Anstalt für Dichtungen aller Richtungen vom 10. April 2017Schreibwerkstatt

Zettelpicken im Menschenstrom & Poetry Slam

Der Strom der Passant_innen in der Karlsplatzpassage verlangsamt sich nur hin und wieder, während die Gruppe SlowForward gerade dort ihre Performance durchführt, wo täglich rund 200.000 Menschen von der Oper zum Resselpark oder umgekehrt eilen oder zur U-Bahn oder anderen Öffis hasten. Am 10. April zur Rushhour um 16 Uhr setzten die Anstalt für Dichtungen aller Richtungen (Schreibwerkstatt des Augustin), das Institut ohne direkte Eigenschaften (Perinetkeller) und die o. g. Performer_innen von SlowForward zur gemeinsamen Aktion an.

Am Abend gab es Poetry Slam mit Christian Schreibmüller in der AUGUSTIN Lounge.

(Fotos: Mario Lang, Alexander Fortunat) 

Flugzettel wurden verteilt, literarische Texte und Flugis mit dem Anliegen der Aktion wurden à la Helmut Seethaler zum Pflücken an die Wände geklebt, Slow-Forward-Mitglieder bewegten sich im Zeitlupentempo, waren untereinander verbunden mit immer länger werdenden Tixostreifen, auf die wiederum Zettel geheftet wurden. Mag sein, dass an diesem Montag osterferienbedingt weniger Leute als sonst die Unterführung frequentierten, jedenfalls blieb es außerordentlich ruhig, nur das Abrollen von Klebeband und Stimmengemurmel war hörbar. Weder Polizei noch Security, noch Personal der Wiener Linien ließ sich blicken. Die meisten Passant_innen passierten Kunst und Kunstaktion ohne merkbare Reaktion, einige wenige – wir sind schließlich in Wien – gaben ihrem Grant Ausdruck: «So was Unnötiges.» «Geht´s wos hackln!» oder «Die Papierln am Boden, eh kloa, ramt eh wer andara weg.»* Einige aber fragten, um was es gehe, und gar nicht so wenige lasen auf unserem Handzettel aufmerksam, worin unser Anliegen besteht: Die sogenannte Kunstpassage (entlang der, hinter Glas, ein ebenso unscheinbares wie hochsubventioniertes Kunstwerk Ernst Caramelles prangt) soll zur Kunst-Allmende umfunktioniert werden. Wo mit dem Umbau auch eine unerwünschte «Szene» vertrieben wurde, könnte auch ein Ort des Verweilens entstehen, indem in der Kunstpassage ein «Schaufenster» der freien Kunstszene geschaffen wird, wo wechselnde Ausstellungen zum Stehenbleiben einladen, nicht zum Vorbeigehen.

*Im Anschluss an die Kunstaktion machten deren Teilnehmer_innen auch eine Aufräumaktion.

Wie man Poetry Slams verliert

Die Besucher_innen der Anstalt für Dichtungen aller Richtungen (früher hat man das Ding einfach Schreibwerkstatt des Augustin genannt), sind diesmal – 10. April! – gebeten, eigene Texte mitzunehmen. Prosa oder Lyrik, das tut nichts zur Sache. Anstalts-gast Christian Schreibmüller, Wiener Subkultur-Zampano, Dichter und Wettlese-Veranstalter, gibt Tipps, worauf es ankommt beim Vortrag, beim öffentlichen Lesen von Literatur, um ihre Wirkung zu steigern. Er sagt auch, wie man es NICHT machen darf, außer die Autorin, der Autor peilt eine peinliche Schlappe beim Slammen an. Schreibmüller trägt auch – in einer Mixtur von Lesung und Happening – jenen eher nicht für Jugendliche zugelassenen Text vor, mit dem er kürzlich einen Poetry Slam gewonnen hat. Zum Auftakt werden Ausschnitte aus Peter Whiteheads Dokumentarfilm «Wholly Communion» gezeigt: In der Royal Albert Hall in London gab es am 11. Juni 1965 vor 7000 ausflippenden Zuseher_innen eine Lese-Show des damals in England völlig unbekannten Avantgarde-Dichters Ernst Jandl.

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