränder akzeptiert, öffnet sich, schließt sich. Abwischen, Sie haben da etwas kleben, denke ich. Die schwarzgefärbten Haare, zu einem Teil in einem Schopf hochgebunden, tintenschwarze Striche, die kein Augenbrauenhaar erkennen lassen. Die gewichtigen, weißen Schenkel, vom Sitzen in die Breite gedrückt, vom Rand der Shorts eingezwängt, die an der Mündung des Oberschenkels in das Becken enden. Ich beäuge die rosa künstlichen Fingernägel, um mein Bild zu vervollständigen. Ist das notwendig, schießt es in meinem Kopf und rote Flecken blinken in meinem Gesicht. Daneben sitzt die blasse, violett gekleidete Frau mit dem Tschador. Wir lächeln uns an, dann versinkt sie in sich. Was mag sie empfinden? Sie darf nicht aufbegehren, denke ich, sie muss als Anwärterin für eine öffentliche Position mit einer nachrangigen Kultur und Lebensweise ein unbeirrbar sachliches Verhalten vorweisen, das ihr Innenleben ebenso verhüllt. Wieder leide ich an der Gedankenspirale, die mich quält, sobald ich morgens an einen Schalter trete. Ich blicke auf die dritte Angestellt, ihr graues T-Shirt, den dünnen Haaransatz am Mittelscheitel, von dem feine, graubraune Locken herabschweben, das blasse, ungeschminkte Gesicht mit den Augenschwielen, die den Kampf ums Dasein unterstreichen. Der Blick ist konzentriert, zur Arbeit gesenkt. Die Anstrengung des Daseins scheint genug zu sein. Die Anstrengung, eine Anwesenheit zu halten, die dem Körper nicht von alleine gegeben ist. Ich erinnere meinen Kampf um das tägliche Aufstehen und Durchhalten, das Stundenzählen. Ist das notwendig, sage ich zur Masseurin, die mit Fingern, rascher als es meine Haut empfangen kann, im gleichbleibenden Druck über die schmerzenden Erhebungen fährt, dass Sie ohne Pause mit einer so geringen Bezahlung arbeiten?

In aufhellend lächelnder Gemeinschaft

Wieder sitze ich auf meinem Wartestuhl. Mit freundlich verbindlicher Stimme werden die Kunden weiter betreut. In aufhellend lächelnder Gemeinschaft schwingen die Sätze zwischen den Angestellten. Das weiße, abgerundete Pult, das in Brusthöhe über die Querseite des Raumes zieht, glänzt und stützt die müden Arme der Ankommenden. Über den Köpfen querhängend, zart ummanteltes, sanftes Neonlicht. Ich trete an den Schalter und blicke auf eine durchsichtig weiße Seidenbluse, leger aufgeschlagen, aus der sich zwei Brüste wölben, pralle Kugeln mit der tiefziehenden, geheimen Furche in der Mitte, wie Dirndlbrüste beginnen sie beim Vorbeugen gefährlich zu schwanken, drohen abzustürzen mit ihrem Gewicht, das knapp über der Brustwarze vom weißen Mini-Busenhalter abgefangen wird. Ist das notwendig, denke ich und blicke auf die verschüchterte, mit ineinander verschränkten Fingern daneben sitzende, kleiner werdende Gestalt der Frau mit dem grünen Tschador, ihre im Verhältnis zarteste Figur, die wie ein Kind zusammengefaltet dasitzt und den Arbeitsablauf unterhalb der herabsinkenden Brüste erfassen möchte. Lächelnd, mit schmelzender Stimme aus weichem Himbeermund wird sie gefragt, ob sie übernehmen möchte.

Nach der Behandlung sind die angespannten Muskeln eingebunden in eine geschmeidige Bewegung. Rosa Haut, leicht geöffnete Lippen und ein weiter Blick. Hinter dem Pult, das über die Breitseite des Raumes die drei Frauen verbindet, erscheint eine vierte mit blonden kurzen Haaren und erklärt der Muslimin lachend den Arbeitsablauf. Plötzlich scheint alles in Ordnung zu sein, und das Äußerliche, das die Seele vor sich aufbaut und an jede Wand wirft, bevor sie in ein Haus einzieht, weicht einem gemütlichen Innenraum.

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