«Am wichtigsten ist mir, die Dankbarkeit nicht zu verlieren»tun & lassen

Christoph Schlick

Er war Mönch, hat dann geheiratet und musste schwere Schicksalsschläge hinnehmen. Der Theologe und Therapeut Christoph Schlick beschäftigt sich mit der Frage nach Sinn im Leben, und damit, wie man diesen nicht verliert. ­Darüber hat er Eva Maria Bachinger (Text und ­Interview) erzählt.

Foto: Andreas Hauch

Christoph Schlick, 1961 in Graz geboren, begann nach der Matura zuerst Rechtswissenschaften zu studieren, da er die Anwaltskanzlei seines Vaters übernehmen sollte. Er studierte aber auch Theologie und entschloss sich mit 19 Jahren, in das Benediktinerkloster Seckau einzutreten. Nach seinem Studienabschluss übernahm er zuerst die Internatsleitung und später auch die Wirtschaftsführung der Abtei. Zunehmend begann er die Sinnhaftigkeit seines Tuns und der Gemeinschaft in Frage zu stellen. Er wollte Neues schaffen, stieß aber auf Widerstand. Bereits als Jugendlicher hat er den Wiener Psychiater Viktor Frankl in einem Vortrag gehört. Sein sinnorientierter Therapieansatz ließ ihn nicht mehr los. Er begann eine Ausbildung in Logotherapie und Existenzanalyse. Nach mehr als 20 Jahren verließ er das Kloster und gründete 2001 in Salzburg sein eigenes Institut, das er SinnZentrum nannte und an dem er die Lehre Frankls weiterentwickelt, andere Interessierte ausbildet und persönliche Beratung anbietet.


Irgendwann stellt sich jeder einmal die Frage: Was ist der Sinn meiner Existenz? Warum das alles?

Es geht nicht darum, nach dem Warum zu fragen, sondern nach dem Wofür. Wir können nicht den großen Sinn des Seins erfragen, denn das Sein als solches können wir nicht in Frage stellen. Das Sein ist. Es geht darum zu fragen: Wofür lebe ich? Sinn kann ich erfahren, wenn ich versuche, im Moment zu bleiben, mir bei jedem Tun darüber bewusst werde, was ich tatsächlich erlebe. Sinn kann ich durch Beziehungen, zu anderen, zu mir selbst und zu einer größeren Kraft erfahren. Nach Viktor Frankl geht es darum, Sinnerfahrung im Detail zu machen. Wenn ich bewusst Tee trinke, macht das einen Unterschied, als wenn ich einfach nur Tee trinke. Der Begriff Achtsamkeit ist heute so modern, es ist aber nichts anderes, als Frankl mit dem Begriff ‹Erlebniswerte› meint. Also bewusstes Erleben als Sinnstiftung.

Sie strahlen viel Zuversicht und Gelassenheit aus, was bemerkenswert vor dem Hintergrund ist, dass Sie selbst viele Brüche erlebt haben. Sie waren 20 Jahre Benediktinermönch, haben das Kloster dann verlassen, später ihre Frau kennengelernt und geheiratet. Doch bei der Geburt ihrer Zwillinge vor elf Jahren starb ein Mädchen, das zweite ist seitdem beeinträchtigt. 2017 verstarb ihre Frau auf tragische Weise. Wie haben Sie das gemeistert?

Ich versuche jemand zu sein, der bewusst diese Übergänge erlebt und sich damit auseinandersetzt. Ich sage immer etwas humorvoll ‹Schlicksalschläge›. Gemeistert? Ich bin sehr dankbar, dass ich Urvertrauen und Spiritualität aus meiner Familie und dem Kloster mitnehmen durfte. Ich spüre eine starke Verbundenheit. Die stetige Auseinandersetzung hält mich wach und bringt mich zu der Überzeugung: ‹Trotzdem zahlt es sich aus›. Letztlich ist es eine Willensentscheidung, sich nicht zurückzuziehen. Dazu gehört eine große Liebe zum Leben und ein Verantwortungsgefühl, zum Beispiel gegenüber meiner Tochter. Ich kenne auch den Zweifel, den Grant. Oder manchmal plätschert es auch bei mir dahin, aber ich versuche, mich immer zurückzuholen. Ich bin dankbar, dass ich immer wieder sagen kann, es ist gut. Das Leben fordert bis an die Grenze, aber das Leben überfordert mich nicht. Man kann zu schwierigen Situationen immer eine neue Einstellung bekommen, sonst bleibt man Opfer der Umstände.

Was ist für Sie wirklich wichtig im Leben?

Gesundheit. Beziehungen zu Menschen. Erleben der Natur und von Kunst in allen Sparten. Ich kann mich sehr dafür begeistern, eine Ausstellung zu sehen. All das macht mich grundsätzlich zu einem aufmerksamen, achtsamen, hoffentlich respektvollen und dankbaren Menschen. Am wichtigsten ist mir, die Dankbarkeit nicht zu verlieren. Ich will nicht griesgrämig sein. Liebe ist mir ein zu diffuser Begriff, Erfüllung ist besser. Ich hoffe auch, dass ich das Gefühl des Urvertrauens nicht verliere.

Sinnleere scheint ein gesellschaftliches Phänomen zu sein, gleichzeitig sind wir reich wie nie zuvor. Woran liegt das aus Ihrer Sicht?

Wenn sich Sinn im Konsum und im eigenen Ego erschöpft, tritt erst recht Sinnleere auf. Denn Erfüllung findet man nach Frankl vor allem in der Selbstdistanzierung und in der Fähigkeit, über sich selbst hinauszuwachsen: in einer Aufgabe, in Bezug auf das Du und auf sich selbst, in der Spiritualität. Wesentlich ist, vom starken Ego-Bezug wegzukommen, zum Beispiel mit Hilfe von Humor. Es wird dem Einzelnen aber auch sehr schwer gemacht, da die liberale Marktwirtschaft kein großes Interesse an kritischen, in sich ruhenden Bürgern hat. Wir haben so viele Möglichkeiten, das Angebot ist so groß und es fällt uns schwer, Entscheidungen zu treffen und – auch kein populäres Wort – zu verzichten. Es ist schon gut, dass es viele Angebote gibt, aber wir müssen lernen, damit umzugehen, wo hört es auf? Man denke allein an ein Haarshampoo-Regal im Supermarkt. Das ist eine überwältigende Wand, wenn ich das alles kaufe, habe ich genug für den Rest meines Lebens. Das ist irre. Sören Kierkegaard schreibt: Angst ist der Schwindel vor dem Abgrund der Freiheit. Angst entsteht im Bewusstwerden der vielen Möglichkeiten, und nun muss man sich entscheiden. Wenn einem das nicht bewusst ist, schwingt das latent immer mit. Wenn ich die ersten zehn Shampoos ausprobiert habe, bekomme ich Stress, weil die restlichen 700 nicht mehr schaffe. Das ist bei vielen anderen Dingen auch so. Wir nehmen uns auch zu wenig Zeit für uns selbst, Zeit, wo nichts ‹passiert›. Und ich glaube, dass wir zwar so viel tun, aber nichts mehr dabei erleben. Es geht darum, sich die Frage zu stellen, welche Beziehungen führe ich, und wie, was erlebe ich in meinem Tun, wie gehe ich in die Natur, was erlebe ich dabei?

Früher hatten die Menschen viel weniger Zeit für sich und mussten sehr viel arbeiten, zum Beispiel in der Landwirtschaft. Wieso hatten sie kein Burn-out?

Gerade die Arbeit in der Landwirtschaft kann sehr meditativ sein. Sie waren nicht ständig abgelenkt und wurden nicht ständig mit neuen Informationen konfrontiert. Sie haben sich einer Aufgabe ganz zugewandt. Unsere Großeltern haben noch bewusster den Rhythmus der Natur erlebt und dadurch auch Pausen gehabt. Es ist eine enorme Entschleunigung, die Arbeit in und mit der Natur. Man kann Momente für sich haben und dabei trotzdem was tun.

Die Logotherapie stellt nicht die Defizite oder die Lust des Menschen in den Mittelpunkt, sondern seine Sehnsucht nach Sinn. ‹Healing by meaning› hat Frankl postuliert. Was ist damit gemeint?

Im Deutschen wird ‹healing› mit heilen übersetzt, aber im Englischen ist damit auch ‹Ganz-werden› verwandt (whole), mit all den Defiziten und Potenzialen. Frankl hat seinen Ansatz vor der Nazi-Zeit formuliert und musste ihn an sich selbst erproben: Seine erste Frau und seine Eltern wurden ermordet. Er selbst überlebte das KZ Auschwitz-Birkenau. Nach solchen grauenhaften Erlebnissen trotzdem den Lebensmut nicht zu verlieren ist ein Zeugnis der enormen Kraft des menschlichen Geistes. Nach dem Lebenssinn zu fragen ist einerseits eine große Frage, andererseits muss man sich im Kleinen auf Spurensuche begeben. Jeder Mensch erfährt Übergänge wie Schulschluss, Jobwechsel, neue Beziehung, Krankheit, Tod von Nahestehenden. Wir sind aber auch gesellschaftlichen Strukturen ausgesetzt, die zu Krisen führen können, etwa soziale Ungerechtigkeit. Als Therapeut kann man dagegen nicht viel tun, aber ich kann mit Hilfe der Logotherapie anbieten, mit meinen Klienten an ihrer Haltung dazu zu arbeiten. Es geht darum, nicht anhaltend zu hadern, sondern zu erkennen, dass das Leben fragt und man seinen Fähigkeiten, seiner Lebenssituation entsprechend zu antworten hat und für sein Leben Verantwortung übernehmen muss. Wer das nicht tut, sich davonstiehlt, wird es in seiner letzten Stunde schwer haben.

Aber es gibt tatsächlich auch gänzlich sinnlose Situationen, etwa bei einer Krankheit im schmerzvollen Endstadium.

Ja, das ist so und da darf ich auch mit Wut oder Depression reagieren. Und trotzdem. Ich halte da immer dagegen, denn was ist die Reaktion auf die Sinnlosigkeit? Leiste ich nur Widerstand oder kann ich es langsam annehmen? Ich muss die Situation sicher nicht umarmen und lieben, sondern es ist schon viel gewonnen, wenn ich sie zumindest akzeptieren kann, im Sinne von: Mein Leben war nicht toll, aber es war eben mein Leben.

Buchtipps:

Christoph Schlick: Schick die Affen spielen. Wie Potenziale

realisiert werden können

Kösel Verlag 2018

160 Seiten, 18,50 Euro

Christoph Schlick: Was meinem Leben echten Sinn gibt. Die wichtigsten Lebensfragen klären

Scorpio Verlag 2017

176 Seiten, 17 Euro

Viktor E. Frankl: … trotzdem ja zum Leben sagen. Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager

erschienen 1946, als Taschenbuch im Pinguin Verlag 2018

192 Seiten, 10,30 Euro