Der Autor, Übersetzer und Vortragskünstler Harry Rowohlt hat den Buchdeckel seines erfüllten Lebens für immer zugeklappt. Vieles von ihm wird bleiben. Mehr als 180 Übersetzungen mit Meilenstein-Charakter, zahlreiche eingelesene Hörbücher mit Kultfaktor und dazu unvergessliche Lese-Auftritte an allen Orten und Enden. Ein Nachruf von Karl Weidinger.
Foto: Karl Weidinger
Er war eine analoge Erscheinung bis zuletzt. Rauchte filterlose Gauloises-Zigaretten bis zum Gehtnichtmehr. Arbeiten musste er vorher aufgeben. Wie auch das Saufen. «Seit 26. 7. 2007 schiebe ich stramme Ethanol-Karenz, aber viermal im Jahr darf ich mir gepflegt die Kante geben. Und wissen Sie, wie wir Hartsäufer Silvester nennen: Die lange Nacht der Amateure.»
So war er bis zuletzt: Kommunist mit viel Haltung, trockener Säufer mit noch mehr Attitüde und auch ein beflissener Viel-Arbeiter. Ein Mann des vorigen Jahrhunderts, wenn nicht Jahrtausends. Er lieferte stundenlanges Zuhörvergnügen ab, wenn er gewappnet mit Tschick und Fusel («Paddy’s») aus fremden und eigenen Werken vortrug. Dabei wuchtete er wirklich jeden Dialekt gekonnt über die Bühnenrampe. Vor acht Jahren war Sperrstunde beim «Schausaufen mit Betonung». Zwei Jahre später tingelte er wieder, Mineralwasser unterstützt.
Das mit dem Nicht-mehr-Saufenkönnen hat er tadellos hingekriegt. Das mit dem Nicht-mehr-Arbeitenkönnen hat er weniger gut vertragen. Zeitlebens war er vom Leben gezeichnet, zum Schluss vom Sterben. Entkräftet, abgemagert, eingefallen konnte er sich zu seinem 70er, Ende März, nicht mehr auf den Füßen halten. Konnte weder stehen noch gehen – und was ihn am meisten traf: Er konnte nicht mehr lesen und schreiben – das war sein Leben!
Zur Bettlägerigkeit verdammt, rauchte er dem Ende entgegen. Nach einer Operation war er zusammengeklappt, der Körper verweigerte beharrlich und ließ sich nicht mehr zum Funktionieren bewegen. Harry kam nicht mehr auf seine Beine, die schon der Polyneuropathie wegen den Dienst versagten. Somit blieb ihm nur noch sein letztes Kapitel, der Schlusssatz. Finaler Abgabetermin. Endlektorat. Imprimatur.
Harry Rowohlt klappte sein Lebensbuch am 15. Juni, dem Vorabend zum «Bloomsday» zu. Von James Joyce hatte er nicht gerade die höchste Meinung, viel mehr faszinierten ihn Flann O’Brien oder A. A. Milne. 1995 geriet er in die Fänge der «Lindenstraße», um dort die Rolle als Sandler zu geben und sich die Garderobe mit Heinz «Burli» Marecek zu teilen.
Und war erstaunt, wie wenige Menschen Fiktion und Fakt auseinanderhalten können. «Wenn da Komparsen sind, die behandeln mich teilweise richtig schlecht, weil sie glauben, ich wäre tatsächlich a Sandler! Die Bekannte einer Bekannten in Berlin hat mein Foto mit Magnet am Eisschrank und sagt, dass sie den Regisseur so bewundert, weil er diesen Typen von der Straße geholt hat.»
Für Monate «auf Montasch» in Wien
Rowohlt verehrte Flann O’Brien. Das führte ihn «auf Montage» nach Wien, um unter der Regie von Kurt Palm in der Sargfabrik «In Schwimmen-Zwei Vögel» aufzuführen. Und das bei Rowohlts Textschwäche, was Auswendiglernen betrifft. «Dadurch hatte ich die Gelegenheit, drei Monate lang in Wien zu wohnen. Dass wir außerdem noch ein Laienspiel einstudiert haben, das hätte man eigentlich auch lassen können. Mein Text klebte auf meinem Schwert, weil ich mir ja prinzipiell keinen Text merke, was mir aber nichts nützte, weil ich einen altirischen Sagenhelden spielte. Und altirische Sagenhelden sind bekanntlich keine Brillenträger.»
Bühnenpartner war Hermes Phettberg. Der meinte, er stelle sich Gott wie Harry Rowohlt vor: Langer wallender Bart, in Jeans und 68er-Look gekleidet.
Im Jahr 2000 verfasste Harry Rowohlt einen Leserbrief an unsere Boulevard-Zeitung: «Und der Augustin ist viel besser als unser Hamburger ‹Hinz und Kunzt›.» Und zum Schluss zeichnete er wie immer mit «Rotfront».
Harry, die wilde Type, schrieb bis zuletzt auf seiner Schreibmaschine, Computer kam ihm nicht ins Haus. «Ich habe nichts gegen PC, bin nur leider zu blöd dafür! Aber Handy geht schon.» Irgendwann kam das Ende seiner Autorentätigkeit in Sicht. «Wenn ich jetzt aufhöre zu schreiben, ist das auch nicht weiter schlimm. Denn bevor ich schrieb, habe ich ja auch schon nicht geschrieben!», sagte er prophetisch. Mit knapp 15 Jahren las und spielte er seinem siechen Vater am Sterbebett den «braven Soldaten Schwejk» in allen Rollen und vorkommenden Soziolekten vor. So was prägt fürs Leben. An Harrys Sterbebett blieb es ruhig. Er hatte schon geliefert, weit vor der Zeit.
Am Ende seiner unvergleichlichen Lesevorträge verabreichte er das Rowohlt’sche Meister- wie Lebenswerk «Pu der Bär» und sagte dazu: «Mal schaun, wer gewinnt: das Buch oder ich? Wenn ich weine, hat das Buch gewonnen!» Lässt sich dahinter eine unglückliche Kindheit vermuten? «Auf jeden Fall hatte ich nicht so eine grässliche Kindheit wie Christopher Robin.» Und jetzt hat das Buch für immer gewonnen.
Was er der Nachwelt hinterlässt, wird Bestand haben: Die schwer übertragbaren Bücher von Flann O’Brien wie auch die Bestseller von Frank McCourt («Die Asche meiner Mutter»). Den Kinderbuchklassiker «Pu der Bär» von Alan Alexander Milne entrückte er in höchste himmlische Sphären. Und dort wird er jetzt sein, für immerdar, gottgleich – von Antlitz zu Antlitz. Mach’s gut, altes Haus. Rotfront. R.I.P.