Ambiguitäts­toleranztun & lassen

Illustration: Thomas Kriebaum

Speakers' Corner (14. Februar 2024)

Putin hatte eine glückliche Kindheit. Voll mit Zärtlichkeit, Augenhöhe, Achtung vor seinen Grenzen. Merkt man gleich. Als er klein war, haben ihn alle für voll genommen. Kein Erwachsener hat ihn behandelt, wie man sich nie trauen würde, andere Erwachsene zu behandeln. Und das gilt für alle wie ihn.
Natürlich #not. Als ich kürzlich er war, war ich (erstens) bereit, jemandem weh zu tun, und habe es (zweitens) auch getan. Mein älteres Kind könnte das bestätigen – hätte es genug Ambiguitätstoleranz: Die Mama ist gut und böse gleichzeitig, und diesen Gedanken halte ich aus. Und wäre es bereits geschäftsfähig – weil noch ist es ohne meine Fürsorge verloren, und das spürt es: Die Mama hat die Macht.
Silly me, als ich zu Therapiebeginn meinte: «ES HAT NICHT ­ALLES MIT DER KINDHEIT ZU TUN!» Stimmt ja. Aber vieles. Vor allem, wenn man denkt, man sei halt so. Die Wahrheit ist: Die Kindheit schlägt zurück.
Ich dachte immer, ich sei halt so: eher schnell aggressiv. Wär’s so, wär’ ich fein raus. Gewalt ist immer (m)eine Lösung, wär’ dann (m)eine gute Entschuldigung. Zum Beispiel kürzlich. Als (m)ein älteres Kind
(s)eine Mutter in Schutz nahm.
Wäre ich ein Mann und reich, wäre ich Putin. So bin ich bloß eine manchmal emotional überforderte Mutter mit traditioneller Mädchenvergangenheit. Und you have to name it: Genügend gewaltbereit bin ich trotzdem. To be continued nächstes Mal. Weil das wird eine längere Geschichte. Und was das Kind getan hat, ist egal. Kinder sind nie schuld.

Hier schreiben abwechselnd Nadine Kegele, Grace Marta Latigo und Weina Zhao nichts als die Wahrheit.