Ambrose Bierce und das Wörterbuch des TeufelsDichter Innenteil

Richard Schuberth, Autor der Karl-Kraus-Serie, startet wieder durch

Da er den geistreicheren Witz besaß, blieb Ambrose Bierce an Popularität stets hinter seinem Kollegen Mark Twain zurück. Mit seinem Wörterbuch des Teufels schrieb er sich in die Liste der großen Aphoristiker der Literaturgeschichte ein. Doch auch als Vater der modernen Short-Story und Meister der unheimlichen Literatur lädt er zur Wiederentdeckung ein.Seine Titulierung als amerikanischer Karl Kraus ist ebenso weit hergeholt wie nahe liegend. Zumindest scheint Ambrose Bierce der populären Dummforderung Kritisier nicht, sondern machs besser eher gefolgt zu sein, denn wie der österreichische Satiriker schrieb er gegen den Krieg, doch anders als dieser nahm er daran teil, und wie Kraus hasste er den Journalismus, doch verdiente er seinen Lebensunterhalt damit. Was die beiden Satiriker wirklich verband, war das Missverhältnis zwischen ihrem Wesen und dessen öffentlicher Einschätzung. Beiden attestierten ihre Feinde Misanthropie und Selbstsucht, ihre Freunde hingegen Hilfsbereitschaft und Bescheidenheit. Das hat einiges damit zu tun, dass beiden die Sache stets über die Reputation ging und sie nicht scheuten, sich mit der Welt, die sie als verkehrt empfanden, anzulegen.

Ein Steckbrief: Der Farmersohn Ambrose Bierce aus Ohio brannte mit 15 von zuhause durch und meldete sich zu Beginn des Amerikanischen Bürgerkriegs (186165) an die Front, wurde ein paar Mal verwundet, mit Tapferkeitsmedaillen behängt und befördert. Doch nur wenige dekorierte Kriegshelden dürften so gnadenlos die Schrecken des Krieges angeprangert haben wie er. Nach kurzer Tätigkeit als Vermessungsingenieur während der Indianerkriege zog er nach San Francisco, wo er als Journalist und satirischer Leitartikler lokale Berühmtheit erlangte. 1887 konnte ihn der 23-jährige William Randolph Hearst (dem Orson Welles mit Citizen Kane ein filmisches Denkmal setzte) für sein neues Zeitungsprojekt, den San Francisco Examiner gewinnen, die Mutter des Sensationsjournalismus, für die Bierce als eine Art kritisches Feigenblatt fungierte. In den 90er-Jahren führte er etwa einen beispielhaften publizistischen Krieg gegen den Eisenbahnspekulanten, die damals die kalifornische Politik bestimmten. Als das Leben, das ihm arg mitgespielt hatte (Trennung von seiner Frau und Tod seiner beiden Söhne), nicht mehr viel versprach, machte sich der 70-Jährige 1914 im vollen Bewusstsein, seine letzte Reise anzutreten, nach Mexiko auf, wo sich seine Spuren in den Wirren der Revolution verloren. Eine fiktive Rekonstruktion dieser letzten Tage hat Carlos Fuentes mit der Novelle Der alte Gringo vorgelegt. Ambrose Bierces Erzählungen zeichnen sich durch große sprachliche Fertigkeit, plastische Handlungsarchitektur und einen ausgesprochenen Hang zum Makabren, Abgründigen aus. Die Erzählung Ein Vorfall an der Owl-Creek-Brücke zum Beispiel, in welcher er durch Montage der Erzählzeit einen erstaunlichen Plot erzielt, stand zweifelsohne Pate für Filme wie Jacobs Ladder und The Sixth Sense.

Bierce, Kraus, Twain, Wilde und Heine


1911 veröffentlichte Ambrose Bierce sein Devils Dictionary, eine Sammlung von 1000 aphoristischen Definitionen, welche sich seit den 1870er Jahren in seinem Schaffen angesammelt hatten. Das Wörterbuch des Teufels gehört zu einem der zeitlos gültigen Titanenwerke der literarischen Satire. Was Scharfsinn und sprachliche Brillanz anbelangt, dürften im englischsprachigen Aphorismus nur Swift und Wilde seine Augenhöhe erreichen. Einem Karl Kraus und dessen Fackel hatte Bierce freilich wenig Ebenbürtiges entgegenzusetzen, und dennoch enthüllen sich in ihren Aphorismen viele verblüffende Übereinstimmungen. Anders als Kraus verabscheute Bierce Oscar Wilde. Zu seiner Verteidigung muss gesagt werden, dass er den irischen Dichter nur als den jungen Dandy wahrnahm, der auf seiner Amerikareise 1881 Dekadenz und Ästhetizismus predigte. Zu welch dialektischem, gesellschaftskritischem Witz Wilde fähig war, wusste die Welt damals noch nicht. In der Tat fehlte Bierce, einem geradlinigen WASP (White Anglo-Saxon Protestant), die spielerische, feminine Seite, durch die Wilde bessere Widerspruchseffekte erzielte. Perlte Wildes Witz wie Champagner, brannte der von Bierce wie Bourbon. Karl Kraus wusste beides, dekadente Leichtfüßigkeit und unkorrumpierbaren Predigerhabitus, in seiner Arbeit zu vereinen. Nur im Feld der Aphoristik, nur dort, hätte die Formel Bierce ist Kraus minus Wilde etwas für sich.

Interessanter lässt sich der Bezug zu Karl Kraus herstellen, wenn man Bierce mit seinem Kollegen Mark Twain vergleicht, den Bierce entgegen böser Unterstellungen nicht im Geringsten hasste, sondern für einige Zeit sogar als Freund schätzte. Tatsache ist, dass Bierce nicht nur der geistreichere Literat ist als Twain, sondern auch der unversöhnlichere Apologet der Sache (und für Kraus bestand kein Zweifel, dass beide Eigenschaften einander bedingen). Das hat viel mit der Unterscheidung von Humor und Witz zu tun. Bierce bekennt sich programmatisch zu Letzterem in seinem Essay Wit and Humour. Auch Mark Twain gelingen großartige Aphorismen, auch er ist zu Tiefsinn fähig und mitunter ein humanistisch motivierter Hasser der Gesellschaft, doch torkelt er unentschlossen zwischen Witz und Humor hin und her, seine Eitelkeit verbietet ihm, auf den Beifall des Publikums zu verzichten; zeitlebens leidet er unter diesem Schicksal, das er wohl mit den kritischen Kabarettisten unserer Tage teilt. Ambrose Bierce könnte bei folgenden Worten an seinen berühmten Kollegen gedacht haben: Lachen ist nur der billigere Teil der Münze, den wir für minderwertige Unterhaltung entrichten, nämlich für Humor. Humor streichelt, Witz dagegen sticht zu, bittet um Vergebung und dreht die Waffe noch einmal in der Wunde. Humor ist süßer Wein, Witz trockener; wir wissen, welchen der Kenner vorzieht.

Das erinnert stark an Kraus Kritik Heinrich Heines, der seinerzeit auch so etwas wie der Popstar der liberal gesinnten Geistesmenschen war und hinter dessen jovialem Ton der Beiläufigkeit und lässig-kritischem Humor Kraus sprachliche Schlamperei und geistige Unredlichkeit erkannte.

In der nächsten Ausgabe: Ambrose Bierce und der Teufel als Aphoristiker


Das neue Wörterbuch des Teufels

Von 2006 bis Mitte 2007 erregte Richard Schuberth mit seiner fulminanten Essayserie im Augustin über Karl Kraus einige Aufmerksamkeit und erschloss unserer Boulevardzeitung etliche neue LeserInnen. Ein in vieler Hinsicht mit Kraus vergleichbarer Geist war der US-amerikanische Dichter, Aphoristiker und Journalist Ambrose Bierce (18421914), vor allem dessen sarkastisches Wörterbuch des Teufels aus dem Jahr 1911 demonstriert diese geistige Verwandtschaft. Der Schriftsteller und Augustin-Mitarbeiter Richard Schuberth, selbst ein Verfechter des Aphorismus, wird ab der übernächsten Ausgabe in 24 Teilen (zu je einem Buchstaben) sein eigenes Devils New Dictionary vorlegen. An Bierces Buch angelehnte aphoristische Definitionen aktueller und zeitloser Begriffe: von Al-Khaida bis Zombie, von Angelina Jolie bis Zahnspange; nicht nur unter Einfluss von Bierce, sondern auch von Jonathan Swift, Oscar Wilde, Karl Kraus und Max Goldt geschmiedete Miniaturgemeinheiten, die zum Andenken gegen die Gemeinheit der Welt animieren sollen.



Buchtipps:

Ambrose Bierce: Aus dem Wörterbuch des Teufels. Insel-TB

Ambrose Bierce: Des Teufels Wörterbuch. Wartelsteiner (geb.)

Roy Morris: Ambrose Bierce. Allein in schlechter Gesellschaft. Hafmanns (diese Biografie ist nur mehr in Antiquariaten erhältlich).

Aus Ambrose Bierces Wörterbuch des Teufels:

Allein In schlechter Gesellschaft.

Bekannte(r) Jemand, den wir gut genug kennen, um ihn anzupumpen, aber nicht gut genug, um ihm etwas zu leihen. Ein Freundschaftsgrad, den man flüchtig nennt, wenn die betreffende Person arm oder unbekannt ist, und intim, wenn sie reich oder berühmt ist.

Belesenheit Staub, der aus einem Buch in einen leeren Schädel geschüttelt wird.

Berichterstatter Jemand, der sich schreibend zur Wahrheit vortastet und sie mit einem Schwall von Worten verjagt.

Beweis Eine Aussage, die ein bisschen überzeugender ist als die Unwahrscheinlichkeit. Die Erklärung zweier glaubwürdiger Zeugen, im Gegensatz zu der eines einzigen.

Braut Eine Frau mit großer Glückserwartung hinter sich.

Egoist Ein Mensch mit schlechtem Geschmack; mehr an sich selbst als an mir interessiert.

Geige Ein Instrument, das die menschlichen Ohren dadurch kitzelt, dass man einen Pferdeschweif an Katzendärmen reibt.

Glück Das Wohlgefühl, das sich einstellt, wenn man das Elend eines anderen betrachtet.

Grenze In der politischen Geografie: eine gedachte Linie zwischen zwei Nationen, welche die vermeintlichen Rechte der einen von den vermeintlichen Rechten der anderen trennt.

Handel Eine Art Geschäft, bei dem A dem B die Ware des C wegnimmt, und B dafür dem D das Geld aus der Tasche zieht, das dem E gehört.

Heirat Eine Feierlichkeit, bei der zwei Personen versprechen, eine zu werden, eine Person verspricht, nichts zu werden, und nichts verspricht, erträglich zu werden.

Homöopath Der Humorist unter den Ärzten.

Langweiler Jemand, der redet, wenn man will, dass er zuhört

Märtyrer Jemand, der auf dem Weg des geringsten Widerstands einem ersehnten Tod zustrebt.

Schicksalsschlag Eine außerordentlich klare und unmissverständliche Mahnung, dass dieses Leben nicht nach unserem Willen abläuft. Es gibt zwei Arten von Schicksalsschlägen: das Unglück, das uns selbst widerfährt, und das Glück, das anderen zuteil wird.

Schuld Ein raffinierter Ersatz für die Kette und Peitsche des Sklavenaufsehers.

Zyniker Ein Schurke, dessen falsche Sehweise die Dinge sieht, wie sie sind, nicht wie sie sein sollten. Daher bei den Skythen der Brauch, einem Zyniker die Augen auszureißen, um seine Sehkraft zu verbessern.