Musikarbeiter unterwegs mit Peter Hein von den Fehlfarben
Seit kurzem lebt Peter Hein, Sänger und Texter der deutschen Punk/New Wave/Neue Welle-Institution Fehlfarben in Wien. Deren aktuelles Album Handbuch für die Welt ist eine Großtat.
Wussten Sie auch schon, dass Sie genug Energie erzeugen, um eine Tasse Kaffee kochen zu können, wenn Sie neun Jahre lang ständig brüllen? Das ist einer von vielen erstaunlichen Sätzen in Jonathan Safran Foers Roman Extrem laut und unglaublich nah, ein Buch das spürbar macht, was alles vorgeht, wenn die Bestie Mensch auf den Schnuckiputz Mensch (lieben/geliebt werden, begehren/begehrt werden, in Würde und Sicherheit leben können) draufdrischt auch Menschen, die weiter vom Wasser weg gebaut sind als ich, sollte das ans Eingemachte greifen. Erschütternd.
Oft ebenso genau und erschütternd in den Geschichten, die es erzählt und streift, ist Handbuch für die Welt, das vor einiger Zeit erschienene neue Album der Fehlfarben, jener 1979 in Düsseldorf gegründeten Band, die mit ihrem ersten Album Monarchie und Alltag (1980) einen Meilenstein deutschsprachiger Popmusik vorgelegt hat. Seit 2001 spielt die mittlerweile über ganz Europa verstreute Band wieder zusammen. Von mildem Alterswerk ist weder bei Knietief in Dispo, dem 2002 erschienen Album noch beim aktuellen etwas zu spüren. Im Gegenteil! Ohne dass sich die Herren mit Dame am Schlagzeug als ungebrochen zornige berufsjugendliche junge Menschen gebärden würden, stellt das die richtigen Fragen und ringt den moralischen Ambivalenzen und Zweifeln von erwachsenen Menschen, die sich eine Haltung und Distanz zum Wahnsinn Welt bewahrt haben, tolle Songs ab, die Energie für mehrere zu versorgende Kaffeehäuser abgeben, ohne dass Peter Hein dabei besonders viel brüllen würde. Wir haben uns über Deutschland beschwert/haben uns mal selbst bei John Peel gehört sind die ersten Worte im fast programmatischen Opener Anders geblieben.
Aber die Fehlfarben jammern nicht, lamentieren nicht, sie stellen fest und sind damit meilenweit vom kapitaltransfergesteuerten Produktfroh- und Schwachsinn entfernt, der Popmusik 2007 so grundsätzlich prägt und unerträglich macht. Und die Fehlfarben können Lieder über die Lieder machen, die man in Liebesbriefen zitieren könnte, würde man denn welche schreiben.
Aber zum Richtig-gut-Sein, da habe ich keine Zeit
Peter Hein, der wegen seiner Liebe zu den Clash nach deren Janie Jones unter Freunden auf den Namen Janie hört, ist jemand, dessen Arbeit und Musik mir viel bedeutet, gegeben hat und gibt, ja, einer meiner Helden. Eines der Highlights meines Rock’n`Roll-Lebens war es, mit der Kölner Band Angelika Express und ihm in deren Kölner Proberaum zu stehen und Clash-Songs zu covern, was mich später auf der Bühne vor das Problem stellte, dass ich lieber ihm zugehört hätte als mit meinem Mini-Phrasierungsvermögen und Stimmchen da neben einem Großen herumzuquäken. Heldenverehrung und Legendenstatus lässt Peter Hein nicht zu. Wenn man schon keine Platten verkauft, kann man sich wenigstens an den Jubelarien hochziehen. Und wenn man dann richtig Platten verkauft und überall verrissen wird, sagt man ich lese meine Kritiken nicht, ich will nur eins mit meinem Publikum sein.
Recht launig resümiert er an einem Sommernachmittag im Rüdigerhof die gerade gelaufene Tour seiner Band. Für die Straßenzeitung Augustin? Passt ja, wir sind auch gerade auf der Straße gewesen. Vom Publikum alle Alterschichten, vom Opa bis zum unverbrauchten Enkel bis zum Umstand, dass am Schluss dann alle Stücke gesessen haben. Aus privaten Gründen ist er nach Wien gezogen, wo er immer wieder Zeit verbracht hat. Seine andere Band Family 5 war eine Zeit lang fast eine Art Hausband im alten Chelsea in der Piaristengasse, und den Fehlfarben drehte bei einem frühen Wienkonzert André Heller persönlich den Strom ab, wie die launige Nacherzählung der Bandgeschichte auf der Homepage berichtet. In Wien wird man auch nach dem Duschen schneller trocken als in Düsseldorf. Aber das Arena-Konzert Ende Mai fiel trotzdem unter Auswärtsspiel, was sein Gutes hat. In Düsseldorf ist es immer ganz furchtbar, da haben wir einen Heimkomplex.
Dass die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen auch bei einer Band wie den Fehlfarben eher eng sind Ich bin ärmer nach Hause gekommen, als ich weggefahren bin stört ihn, scheints, nicht wirklich. Dass die Fehlfarben bei allen ungebrochenen Qualitäten und neuer musikalischer Entschlossenheit auf den ganz großen Festivals in D nicht vorkommen, führt er darauf zurück, dass man da den richtigen Arsch zuckern müsste. Dann halt eben nicht. Auf der Tour wurde neben einem Querschnitt aus allen Bandphasen mit sinkendem Monarchie & Alltag-Anteil auch schon wieder ein neues Stück gespielt, also von ferne winkt dann auch schon gemächlich ein Nachfolger des Handbuch für die Welt. Bevor sich Peter Hein und ich mit der Erörterung so weltbewegender (yes!) Themen wie der Vorzüge des Trinkens am Nachmittag verabschieden, noch ein Hinweis für die Musikerinnen da draußen: Ein großer Sänger und Texter ist in der Stadt!
Info:
Fehlfarben Handbuch für die Welt (V2 / Edel)