Am Stand der ZeitDichter Innenteil

Illustration: © Thomas Kriebaum

Die Ständer sind vorbereitet. Heute, irgendwann in der langen Nacht, werden die Taschen mit Zeitungen befüllt, und morgen, in aller Früh, können die Weltnachrichten entnommen werden.

Es ist eine Routine da, eine Wiederholung der Abläufe, ­viele werden – so wie ich es vorhabe – morgen am Vormittag mit einem Ziel im Park unterwegs sein, um eine Zeitung zu besorgen und dann den Tag mit neuen Informationen zu beginnen.

Ich bilde mir ein, dass mich die anderen beobachten, ob ich die Euro 1,80 bezahle, um als Gegenwert die Zeitung in der Hand zu halten. Ich tue es, bezahle genau, manches Mal zu viel und werfe die Münzen fester ein, sodass die anderen davon erfahren und mich nicht für etwas verurteilen, das ich nicht getan habe.

Damals, in der alten Zeit, war das Zeitungspapier die einzige aktuelle Informationsquelle, die Menschen haben den Kolporteuren die Nachrichten aus der Hand gerissen, und sind auf dem weiteren Weg in den Nachrichten eingetaucht, in Doppelseiten versunken, um sich weiterzubilden, Neuigkeiten zu erzählen, um informiert und belesen durch den Tag zu wandern.

Und nun? Durch die Informationsüberflut der elektronischen Bilder, durch die sekündlich aufscheinenden neuen Informationen, durch die permanente Abnutzung ist der Sinn ermüdet, die Fluten der emotionalen Fakten sind schwer zu verarbeiten, schwer zu erfassen, nicht greifbar und dennoch voll seelischen Gewichts.

Nun lese ich die Tageszeitung zur Erholung, es fühlt sich gut an, Papier auf den Fingern zu verspüren, einmal in keinen Bildschirm zu blicken. Die Berichte in Verbindung mit den Bildern werden zur Entspannung, Entschleunigung betrachtet und die Fakten und Zahlen, die Weisheiten und Anekdoten, die Zitate und Geschichten werden neben dem kälter werdenden Kaffee und der zart schmelzenden Butter auf Roggenbrot gustiert.

Hier, zwischen Druck und Blatt, zwischen sich Beruhigenden und Stehenden, hier wird die Zeitung ausgebreitet und selten findet sich die Zeit in dieser unruhigen Welt, um innezuhalten und einen Gedanken in sich sickern zu lassen, dass er darin verbleibt, dass er etwas bewirkt. Wie die Sesamkörner auf dem Brot fallen einzelne Impressionen durch die Aufmerksamkeit und landen ungenossen auf dem Boden.

Vielleicht wache ich morgen auf, gehe meinen gewohnten Weg, bezahle die Zeitung und lese nur gute Nachrichten. Der Weltfrieden ist ausgerufen und wird von allen praktiziert, die Bilder von weißen Tauben, die überall auf der Welt fliegen, um den Frieden zu verkünden, sind auf der ersten Seite, Essen ist für alle da und wird zu allen geleitet, die Umwelt wird nicht mehr verschmutzt und erholt sich stündlich von all den Verunreinigungen, und alle Ethnien und Nationen sind aneinander interessiert und lassen die Tiere in Ruhe leben … und Rapid hat die Meisterschaft gewonnen (okay, das ist wirklich utopisch).

Am Stand der Zeit steht hier ein Zeitungsstand, noch ohne Inhalt, mit viel Leere. In wenigen Stunden wird dieser befüllt, um im Laufe des Tages an Wert zu gewinnen und an Inhalt zu verlieren. Lassen wir die Zeit so stehen, und füllen wir sie mit Informationen, sie werden hoffentlich eine Fortsetzung erfahren.

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