Ankommen und Vorhang zuvorstadt

Ununterbrochen auf Achse geht nicht. Zwischendurch müssen LKW-Fahrer immer wieder Pausen einlegen. Nur gut, dass sie ihren Wohnbereich ständig mit sich führen. Wenzel Müller (Text und Fotos) hat die Fernfahrer-Szenerie auf der Raststätte Guntramsdorf beobachtet.

Was für ein gewaltiges Potenzial: Hier kommen mehrere hunderttausend PS zusammen! Und was tut sich? Im Grunde nichts, tote Hose.
Die Raststation Guntramsdorf vor den Toren Wiens. Hier, auf dem großen Parkplatz, machen jeden Tag sehr viele LKW-Fahrer Halt. Am Tag dürfen sie höchstens neun Stunden unterwegs sein (zwei Mal in der Woche auch zehn Stunden), und nach spätestens viereinhalb Stunden haben sie eine Pause von mindestens 45 Minuten einzulegen. So die gesetzliche Regelung, die streng kontrolliert wird und ja auch sinnvoll ist, denn niemand wünscht sich übermüdete Fernfahrer auf unseren Straßen, die ohnehin schon gefährlich genug sind.
Wer den ganzen Tag hinterm Steuer sitzt, hat bei einem Stopp das unbedingte Bedürfnis, sich die Beine zu vertreten und den Körper etwas zu dehnen. Sollte man denken, aber so ist es nicht. Ich habe auf einer Bank am Rande des LKW-Parkplatzes Platz genommen, um die Szenerie ein bisschen zu beobachten. Und stelle fest: von Dehn- oder sonstigen Bewegungsübungen keine Spur. Die zwei, drei Stufen, die der LKW-Fahrer nehmen muss, um aus seiner Fahrerkabine zu klettern und wieder festen Boden unter den Füßen zu haben, die sind ihm offensichtlich Sportprogramm genug. Kein Schritt wird zu viel gemacht. Niemand geht hier spazieren. Die Wege, die gemacht werden, müssen sein: zur Toilette.
An der Vorderseite des WC-Häuschens findet sich zwei Mal das Piktogramm für Männer: Links führt die Tür zu den Toiletten, rechts zu den Duschen. Um die Ecke, an der Schmalseite des Häuschens und geradezu versteckt, ist die Damentoilette. Keine Frage, dieser Parkplatz ist fest in Männerhand.
Soweit ich das von meinem Beobachterposten überblicken kann, wählt niemand der Fernfahrer den kurzen Weg zum Zaun, um sich dort zu erleichtern. Achtlos weggeworfener Müll? Auch Fehlanzeige. Dafür, dass es sich hier quasi um männliches Terrain handelt, geht es geradezu überraschend sauber und gesittet zu. Eine große Tafel weist die Benutzer des Parkplatzes darauf hin, Ordnung zu halten – und die wird offensichtlich befolgt.

Standardzimmer auf Rädern.

Die Sonne geht über der Autobahn unter. Ein Spätsommerabend. Ankommen, zur Toilette, dann zurück zum Wagen und Vorhang zu. So sieht der Ablauf bei den meisten Fahrern aus. Es drängt sie mit Macht ins Fahrerhaus. Das ist nicht nur Arbeitsplatz, sondern Wohnbereich zugleich, standardmäßig ausgestattet mit Bett, Fernseher, Klimaanlage und Kühlschrank. Draußen an der Beifahrertür hat ein Fahrer eine SAT-Schüssel angebracht. Drinnen hat er seine Ruhe.
Freilich gibt es auch auf der Raststätte die Ausnahme von der Regel: Hier hat ein Fahrer die Motorverkleidung seines LKWs heruntergeklappt, um sie als Sitz zu nutzen. Da brät ein anderer Fahrer Fleisch – auf einem ehemaligen Ölkanister. Und dort sitzen wieder zwei andere Fahrer in Campingstühlen, in der engen Lücke zwischen zwei LKWs. Nicht nur, dass alle diese Männer den schönen warmen Abend im Freien genießen wollen, sie tun dies, weitere Gemeinsamkeit, in kurzen Hosen und mit freiem Oberkörper. Da sind sie noch, jene legendären Abenteurer der Straße, die die Freiheit und das Unterwegssein über alles schätzen.
Ein bisschen erinnern diese Szenen auch an einen Campingplatz. Dieselbe Einfachheit und Ungezwungenheit. Allerdings: Ein Campingplatz möchte seinen Gästen gerne Behaglichkeit bieten. Die Raststätte bietet dagegen – Asphalt. Und dazu das ständige Rauschen von der Autobahn, Tag wie Nacht. Rauer geht es kaum. Eine Durchgangszone ist dieser Ort, ein Transitraum, oder wie Kulturwissenschafter_innen auch gerne sagen: ein Un-Ort, nicht gedacht zum Verweilen.
Hier auf der Raststätte in Guntramsdorf gibt es ein Hotel, mit weichem Bett. Genutzt wird es aber bloß von etwa 15 Prozent der LKW-Fahrer, wie die Dame an der Rezeption sagt. Das Hotel, das ist die Fremde. Der LKW, das ist die Heimat für die Fernfahrer.

Der Verkehr nimmt ständig zu.

Stefan Toth schließt seinen Lastzug ab. Feierabend. Die Arbeit ist erledigt. Hinter ihm liegt eine Lieferung nach Hamburg. Gestern, erzählt er, steckte er vor Nürnberg zwei Stunden im Stau. Danach konnte er, wegen der einzuhaltenden Ruhezeit, nicht mehr lange fahren, und er wusste nicht, ob er es überhaupt rechtzeitig hierher schaffen würde. Zum Glück hat es geklappt. Damit ist das Wochenende zu Hause, in Bratislava, bei der Freundin, gerettet. Ein Arbeitskollege holt ihn mit dem Auto ab. Nur über die Autobahn ist von diesem eingezäunten Gelände wieder wegzukommen.
Toth ist Slowake und einer der wenigen Fernfahrer hier, der erstens gut Deutsch spricht und zweitens gerne bereit ist, Auskunft über seinen Beruf zu geben. Dreiachser, Achtzylinder, 480 PS, Verbrauch zwischen 25 und 35 Liter, das ist sein Gefährt. Mit dem zu fahren mache ihm Spaß, doch der Verkehr nehme stetig zu, damit auch die Ungewissheit, ob er in der vorgesehenen Zeit überhaupt an sein Ziel kommt.
Dazu käme, dass gerade in Deutschland die freien Stellplätze auf Raststätten zunehmend knapp würden. Alles schon belegt, diese Erfahrung musste Toth schon öfters am Abend machen. Was ihn jeweils in dieses Dilemma brachte: Parken ging nicht, und weiterfahren durfte er nicht. «Ab Nachmittag beginnt man unruhig zu werden. Häufig müssen wir in Gewerbegebiete ausweichen, dort sind die Leute aber nicht gerade darüber erfreut, dass wir in ihren Straßen übernachten.»
Früher waren die Fernfahrer die Rebellen der Straße, heute fühlen sie sich oft als Getriebene. Sie sind das logistische Rückgrat des florierenden Warenaustausches. Sie sorgen dafür, dass die Regale in den Supermärkten voll sind und die Fließbänder in den Fabriken nicht still stehen. Zunehmend wird diese Arbeit von osteuropäischen Fahrern erledigt, klar, die sind billiger als die im Westen. Österreichische Speditionsfirmen engagieren gerne Subfirmen in Bulgarien oder Rumänien.

Noch ein alkoholfreies Bier.

Ein Blick auf den LKW-Parkplatz bestätigt es: Fahrzeuge mit österreichischem Kennzeichen sind geradewegs an einer Hand abzuzählen – immerhin ist eines darunter mit der Abbildung einer Frau hinten auf der Plane, Peter Piller hätte seine Freude, der Professor an der Kunstakademie Düsseldorf sammelt mit seiner Kamera dieses Motiv. (Vor einiger Zeit zeigte er seine Schätze in Wien in einer Ausstellung im Kunsthaus.)
Ob er nicht Bedenken habe, seinen LKW hier auf der Raststätte übers Wochenende stehen zu lassen? Nein, hier sei das kein Problem, antwortet Toth. Diese Raststätte sei videoüberwacht. Anderswo, gerade in Ostdeutschland, sei man allerdings nicht sicher vor Planenaufschlitzern, Reifendieben, Dieselabsaugern.
Schnell noch ein (alkoholfreies) Bier mit Toth und seinem Kollegen geleert, dann fahren sie los, ab ins freie Wochenende. Am Montag geht der Slowake wieder auf Tour. 

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