Immer wieder werden im Kunst- und Kulturbetrieb arbeitsrechtliche Beschwerden laut. Auch im Jüdischen Museum Wien soll es zu Verletzungen der Fürsorgepflicht gekommen sein. Der Augustin hat mit der Direktorin und mit ehemaligen Mitarbeiter_innen gesprochen.
Text: Katharina Brunner
Foto: Carolina Frank
Morgen ist ein wichtiger Tag für Lena*, sie hält ein Skript in den Händen, auswendig will sie es können. Morgen soll es sie von ihren Panikattacken, den Alpträumen und dem täglichen Herzrasen befreien. Das Skript hält fest, was sie im Kündigungsgespräch mit Danielle Spera, Direktorin des Jüdischen Museum Wiens, sagen möchte. Sie hat sich akribisch vorbereitet, ein Coaching besucht, damit sie die Situation emotional gut übersteht. Seit mehreren Monaten schon will sie weg, aber die Angst vor dem Gespräch war zu groß – oft hat sie mitbekommen, wie die Direktorin und bekannte ehemalige Zeit-im-Bild-Moderatorin auf Kündigungen ihrer Kolleg_innen reagiert hat.
Eine Erfolgsgeschichte.
Seit 2010 leitet Danielle Spera das Jüdische Museum Wien (JMW). Unter ihrer Leitung gab es Rekordzahlen bei den Besucher_innen, das Museum erlangte international mehr Bekanntheit. Im September 2021, als der Vertrag der Direktorin auslief, stimmte eine Jury der Wien Holding, Eigentümerin des JMW, für einen Wechsel: Ab Juli 2022 soll Barbara Staudinger, die seit 2018 das Jüdische Museum Augsburg leitet, übernehmen. In einem offenen Brief an den Wiener Bürgermeister Michael Ludwig setzen sich nach der Jury-Entscheidung Persönlichkeiten wie Ex-Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein, ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz und Multimediakünstler André Heller dafür ein, dass Spera bleiben soll. Ihr sei es gelungen, das Jüdische Museum Wien mit Leben zu erfüllen, es zu öffnen, für eine breite Besucher_innenschicht interessant zu gestalten und gleichzeitig auf einem hohen wissenschaftlichen Niveau zu halten, schreiben die Prominenten. Von außen gesehen schreibt Spera eine Erfolgsgeschichte des JMW. Blickt man nach innen, findet man zwar extrem motivierte, aber auch hochgradig gestresste Mitarbeiter_innen und zwischenmenschliche Grenzüberschreitungen. Der Augustin hat mit ehemaligen Museumsmitarbeiter_innen gesprochen, die anonym bleiben wollen.
Grenzüberschreitungen.
«Ich war genau dort, wo ich immer hinwollte», beschreibt Lena ihren Job am JMW. Schon als Jugendliche hat Lena sich für die Geschichte und das Leben von Jüdinnen und Juden interessiert und vor allem für die fehlende Aufarbeitung der Nazi-Verbrechen, umso glücklicher war sie, beim JMW eine Anstellung zu bekommen.
Einige Wochen vor der Eröffnung einer Ausstellung, an der sie besonders viel mitgearbeitet hatte, beschuldigte die Direktorin Lena eines Fehlers, der nicht ihrer war, was sich kurze Zeit später auch für die Direktorin herausgestellt habe. Doch die Beschuldigung artete aus: Lena stand ihr gegenüber, ihre Chefin schrie sie an, warf ihr vor, dass sie nicht mal die leichtesten Aufgaben erledigen könne. Es war das erste Mal, dass Lena selbst angeschrien wurde, bisher hatte sie das nur von Kolleg_innen gekannt. Irgendwann war es genug: Sie sagte, dass es nicht ihre Schuld gewesen sei. Diese Widerrede, auf die sie fast zwei Jahre später noch stolz ist, sei der Punkt gewesen, an dem die Stimmung zwischen ihr und der Direktorin kippte. Obwohl die Ausstellungseröffnung anstand, sei sie von nun an aus der Kommunikation darüber ausgeschlossen worden, erzählt Lena.
«Angespannte Stimmung am Arbeitsplatz gab es fast immer», erinnert sich auch Marie*, eine frühere Arbeitskollegin von Lena. Als Studentin hatte sie einen Zwanzig-Stunden-Job im Jüdischen Museum. Von ihrer Vorgesetzten angeschrien zu werden, hat sie per Telefon erlebt: «Danke für die Rückmeldung, ich arbeite das Feedback ein. Kommt nicht mehr vor», hat sie dann am Ende entgegnet, nachdem sie den Hörer meist auf die Seite gelegt hat, um den lauten Worten zu entgehen. Öfters dachte sie an die Kündigung, besonders an dem Tag, als sie nach zwei Stunden ohne Handyempfang auf sämtlichen privaten Kanälen wie Facebook, Instagram und WhatsApp Nachrichten fand. «Diese Bereitschaft, alle Kanäle zu jeder Zeit zu nutzen, um Mitarbeiter_innen zu erreichen, überschreitet für mich eine Grenze», meint Marie. Am Ende ist sie erst gegangen, als sich ein anderes Jobangebot aufgetan hat. In den restlichen Arbeitswochen nach ihrer Kündigung fühlte sie sich wie nicht existent für ihre Vorgesetzte.
Fürsorgepflichten.
Nach §1157 des Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches und §18 des Angestelltengesetzes haben Arbeitgeber_innen eine Fürsorgepflicht zu erfüllen. Sie müssen die physische und psychische Integrität der Arbeitnehmer_innen schützen. Anschreien, so gibt die Arbeiterkammer Auskunft, ist «objektiv gesehen nichts, was dem Arbeitsumfeld zugute kommt, und damit auch unzulässig; der Arbeitgeber verstößt damit gegen seine Fürsorgepflicht». Der Umgang mit Mitarbeiter_innen im Museum sei betriebsintern bekannt gewesen. Zweimal wandte sich Lena an den Betriebsrat und schilderte die Situationen, drängte, dass sich was ändern müsse. Dort habe man ihr entgegnet, dass es laut ihren eigenen Erzählungen doch «eh schon weniger schlimm» geworden sei. «Das ist das Problem: Selbst der Betriebsrat hat Angst, Schritte einzuleiten», meint Lena. Auch Marie wandte sich ohne Erfolg an den Betriebsrat. Auf Anfrage des Augustin bezog der Betriebsrat keine Stellung dazu.
Bevor Lena den Schlussstrich ziehen konnte, wollte sie das Ausstellungsprojekt abschließen, das sie begonnen hatte. Bei der Eröffnung zählte die Direktorin wie so oft die Namen der Mitarbeiter_innen der Ausstellung auf, sie konnte sie alle auswendig. Eine Wertschätzung in der Öffentlichkeit, die alle Befragten an Spera geschätzt haben. «Gleichzeitig fühlte es sich aber wie eine Scheinwelt an, die Spera der Öffentlichkeit präsentieren wollte», meint Thomas, ein weiterer ehemaliger Mitarbeiter. «Ich habe ihre Persönlichkeit, die die Öffentlichkeit kennt, die ich als Kind in der Zeit im Bild sah, von der, die ich aus der Arbeit kenne, getrennt», erzählt Marie.
Nach der feierlichen Ausstellungseröffnung weiß Lena: Das alles muss ein Ende haben. Nicht die eigentliche Arbeit, die liebte Lena: «Es ist bitter: Wegen ihr hab’ ich meinen Traumjob gekündigt.» Was enden musste, war ihre schlechte psychische Verfassung. Heute weiß sie: Damals war sie kurz vor einem Burnout. Als Mitarbeiterin eines Unternehmens der Wien Holding konnte Lena ein Coaching bei Consentiv in Anspruch nehmen. Consentiv berät Mitarbeiter_innen von Unternehmen wie Flughafen Wien, Canon oder Verbund in beruflichen oder privaten Lebenslagen. Als Lena dort ist, schildert sie die erlebten Situationen, ihre Gründe für die Kündigung. Die beratende Person kennt die Geschichten über die Direktorin bereits, erfährt Lena. Consentiv ist zu Verschwiegenheit verpflichtet und kann daher dem Augustin gegenüber keine Stellungnahme abgeben. Marie war aber ebenso dort, bevor sie kündigte, auch ihre Erzählungen kannte die Beratungsstelle bereits von Gesprächen mit anderen Mitarbeiter_innen des JMW.
Ein Ort der Begegnung.
Im Zentrum der öffentlichen Erzählungen steht Danielle Speras Erfolg. Seit 2010 Direktorin des Jüdischen Museums, stiegen die Besucher_innenzahlen konstant an. In ihrem ersten Jahr 2011 gleich um 40.000. 2011 startete sie mit 59.471, 2019 als letztes vergleichbares Jahr vor der Pandemie, zählt das JMW 144.000 Besucher_innen. Die Ausstellung Die Ephrussis. Eine Zeitreise ist derzeit im Jewish Museum New York zu sehen, die New York Times berichtete mehrmals. Während der Arbeiten für die Ausstellung hat das JMW ein Bild im Heeresgeschichtlichen Museum der jüdischen Familie Ephrussi gefunden – bis dahin war es der Familie nicht zurückgegeben worden. Vor einigen Monaten ist das nun passiert. Außerdem wurde das JMW in den letzten Jahren zu einem «Ort der Begegnung», erzählt die Direktorin: «Das Verbindende über das Trennende zu stellen ist ein wichtiger Teil unserer Unternehmensidentität.» Sie arbeitete erfolgreich daran, das JMW zum Treffpunkt für Menschen zu machen, die aus dem Bürgerkrieg in Syrien und dem Nahen Osten nach Österreich geflüchtet waren.
Ihre Führungsqualitäten schätzt Danielle Spera anders ein als die ehemaligen Mitarbeiter_innen: «Ich denke, dass Menschen in Führungspositionen neben strategischem Denken und visionärem Engagement prinzipiell Eigenschaften haben sollten, die sich positiv auf das Arbeitsklima auswirken. Es geht um gute und klare Kommunikation, es geht darum, Anerkennung zu zeigen und die Kolleginnen und Kollegen mit Begeisterung zur gemeinsamen Leistung zu motivieren. Unsere engagierte, motivierte Teamarbeit im Jüdischen Museum Wien ist sicherlich ein Geheimnis unseres Erfolgs.» Mit den Vorwürfen konfrontiert, beruft die Direktorin sich auf jährliche Mitarbeiter_innengespräche und anonyme Befragungen der Wien Holding: «Es gab in den Jahren meiner Tätigkeit keinerlei Meldungen in der Art, wie Sie es andeuten», schreibt sie als Antwort auf die Frage, ob sie sich daran erinnern könne, jemanden angeschrien zu haben. «Gegenseitige Wertschätzung ist bei uns kein Lippenbekenntnis, sondern wird tagtäglich gelebt.» Der Konzernsprecher der Wien Holding, Wolfgang Gatschnegg, betont, dass die drei Befragungen zwischen 2012 und 2018 zeigen: Die Zufriedenheit der Mitarbeiter_innen liege «generell auf einem guten Niveau». Auch die Anzahl an Kündigungen am JMW im Vergleich zu anderen Unternehmen sei nicht auffallend hoch, konkrete Zahlen zum Vergleich wollte er nicht vorlegen. «Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die in den vergangenen Jahren unser Unternehmen verlassen haben, haben es in bestem Einvernehmen verlassen», so die Direktorin des JMW. Lena, Marie und Thomas kennen die Wien-Holding-Fragebögen, ihre Beschwerden hätten sie dort eingebracht. Die Ergebnisse wurden ihnen stolz in den jährlichen Mitarbeiter_innengesprächen gezeigt – über Beschwerden wurde dabei kein Wort verloren, geändert hat sich nichts.
Der Sommer 2022 wird mit der Neubesetzung der Direktion wohl Veränderung bringen. Für Lena kommt sie zu spät. Mittlerweile hat sie zumindest nicht mehr jede Nacht Alpträume. Die Angst, Fehler zu machen, begleitet sie aber in ihrem neuen Job.