Immer mehr Menschen halten bewusst Ameisen in den eigenen vier Wänden.Was fasziniert an diesen Hautflüglern?
TEXT: NATALIE SÖLLNER
FOTOS: CAROLINA FRANK
Zwei gläserne Formikarien – so werden künstliche Ameisenbehausungen genannt – stehen auf einer Kommode im Eck eines Raumes. Beim genaueren Betrachten ist das Getümmel von Hunderten von Ameisen zu sehen. Einige laufen hektisch hin und her, andere versammeln sich rund um die Futterstelle und Wassertränke. Das Außengehege, die sogenannte Arena eines Formikariums, ist in diesem Fall mit Gipsboden ausgestattet und mit Ästen geschmückt. Von dort flitzen ein paar der Sechsbeiner durch einen transparenten Schlauch in das Nest. In dessen Sand sind lange Tunnel zu erkennen, die sich die Ameisen gebaut haben, um ihre Brut zu lagern. Im Eck liegen Dutzende kleine Eier, die von den Ameisen versorgt werden. Es gibt auch noch ein zweites Nest dieser Kolonie. «Das wäre eigentlich für die Lagerung der Körner gedacht, aber sie halten sich da nicht so ans System. So ist die Natur», sagt Florian Fritz schmunzelnd. Der 32-Jährige ist der Halter dieser Ameisenkolonie der Gattung Messor barbarus. Diese Art wird auch als Körnersammler bezeichnet. Sie sammeln und lagern Körner in selbst errichteten Kammern.
Ameisen virtuell.
Florian Fritz hat sich vor drei Jahren den Wunsch vom Ameisenstaat zu Hause erfüllt. Ein Jahr später kam eine zweite Kolonie dazu. Die der Camponotus nicobarensis. «Es hat mich einfach schon immer interessiert, wie so ein System ohne jemanden, der eingreifen muss, funktioniert», erklärt der gebürtige Tiroler. Mit seiner Faszination ist Florian Fritz schon lange nicht mehr allein. Es gibt zahlreiche Foren, Facebook-Gruppen und Discord-Server. Halter_innen oder Interessierte können sich hier untereinander austauschen. In einem der zahlreichen Foren, im Ameisenforum.de, sind aktuell an die 19.000 Nutzer_innen registriert. Laut Administrator Erne belaufe sich die Zahl der aktiven Nutzer_innen allerdings auf nur ungefähr 200. Erne berichtet, dass das Hobby, die kleinen Tierchen zu halten, in den letzten Jahren stetig zugenommen hat. Dies führt er auf die steigende Präsenz der Ameisenhaltung im Internet zurück und die vielfältigeren Möglichkeiten, die Insekten zu erwerben. Denn auch auf YouTube ist die Ameisenhaltung stark vertreten und hat eine Menge Fans. So hat zum Beispiel der Kanal AntsCanada zurzeit 4,45 Millionen Abonnent_innen.
Vor allem faszinieren die kleinen Krabbler mit ihren vielfältigen Verhaltensweisen. So schreibt Miriam etwa: «Es fasziniert mich, dass das einzelne Tier vielleicht nicht sonderlich intelligent ist, aber in der Gruppe Wahnsinnsleistungen erbringen kann.» Andere wiederum finden vor allem den Prozess von der Königin bis zum Volk besonders spannend. «Für mich ist es total interessant, wie aus einer einzelnen begatteten Königin im Laufe weniger Monate eine kleine Kolonie entsteht», berichtet Gabs.
Tierhandel. Daniel Höllwarth, führt den aktuell einzigen «Antshop» in Österreich. Dieser befindet sich im Bezirk Kufstein in Tirol. Den Shop gründete er 2019, doch seine Faszination begann schon neun Jahre früher. «Eigentlich habe ich für meine Freundin ein Weihnachtsgeschenk gesucht, habe dann aber für mich selbst ein Geschenk gefunden», sagt er lachend. Zu diesem Zeitpunkt hat er das erste Mal gelesen, dass man Ameisen als Haustiere halten kann. Als gelernter Chemielaborant hat er sich vor allem für die Arbeit mit Pheromonen (= Botenstoffe zur Informationsübertragung zwischen Individuen innerhalb einer Art) interessiert. Er startete Forschungsexperimente und knüpfte Kontakte zur Universität Innsbruck. Diese stattete er dann für einige Zeit mit Inventar für die Forschung an Ameisen aus. Der Shop war geboren und Daniel Höllwarth frischgebackener Ameisenhändler. Mit Corona kam auch ein Aufschwung. Der Händler erklärt es sich damit, dass die Leute wohl nach einer neuen Herausforderung suchten.
Neben dem Kauf einer befruchteten Königin oder einer Königin mit ein paar Arbeiterinnen besteht die Möglichkeit, sich die Tiere selbst zu fangen. Hier muss eine begattete Königin unmittelbar nach dem «Hochzeitsflug» erwischt werden. Im besten Fall wirft diese in Folge ihre Flügel ab und legt die ersten Eier. Viele finden gerade diesen Prozess der Staatsgründung besonders spannend. Florian Fritz hatte erst letztes Jahr das Erlebnis. Eine Ameisenkönigin saß in seinem Bad. In einem Reagenzglas gründete sie erfolgreich ihre Kolonie, ehe sie wieder in einem Park freigelassen wurde. «Es war Glück, dass sie bei mir gelandet ist. Ich habe ihre Überlebenschance erhöht. Bei jemand anderem wäre sie wahrscheinlich eingesaugt worden.» Genau dieses Bewusstsein gelte es zu erhöhen, findet er.
Die Waldameise.
In der Natur gibt es viele verschiedene Möglichkeiten der Koloniegründung. In Ausstellungstexten des Naturkundemuseums Graz sind die verschiedenen Arten beschrieben. Neben der klassischen Gründung ist eine häufige Form der «Sozialparasitismus». Dieser ist wiederum in unterschiedlichen Ausführungen zu finden. Am meisten vertreten ist der temporäre Sozialparasitismus, wie zum Beispiel bei den Waldameisen. Hierbei dringt eine befruchtete Königin in eine bestehende Kolonie ein, tötet deren Königin und übernimmt den Geruch der Kolonie. So wird sie von den Arbeiterinnen als neue Königin akzeptiert. Diese sterben aber mit der Zeit und die Eindringlinge werden allein lebensfähig. Darüber hinaus gibt es auch noch Sklavenjäger oder dauerhafte Einmieter.
Auch Michael C. Niki Knopp kann das große Interesse am Sozialverhalten der Ameisen nachvollziehen. Er ist kuratorischer Assistent am Naturkundemuseum in Graz und hat im vergangenen Jahr die Sonderausstellung Von Sklavenjägern und Viehhaltern mit lebenden Ameisen mitkuratiert. Das Ziel war es, die 100 Ameisenarten vorzustellen, die in der Steiermark beheimatet sind. In einem großen Terrarium gab es einen Ameisenhügel der Gattung Formica polyctena – die Kahlrückige Waldameise – zu bestaunen. Diese Art ist strengstens geschützt und darf nur nach besonderer Genehmigung des Naturschutzamts aus der Natur entnommen werden. Die Kolonie bestand geschätzt aus 150.000 bis 200.000 Individuen. Die Nester dieser Gattung sind meistens polygyn. Das bedeutet, dass mehrere Königinnen darin leben. So kommt es auch zu dieser enormen Zahl. Nach Ende der Ausstellung wurde der Hügel wieder zurück zum Entnahmeort gebracht.
Während der Beherbergung des großen Ameisenhügels im Museum musste einiges beachtet werden. «Als allererstes, dass es dicht ist. Die merken sofort, wenn wo die kleinste Öffnung ist, und sind weg», erklärt der Zoologe. Eine weitere Herausforderung stelle die Aufrechterhaltung der richtigen Luftfeuchtigkeit dar. Gerade am Anfang hätte es Schwierigkeiten gegeben, da das Material zu feucht war. Die Ameisen können es schon gut selbst regulieren, aber teilweise müsse man etwas eingreifen. Für ein Formikarium in den eigenen vier Wänden wäre es laut Niki Knopp am besten, wenn darin eine Gattung gehalten wird, bei der es nicht zu viele Individuen werden. Außerdem ist Pflege gefragt, die je nach Art anders aussieht – Feuchtigkeit, Temperatur und Futter: «Als Kinderspielzeug, wie es manchmal verkauft wird, ist die Ameisenzucht bestimmt nicht geeignet. Wenn man sich aber interessiert damit auseinandersetzt, um das Sozialverhalten zu sehen – warum nicht?»
Invasive Arten.
Die «Deutsche Ameisenschutzwarte e. V.» (DASW) beschäftigt sich hauptsächlich mit der Erhaltung der einheimischen Ameisenarten und der Rettung von bedrohten und geschützten Waldameisen. Seit Jahren spricht sich die DASW gegen den Handel mit Ameisen aus. Über Webshops werden vermehrt invasive Arten ins Land geschleppt. Der Myrmekologe (Ameisenforscher) Alfred Buschinger ist im wissenschaftlichen Beirat der DASW. Als Kernproblem sieht er das mangelnde Wissen der Bevölkerung über die Folgen der Verschleppung von Organismen in andere Regionen. Darüber hinaus sind oft die natürlichen Lebensbedingungen wie Temperaturverlauf, Feuchtigkeitsbedingungen, Nahrung und Lichteinfall nicht bekannt oder können im Eigenheim nicht immer hergestellt werden. «Weltweit gibt es ungefähr 14.000 Ameisenarten. Die Auswahl ist riesig! Für jede einzelne Art müssten mögliche Risiken und Haltungsbedingungen abgeklärt werden. Wer sollte das tun?», fragt sich Buschinger. Dennoch hat er grundsätzlich nichts gegen die Haltung einheimischer Arten einzuwenden. Am besten werden schwärmende Jungköniginnen selbst gefangen. Es muss jedoch sichergestellt sein, dass es sich nicht um eine geschützte Art handelt.