AMS-Kollisions-Kurstun & lassen

Arbeitslosigkeit, 50plus und kreative Namensfindung

Auf geht’s, Jubel. Die Zahl der offenen Stellen ist um 26,4 Prozent größer als noch im Vorjahr. Die Zahl der vom AMS Wien erledigten Stellenbesetzungen hat sich fast verdoppelt (+ 96,1 Prozent). Aber noch wichtiger sind Maßnahmen gegen Arbeits-Loser, die sich dem Erfolg entgegenstellen. Heio von AMStetten* (Text und Foto) berichtet.

Die kuriose Nachricht zuerst: Die Kursleiterin des Yoga-Kurses, den ich vor einiger Zeit mitmachen musste, hat jetzt «Burn-out». Nicht, dass ich mich daran erfreuen würde, nein, garantiert nicht. Aber immer wieder erwähnte sie vor Kursbeginn, dass sie den «besten Job der Welt» habe. «Vollzeit Yoga machen ist schon ein Privileg», sagte sie zur Motivation. Und dann doch «Erschöpfungsdepression», wie es offiziell heißt. Und was sagte sie noch? «Wir stellen uns eine ­helle Säule von weißem Licht vor, das uns von innen heraus heilt!» – Hallo, esoterischer Sektenkitsch? Nein, AMS-Zwangsmaßnahme. Mir war diese unfreiwillige «Bespaßung» höchst suspekt (bei Kurskosten von über 2.700 Euro pro Person). Aber verweigern? Nein, das hätte ich mir nie und nimmer leisten können.

Lob- und Jobhudelei.

Ein Kurs ist ein Kurs ist ein Kurs. Ein AMS-Kurs. Kennt man einen, kennt man alle. Keiner ist freiwillig. Existenzvernichtung droht durch Sperre des AMS-Bezugs. Jetzt hat es mich erwischt. Kurs unausweichlich. Der Campus Süd in der Quellenstraße in Wien-Favoriten sieht aus wie ein Bildungsbunker und beherbergt Firmentafeln wie Briefkastenfirmen in einer Steueroase. Eine Trutz- oder Schulungsburg? Hier floriert das Business. Hier brummt der Laden mit der zwangsverpflichteten Klientel, die nicht anders kann.

So wurde ein Jobboom geschaffen. In den letzten Jahren floss viel Geld, über eine Milliarde, speziell in Wien, an parteinahe Betriebe, stellte der Rechnungshofbericht 2011 fest. Sogar der damalige Sozialminister sprach von «Deppenkursen».

Die Namen klingen alle ähnlich mit den Bestandteilen «Job», «Work» und «Fit», wie aus einem Setzbaukasten zusammengewürfelt. Die Beschreibung der Module kippt immer wieder in das dauergleiche Geschwurbel von «Qualifikation» und «Erlangung von nachgefragten Fähigkeiten». Früher, als diese Kurse zwecks «Aktivierung» verpflichtend waren, habe es reihenweise Krankenstände gegeben.

Die «Job.Werkstatt Süd» gibt es seit 2014. Beschwerden über verpflichtende AMS-Kurse, in die unterschiedliche Menschen mit konträren Lebensmodellen gepfercht wurden, wo sie ihre Zeit absaßen, häuften sich so sehr, dass die Politik reagieren musste. Dass Fehler gemacht wurden, räumte sogar das AMS nach anfänglichem Mauern und Leugnen ein. 2014 ließ man die Aktivierungskurse, von denen mehr als die Hälfte in der Bundeshauptstadt stattfanden, auslaufen.

Job.Fit, KompetenzCheck, LiveLearning, JobPerspektiven, Moti4ung & ­Akti4ung (letzteres selbst erfunden) – so geht das Wording hier. Eine Schreibwerkstatt für kreative Namensfindung. Aber was ist hier real? Ein Übungs-Assessment-Center für Aufnahmetests, dazu Training zum richtigen Auftreten im Bewerbungsgespräch, Tipps gegen Stress und für gesunde Ernährung – das gibt es hier wirklich. Dabei wird so getan, als stünde jeder und jedem die ganze Arbeitswelt offen, als gäbe es Jobs in rauen Mengen.

Alles neu.

Alle Kurse behaupten, sie wären neu und einzigartig. Was nicht stimmt. Es geht um Aktivierung und Bewerbungen am laufenden Band. Interessant wäre auch zu erfahren, wie die etwa zehnfache Zahl der Arbeitslosen in nur ein Zehntel freie Stellen hineingepresst werden soll. Das ist rein mathematisch wie physikalisch unmöglich, aber es herrscht Bewerbungspflicht. Und so sitze ich hier und bewerbe mich, irgendwie. Dazu muss ich etwas recherchieren.

Zum Jahreswechsel 2018 lag die Arbeitslosenzahl bei 443.481 Menschen. Die Quote sank auf 9,4 Prozent. Benachteiligt einmal mehr ältere Menschen der Sparte «50plus». Auch gut vertreten: Ausländer_innen und Langzeitarbeitslose. In Wien sank die Zahl der beim AMS vorgemerkten Personen um 5,3 Prozent auf 135.205. Gleichzeitig befanden sich 27.847 Personen in Schulungen (plus 11,2 Prozent). Und darum geht’s: Schulungen. Maßnahmen und/oder Schikanen? Oder mit anderen Worten: Das Rütteln an der sozialen Hängematte.

Freudentränen.

Sie habe Männer vor Freude weinen gesehen, weil sie durch die Aktion 20.000 endlich wieder einen Job bekommen hätten, schrieb Oberösterreichs Soziallandesrätin auf Twitter. Nun, meine Augen bleiben trocken. «Habe Beruf, brauche keinen Job», würde ich zurücktwittern. Nur 1.326 Kolleg_innen von mir hätten durch die «Aktion 20.000» bislang in Wien einen neuen Job erhalten. Laut AMS sind aber exakt 50.436 Personen derzeit «50plus» und langzeitbeschäftigungslos. Soll ich darüber eine Träne vergießen?

Spezielle «Jobs» wurden eigens für die Aktion erschaffen, ein Vierzigstel (ca. 1300 von 50.000). Posten im geschützten Bereich wie Bade-Aufsicht, Parkdienst und Schreibhilfe, die es bisher auch schon gegeben hat. Beschäftigungsbonus und Aktion 20.000 hätten fast drei Milliarden Kosten pro Jahr verursacht. Viel Aufwand in der Bürokratie für ein wenig Kosmetik in der Statistik. Gekaufte Arbeitsplätze auf Zeit, für Arbeitszwang im System.

Für mich wären statt derzeit etwa 500 Euro Leistungsbezug pro Monat das Vierfache an Kosten angefallen, nämlich 27.000 Euro jährlich durchgerechnet. Und wofür das Ganze? Damit ich als ein Arbeitsloser der Sorte «50plus» aus der Statistik getilgt wäre. Da sitze ich lieber temporär in einem Sinnloskurs und lerne endlich, mich richtig zu bewerben.

Alles oder nix.

Bei etwa 500 Euro Notstandshilfe darf (und muss) ich bis zur Geringfügigkeitsgrenze von 438 Euro und 05 Cent pro Monat dazuverdienen – wenn man mich lässt. Liegt mein geringfügiger Zuverdienst, den ich jeden Monat melden muss, nur 1 Euro darüber, fällt die gesamte Notstandshilfe weg (bei «rollierender Berechnung»). Damit wir uns richtig verstehen: alles oder nix. Weiteres Hindernis meiner Plackerei an der Erwerbsfront sind die Schulungsmaßnahmen des AMS, seit ich «50plus» bin und nachdem ich die ersten 30 Jahre durchgearbeitet habe. Nun kämpfe ich an einer anderen Front, die mir permanent Inaktivität und Verweigerung unterstellen will. Ich muss regelmäßig nachweisen, dass ich eh aktiv bin und nix, aber schon gar nix verweigere.

Ist es auch Wahnsinn, so hat es doch Methode – und dient der Disziplinierung. Die Freunderln der Kursanbieter_innen leben hoch – und wovon? Von den Kursangeboten, die ein sagenhaftes Niveau haben. Das kann jede_r Teilnehmer_in bestätigen.

Das mit dem Programmierer, Altenbetreuer, Koch oder Hotelangestellten wird sich für mich nicht mehr ausgehen, altersbedingt. Auch fallen diese Mangelberufe nicht in meinen Lebensplan. Und die immer wieder vom AMS behauptete «Vermittlungs- und Arbeitspflicht»? Nach wie vor gilt in einer Demokratie das Menschenrecht auf einen selbstgewählten Arbeitsplatz. Sonst könnte es ja auch «Arbeitslager» geben. Aber jetzt nicht die neue Regierung auf Ideen bringen. Wer weiß, was denen noch einfällt?

Den Kurs, in dem ich gerade sitze, hält die «ibis acam BildungsgesmbH» ab. Der Verein verfügt über einen Marktanteil von rund 10 Prozent und ist somit das größte private Bildungsinstitut in Österreich. Bei einer Rauchpause lese ich die Inschrift über dem Eingang «Forum10 Business and Education Campus».

Sackgasse.

«Mit mehr als 50 Standorten, mehr als 600 Coaches aus 30 Nationen bei mehr als 20.000 Kursanten im Jahr schlagen sich mehr als 600.000 Seminarstunden jährlich zu Buche», heißt es auf der Website jenes Institutes, dessen Computer ich hier beanspruche.

Ein persönlicher Guide stellte mit mir meine Module zusammen. Zum Bedarf passend und treffsicher auf Zielgruppen gerichtet: Langzeitarbeitslose, Ältere, Migrant_innen. Eine Kompetenzgruppe zur Potenzialanalyse steht mir bei. Ich lache vor Freude darüber. Hier verkauft man sich selber – und andere für blöd.

Ein «Job-Casting mit Videoanalyse» ist in Erprobung – für die jüngere Zielgruppe. Das Kind hat einen neuen Namen bekommen. Jobs wird es auch in Zukunft keine geben, außer bei den boomenden Kursanbieter_innen und Qualifizierungs-Instituten. Und beim AMS im geschützten Bereich.

Die Personalaufstockungsoffensive des AMS sorgt für über 400 neue Planstellen. In den Kompetenzfestungen des AMS herrsche beim Personal das Diktat «Mund halten und ja nichts in Frage stellen», und deshalb habe sich eine tiefe Unzufriedenheit eingenistet, sagt ein Insider hinter vorgehaltener Hand. Ein Teil ist motiviert und sieht auch, was falsch läuft. Denen steht aber eine politische Nomenklatura gegenüber, die Zahlen manipuliert und Daten frisiert, dass die politischen Machthaber_innen ihre Freude daran finden könnten.

E-Mail vom AMS: Ich öffne mein Konto, eine Nachricht poppt auf: «Ihr Leistungsbezug musste eingestellt werden. Sie sind zum oben angeführten Termin nicht in Ihrem Kursinstitut erschienen. Wir ersuchen Sie zwecks Klärung unverzüglich zuerst Kontakt mit dem Kursinstitut aufzunehmen.»

Gut, dass ich schon da bin. Jede Kursverhinderung wurde von mir ordentlich über Hotline gemeldet und zeitlich attestiert, im Kurssekretariat bzw. in der Infozone am nächsten Kurstag. Klassische Beweislastumkehr. Zuerst die Sanktion verhängt, dann erst erfolgt die Klärung durch Einspruch. In einem Rechtsstaat ist das nicht rechtmäßig.

Unfähigkeit oder Schikane? Das wird sich aufklären. Ich habe ohnehin sonst nix zu tun. Gut, dass mich das AMS auf Trab hält. Ich könnte ja in Inaktivität und Verweigerung verfallen.

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