«An nichts gefehlt»vorstadt

Lokalmatador

Ernst Baumeister erinnert sich an seine ersten Erfolge – in der Siedlung auf dem Wienerfeld. Von Uwe Mauch (Text) und Mario Lang (Foto)

Manchmal schaut er noch vorbei. «In der Siedlung», wie er zur städtischen Reihenhaus-Anlage an der Laxenburger Straße sagt. Wo er aufgewachsen ist, wohnt heute noch sein Bruder. Fußball war für ihn naheliegend, deutet Ernst Baumeister in Richtung Lärmschutzwand der Südost-Tangente.
Dazu ist zu sagen: Wo heute der Schwerverkehr tost, war in seiner Kindheit grüne Wiese – der Fußballplatz des SV Wienerfeld. «Ich musste nur über die Gasse gehen, schon war ich auf dem Platz.» Seine Eltern, der Vater war Maurer, die Mutter Näherin, haben ihm später erzählt: «Du konntest noch nicht einmal g’scheit gehen, hast du schon auf einen Ball draufgehaut.»
Seither ist viel passiert. Mit 14,5 Jahren brilliert der Ernstl in der ersten Mannschaft des damaligen Viertligisten, mit 17 debütiert er bei der Austria, mit 21 spielt er mit den Veilchen das Europapokalfinale im Pariser Prinzenparkstadion, und fliegt anschließend als einer der besten Kicker des Landes zur Weltmeisterschaft nach Argentinien. Vier Jahre später, 1982, ist er auch bei der WM-Endrunde in Spanien dabei. Bis zu seinem Karriereende gewinnt er als Spieler etliche Cup- und Meistertitel. Weiß dann auch als Trainer zu überzeugen, weil er seiner Lebensphilosophie immer treu geblieben ist.

Raus in die Welt. Heute wohnt Ernst Baumeister mit seiner Familie südlich von Wien, unweit der Stadtgrenze. Kommt die Rede auf die Siedlung auf dem Wienerfeld, wird man von ihm viel Gutes hören. Er atmet tief durch, dann erklärt er: «Seinen Platz in einer Gemeinschaft finden, die Mitspieler ebenso wie die Gegenspieler respektieren, andere nicht schlechtreden, das hab’ ich schon als Kind gelernt.» Und damit sei er immer gut gefahren.
Von der Schule heim, Schultasche ins Eck, raus in die Welt: Mag sein, dass seine schulischen Noten nicht die besten waren, wie er mit einem Lächeln anmerkt, doch dafür hat der gelernte Schlosser früh seinen Platz im Leben gefunden. Auf die Frage seiner Lehrerin in der Volksschule, was er einmal werden möchte, antwortete er wahrheitsgemäß. Er erinnert sich noch an die ungläubige Reaktion der Pädagogin: «Das ist doch kein Beruf.» Wie man sich täuschen kann!
Nach seinem Wechsel zu den Profis der Austria lernt Baumeister Protagonisten aus anderen Wiener Arbeiterbezirken kennen: die Sara-Brüder aus Kaisermühlen, den «Ogerl» (Andreas Ogris) aus Strebersdorf und natürlich den «Schneckerl» (Herbert Prohaska) aus der Simmeringer Hasenleiten. Der hat einmal erzählt: «Bis zu meinem zwölften Lebensjahr habe ich zwischen meinen Eltern im Ehebett geschlafen. Da niemand etwas gehabt hat, ist die Armut keinem aufgefallen.» Ernst Baumeister stimmt seinem langjährigen Freund zu: «Es hat uns Kindern an nichts gefehlt, doch es gab auch keine Notwendigkeit, anderen etwas neidig zu sein.»
Alle hatten sie sich die Feinmotorik und das Basiswissen für ihr Spiel auf den öffentlichen Spielplätzen vor ihrer Haustür angeeignet. Ihre Welt war damals noch einigermaßen überschaubar: In der Siedlung, beim Spielen, in der Schule, beim Einkaufen – überall hat man sich gekannt. Die Siedlung war das Dorf, und die Per-Albin-Hansson-Siedlung das Nachbardorf.
Ab und zu wandte sich der Direktor der Hauptschule vertrauensvoll an seine Kollegin in der Volksschule, mit einer großen Bitte: «Dürfen wir uns den Ernstl wieder für ein Match kurz ausborgen?»

Glücklich, und dankbar. Würde er, wäre er noch einmal 17, wieder Fußballer werden? Der 62-jährige Wiener nickt spontan, dann erklärt er: «Gut, das eine oder andere hätte man sicher besser machen können, aber ich konnte mein Hobby zum Beruf machen. Eigentlich ist alles aufgegangen. Wer in meinem Alter kann das noch von sich sagen? Also ich bin glücklich, und dankbar.»
Auch die Zeit als Trainer hat er immer genossen: «Du musst immer wieder dazulernen. Dadurch denkst du nicht alt. Ein Faktum ist, dass jede Generation anders ist.» Gegen die vielfach geäußerte Meinung, wonach seine Generation mehr Qualität gehabt hätte als «die Heutigen», verwehrt sich Baumeister, und das vehement: «Das wird man von mir nicht hören, dieser Vergleich steht mir auch gar nicht zu. Und wer sagt denn, dass wir, wenn wir dieselben Ablenkungen gehabt hätten, diese nicht auch genützt hätten.»
Das weniger schöne, weil unfreiwillige Ende als Trainer der Admira im Vorjahr hat ihn schon getroffen, doch selbst diese in erster Linie menschliche Enttäuschung hat er inzwischen gut verkraftet. Dabei geholfen haben auch die durchwegs positiven Reaktionen: «Ich habe nach meinem Rauswurf viele Komplimente und Aufmunterungen bekommen, sogar von Rapid-Fans, also kann ich nicht so viel falsch gemacht haben.»
In die Trainerpension will Ernst Baumeister noch nicht gehen: «Ich warte nicht gebannt darauf, ich dränge mich auch nirgendwo auf, aber wenn sich was ergibt, dann bin ich gerne dabei.»

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