Angekommentun & lassen

Wagenplatz: erstmals unbefristeter Mietvertrag

Ende einer Odyssee: Nach zehn Jahren Nomad_innentum bekam der Wagenplatz Treibstoff nun einen ­unbefristeten Mietvertrag von der Stadt Wien. Text: Armin Grasberger, Illustration: Much

So ein Umzug geht an die Substanz. Ein ewig langer Prozess, der kein Ende zu finden scheint. Körperliche Schufterei und große emotionale Belastung gleichermaßen. «In den letzten zehn Jahren sind wir 37 Mal umgezogen», erzählt Gisela*. «Unfreiwillig!», fügt sie hinzu. «Also eh nur 3,7 Mal pro Jahr», lacht Ignaz*. Die beiden sind Bewohner_innen des Wagenplatz Treibstoff. Einiges haben sie in den letzten Jahren mitgemacht, nichts unversucht gelassen, die eigenen Ansprüche Stück für Stück heruntergeschraubt. Und jetzt sind sie «trotzdem happy». Der Treibstoff hat ein Zuhause gefunden.
Seit zehn Jahren gibt es den Wagenplatz. Eine in ihrer Größe variierende, aber ihrem Kern konsistente Gruppe von Menschen lebt auf ihm und durch ihn die Art von Leben, die für sie die beste ist. In Bauwägen, Anhängern, Lastwägen … Alles selbstverwaltet. Über ihren Köpfen schwebte stets die Gefahr einer Räumung, des nächsten aufgezwungenen Standortwechsels. An der Zufahrtsstraße zum Hafen Freudenau darf der Treibstoff nun endlich Wurzeln schlagen. «Nach dem ganzen Gschisdigschasdi kommen wir schön langsam in den Erholungsmodus», sagt Gisela.

Zentrumsnähe erwünscht.

Monatelang sprach so gut wie nichts für ein Happy End. Den ersten Kontakt zur Bezirksvorsteherin der Leopoldstadt, Uschi Lichtenegger, gab es im Sommer 2018. «Sie sagte damals, dass sie die Lösung am Hafen Freudenau sehr begrüßen würde, ihr allerdings die Hände gebunden seien», so Gisela. Zum Zeitpunkt des ersten offiziellen Gesprächs im November 2018 standen noch Gebäude auf dem Grundstück, sein Wert war noch nicht geschätzt. «Damals wurde uns eine Miete von 30.000 Euro pro Jahr vorgeschlagen», schildert Gisela. «Die Strandbar Herrmann als kommerzielles Projekt zahlt weit weniger.» Dass die Strandbar weniger berappen muss, hat sie einem Bericht im Standard entnommen (online, Stand 24. Juli 2019), der 2016 von einem laut Rechnungshofprüfung festgestellten Bestandszins von 2400 Euro jährlich berichtete. 2013 sei dann auf 20.013 Euro erhöht worden. Immer noch weniger, als der Treibstoff zahlen sollte. Zwischendurch kam seitens der Stadt Wien die Idee auf, die zwei Wagenplätze Treibstoff und Flugrost am Freudenauer Hafen zusammenzufassen. Der Vorschlag stieß auf wenig Gegenliebe.

Kein Wagenplatz-Ghetto.

Gisela erklärt, warum: «Wir wollten und wollen kein Wagenplatz-Ghetto. In Wien gibt es drei Wagenplätze. In Leipzig beispielsweise, einer viel kleineren Stadt, sind es aktuell 17.» Generell war das Ziel stets, ein möglichst zentrumsnahes Gelände zu bekommen. Ignaz erklärt: «Die freien Flächen für unkommerzielle Projekte rücken immer mehr an den Rand der Stadt. Irgendwie sind wir immer ein bissl die Vorboten der Gentrifizierung. Einige unserer ehemals besetzten Plätze wurden nämlich tatsächlich verbaut, allerdings nicht mit Gemeindewohnungen.»
Während der vergangenen 13 Monate waren die Bewohner_innen mehrmals «kurz vor der Resignation». Ende Juni musste der Treibstoff seinen bisherigen Platz räumen. Ein neuer war zu diesem Zeitpunkt noch nicht in Aussicht. Von den Besitzern gab es eine Woche Aufschub. Kurz vor der finalen Deadline kam dann die Erlösung. Gisela: «Unsere Ansprüche haben wir zwar ein bissl zurückgeschraubt. Wir sind jetzt aber trotzdem zufrieden, weil der Vertrag langfristig ist. Trotzdem sollte Wagenleben auch in Zentrumsnähe möglich sein.»

Zwist mit Ludwig.

Warum es nach all den Jahren doch noch mit dem unbefristeten Vertrag geklappt hat? Giselas Versuch einer Erklärung: «Seit Michael Ludwig nicht mehr Wohnbaustadtrat ist, geht es plötzlich. Die Zusammenarbeit mit Kathrin Gaál ist viel besser. Mit Ludwig hatten wir ja so eine Art persönlichen Zwist. Er hat einmal gesagt, dass wir Wien mit unserer Art zu leben in den Dreck ziehen würden. Wir haben mit Protestaktionen geantwortet.» Über die Blockadehaltung damals ärgert sie sich noch heute. «Der Wagenplatz ist unsere Existenz. Das war diesen Leuten wohl nicht ganz bewusst.»
Marion Winkler vom Immobilienmanagement der Stadt Wien erklärt das Zustandekommen des unbefristeten Vertrages so: «In der Vergangenheit standen nur Grundstücke zur Verfügung, bei denen lediglich eine zeitlich beschränkte Nutzung möglich war. Daher war auch nur ein befristeter Vertrag möglich. […] Die Stadt Wien war stets bemüht, eine langfristige Lösung für alle zu finden. Wir sind auch bemüht, alternativen Wohnformen Platz zu bieten – sofern es im Bereich des Möglichen liegt.» Giselas Erinnerungen allerdings zeichnen ein gänzlich anderes Bild: «Das hier ist das erste Grundstück, das wir direkt von der MA 69 mieten, die anderen Areale gehörten unterschiedlichen Immobilienentwicklungsgesellschaften bzw. den Wiener Linien und wurden meistens durch Besetzungen erkämpft.» Ein langer Kampf war es. Ein schlussendlich erfolgreicher. Umzug Nummer 38 bleibt dem Wagenplatz «Treibstoff» wohl erspart.

*Namen von der Redaktion geändert