Herr Groll auf Reisen, 367. Folge
Der Dozent und Herr Groll waren auf der stadtauswärts führenden Krumpöckallee unterwegs; ihr Ziel war das Schloss Haindorf, welches im Gebiet der früheren Kamp-Au am Fluss liegt.
«Seit vielen Jahren werden hier im Sommer Operetten gespielt, immer dieselben sieben Werke. In der übrigen Zeit dient die Anlage als Aus- und Fortbildungsstätte», sagte der Dozent nach einem Blick auf sein Smartphone. Was führt Sie denn hierher?»
«Ich will feststellen, ob das Schlosshotel barrierefrei ist», antwortete Groll. «Im Sommer möchte ich nämlich eine Lesung mit Andreas Weber veranstalten, einem wichtigen Autor, der in Langenlois aufgewachsen ist und dieser Stadt seinen ersten Roman Lanz gewidmet hat – eine Geschichte, die von einem Lynchmord an einer Soldatenwitwe handelt. Die Frau wurde geteert und gefedert und danach auf der Straße ermordet. Sie habe sich mit einem sowjetischen Offizier aus dem nahen Kriegsgefangenenlager eingelassen, behaupteten die lokalen NS-Größen. Im Jahr 1968 rollt ein Journalist – der Sohn der Ermordeten? – das Verbrechen auf. Ein Buch ohne moralisch-didaktischen Unterton, sagte die Literaturkritik. Eine fesselnde, realistische Prosa, wie ich sage.
Der Autor, der nach Gastprofessuren in den USA, Rom und Malta mittlerweile in Linz lebt, hat zwei neue Bücher vorgelegt, die seine lakonische Sprache und die an Eric Ambler, Alistair MacLean und Alfred Hitchcock geschulte Dramaturgie zur Meisterschaft bringen. Das erste Buch ist der Roman Mord in Linz, ein politischer Kriminalroman. Ein Journalist schreibt eine Reportage über den Handball-Star Ivo, dem angeblich von einem Pater Gewalt angetan wurde. Doch die Anschuldigung ist eine Lüge, und Ivo wird tot aufgefunden. Der Journalist gibt nicht auf, den Täter zu suchen. Aber er stößt auf mächtige Widersacher – einen rechtsstehenden Lokalpolitiker, einen Linzer Unterweltler und seinen Freund Pittler, der Inspektor bei der Mordkommission ist.»
Der Dozent schaute Groll aufmunternd an.
«Ich werde mich hüten, Ihnen weitere Details zu erzählen», sagte Groll verschmitzt. «Das Buch ist aufgebaut wie ein Thriller aus dem Frankreich der frühen 80er Jahre mit Lino Ventura. Die Atmosphäre von Linz wird mit knappen Sätzen eingefangen, die Raum für das Vorstellungsvermögen der Leser geben. Weber hat diese Kunst bei Hemingway gelernt, den er auswendig kennt, und das in Amerikanisch und in Deutsch. Er ist sogar Mitglied der Hemingway Foundation and Society, in deren Journal er auch publiziert. Wenn ich noch dazusage, dass Weber Bob Dylan und die Rolling Stones mit wissenschaftlicher Leidenschaft studiert hat, haben Sie eine Vorstellung von den Fundamenten dieses Autors. Und wenn ich dann noch hinzufüge, dass er auch ein Buch über Rupert Hollaus, einen österreichischen Motorradweltmeister aus Traisen, der 1954 in Monza tödlich verunglückte, veröffentlichte, stoßen sie auf eine weitere Eigenart Webers – die Liebe zum Sport.»
«Und das zweite Buch?» Der Dozent deutete auf das nahe Schloss.
«Ist eine Erzählsammlung, die in der Linzer besseren Gesellschaft spielen», erwiderte Groll. «Das Besondere an Kleeblatt ist der Umstand, dass darin sieben Geschichten von Tätern versammelt sind, die Verbrechen begehen, um das Böse in Schranken zu zwingen. Ein Ansatz, den Patricia Highsmith begründete und der von Andreas Weber klug und gekonnt auf das Linz der Gegenwart angewandt wird.»
«Sie werden sehen, die Lesung mit Andreas Weber wird eine große Sache», meinte der Dozent anerkennend.
«Selbstverständlich werde ich dafür sorgen, dass ausgesuchte Kampweine kredenzt werden», ergänzte Groll.
Angesichts der doch recht profanen Schönheit des Schlosses Haindorf schlug der Dozent vor, die Lesung im Loisium zu veranstalten. Unter dem Bau der architektonischen Spätmoderne befänden sich neunhundert Jahre alte unterirdische Weinkeller.
Das Loisium könne er sich nicht leisten, versetzte Groll. Eine Nacht koste dort zweihundert Euro und mehr.
Der Dozent widersprach: «Geben Sie es doch zu! Sie wollen am Fluss feiern. Und das Loisium liegt nicht am Kamp, nur an einem munteren Bächlein, dem Loisbach. Der allerdings ist nicht schiffbar.»
«Der Kamp schon», erwiderte Herr Groll. «Sofern man flachgehende Kähne einsetzt.»
Andreas Weber: Lanz. Roman, Otto Müller Verlag 2004; Kleeblatt. Sieben Täter-Geschichten und eine Legende, Verlag Bibliothek der Provinz, 2019; Mord in Linz, Roman. Gmeiner Verlag 2019
1954 wurde Rupert Hollaus Straßenweltmeister in der 125-cm³-Klasse sowie Vize-Weltmeister in der 250-cm³-Klasse. Im selben Jahr siegte er auch bei der Tourist Trophy auf der Isle of Man. Er wurde nur 23 Jahre alt.