An der Verbindungsbahnvorstadt

Die Schnellbahnlinie S 80 durchquert Hietzing und verbindet dabei die Bahnhöfe Meidling und Hütteldorf. Jetzt soll die Strecke, die das lokale Stadtbild ländlich prägt, zur Hochbahn modernisiert werden.

TEXT & FOTOS: CHRISTOPH FELLMER

Quer durch den Bezirk ziehen die Gleise der sogenannten Verbindungsbahn eine Schneise. Die unter Pendler:innen als S80 ­bekannte Schnellbahnlinie verbindet Hütteldorf mit dem Bahnhof Wien Meid­ling und reicht weiter über den Hauptbahnhof bis nach Aspern Nord: Sie ist sozusagen eine direkte Achse zwischen dem Rapid-Stadion und dem Grün der Seestadt, das dort gerade über die Stadtplanung zu wachsen versucht.

Höhen und Tiefen.

Die auf den ersten Blick recht beschauliche Bahnlinie soll «nach heutigem Planungsstand bis zum Jahr 2027 um rund 317 Millionen Euro ausgebaut und attraktiviert werden», sagt ÖBB-Projektleiter Peter Ullrich. «Derzeit verkehren an einem Werktag durchschnittlich 244 Züge zwischen Meidling und Hütteldorf (die überwiegende Mehrheit sind Güterzüge, Anm.). In Zukunft soll die S-Bahn im 15-Minuten-Takt um die 20.000 Menschen täglich transportieren.» Das Projekt sieht eine Führung der zum Teil auf Straßenniveau liegenden Strecke in Hochlage zwischen dem Wienfluss und dem Bereich vor der Beckgasse vor sowie die Errichtung der zwei neuen Stationen Hietzinger Hauptstraße und Stranzenbergbrücke. Die bereits existierende Station Speising, zurzeit die einzige Haltestelle zwischen Meidling und Hütteldorf, soll modernisiert werden. Die ÖBB-Pläne stoßen seit dem Projektbeginn im Jahr 2016 allerdings nicht auf ungebremste Gegen­liebe: Mehrere Bürger:inneninitiativen ­fordern die Streckenführung in Tief- oder Trog­lage. Sie befürchten eine Teilung des Bezirks, dadurch Behinderungen im Autoverkehr sowie erhöhte Lärmbelästigung – Letzteres sowohl während der Bauphase, die nächstes Jahr beginnen soll, wie auch im späteren Betrieb durch den verdichteten Fahrplan. «Außerdem könnte es zu mehr Güterverkehr kommen, da der Lainzer-Tunnel schon jetzt ausgelastet ist», sagt Rene Lothar, dessen Mutter in der Auhofstraße wohnt, knapp zweihundert Meter von einem der sechs beschrankten ­Bahnübergänge entfernt, die sich zwischen Speising und dem Hietzinger Kai befinden. Für viele Anrainer:innen machen «sie einen Teil des Reizes des Grätzels aus», sagt Lothar – für andere sind sie ein Ärgernis, weil sie regelmäßig zu Wartezeiten an den geschlossenen Schranken führen.

Flüsterzüge.

Die ÖBB begegnen den Vorwürfen damit, dass die ­Hochlage der Verbindungsbahn mit Stelzen ­realisiert und dadurch die Teilung des Bezirkes im Stil einer Berliner Mauer verhindert wird. Außerdem kämen neue Lärmschutzkonzepte zum Einsatz, über Schutzwände bis hin zu speziellen Gleiskörpern und neuen, schallgedämpften Bremssystemen in den Zügen. «West- und Südbahn sind außerdem ‹Quieter Routes›, weshalb sie ab 2024 nur mehr von lärmreduzierten Güterzügen befahren werden dürfen.» Als Ersatz für den Lainzer Tunnel käme die Verbindungsbahn «nur bei Störfällen oder Wartungsarbeiten zum Einsatz», sagt Ullrich. Deshalb werde die Strecke auch während des Umbaus eingleisig in Betrieb bleiben. Während es für die Optik der Stationen schon recht detaillierte Pläne gibt, sei das Umfeld noch nicht in Stein ­gemeißelt und Gegenstand diverser Ideenwettbewerbe. Die ÖBB-Pläne seien «bewusst nicht überladen, um gestalterischen Platz zu bieten».

Vergessene Schnellbahn.

Die Verbindungsbahn hat historische ­Wurzeln. ­Gebaut wurde sie von Carl Ritter von ­Ghega, um die 1841 eröffnete Südbahn (deren Reise über den ­Semmering ­ebenfalls von ihm umgesetzt wurde) und die 1858 ­eröffnete Westbahn über die Station Penzing miteinander zu verbinden, da beide in Kopfbahnhöfen endeten. 1883 kam die Verbindungskurve nach Hütteldorf dazu, Penzing und der Westbahnhof werden im Personenverkehr nicht mehr angefahren. Zwischen 1971 und 1974 wurde die Strecke elektrifiziert, gleichzeitig begannen Ende der 1970er-Jahre der Umbau der alten Stadtbahn und der Aufbau des U-Bahn-Netzes in Wien. Die Schnellbahn geriet im kollektiven Bewusstsein ein ­bisschen zum ­Mauerblümchen: Angelernte Wiener:innen des 21. Jahrhunderts kennen Busse, Straßenbahnen und U‑Bahnen, während «die S-Bahn eher unter Pendlern bekannt ist, die aus dem Umland nach Wien kommen», sagt Peter Ullrich.

Wettex am Bahndamm.

Zwischen Meidling und Speising ist die Strecke von der Aussicht her eher unspektakulär. Ab dem Bahnhof Speising, der den Charme einer Haltestelle der Badner Bahn versprüht, und dem Bahnübergang Auhofstraße, ab dem die Strecke hochsteigt und dann auf einer Brücke über den Kai, die Wien und die U4 zur Westbahn führt, ­dominiert das Ländliche. Knapp zweieinhalb Kilometer kann man an der Verbindungsbahn entlangwandern und dabei alten ­Bahngebäuden und ­vielen neuen Baustellen begegnen; und von den ÖBB verpachteten Schrebergärten, von ­denen einige bemerkenswert verfallen sind. An den der Bahn zugewandten Rückseiten der Gebäude, abgetrennt durch einen Zaun und ein besseres ­Gebüsch, hört der Nobelbezirk Hietzing abrupt auf. Aber: Entlang der Verbindungsbahn gibt es noch Gastronomie, die aufgrund ihrer Nähe zum Gleis das Prädikat Bahnhofsrestaurant durchaus verdient. Gleich ­neben der Station und schräg gegenüber dem ÖBB-«Infopunkt Verbindungsbahn» befindet sich der Gasthof Waldt­zeile in der Speisinger Straße, der eine solide Küche bietet. An der Ecke Auhofstraße/Hummelgasse, wo sich zwar kein Bahnhof, aber zumindest ein Bahnübergang befindet, ist Yildiz Villa ansässig, ein türkisches Lokal, in dem man sich fühlt wie in Perchtoldsdorf. Der ­Schauspieler Manuel Girisch kennt es von ­einem früheren Besitzer: «Der Wirt war ‹da Joe beim Schrankn›. Ich erinnere mich, wie er einmal einem Gast ein Wettex paniert hat, weil sich der über das Schnitzel beschwert hat», sagt er. «Jo, Wien halt …»

Warten, warten, warten …

In der Hietzinger Hauptstraße, wo sich derzeit noch kein Bahnhof befindet, dafür aber direkt neben dem Übergang Seidl’s ­Kaffee und Kuchen sowie das Buffet Seidl, kann man stundenlang das Schauspiel beobachten, wie ein Cityjet quert. Unterführungen sind wahre Langweiler dagegen, und sie lassen eine:n auch nicht den Rhythmus spüren, den die Schranken dem anderen Verkehr aufdrücken: 20 Minuten passiert gar nichts, dann ­senken und ­heben sie sich gefühlt alle drei Minuten. Nach der S-Bahn kommt eine ­einzelne Lok oder ein Regionalzug nach Laa an der Thaya. «Manchmal kommt auch gar nichts», sagt Rene Lothar – diese «Entschleunigung» wird mit dem Umbau der Verbindungsbahn wegfallen. Überhaupt wird sich das Stadtbild drastisch verändern, von einem eigenwilligen und sympathischen Vorstadtambiente zu einer modernen und auswechselbaren Großstadtarchitektur. Das kann man mögen oder nicht.