Armut in Österreich ist zu 70 Prozent weiblichtun & lassen

Männer haben / Frauen sind

Die Frauenbewegung der letzten drei Jahrzehnte hat das Verhältnis der Geschlechter und die Geschlechterrollen zum Tanzen gebracht. So sehr, dass die neue Schimpfwörtergeneration („Frauennamenannehmer“, „Frauenversteher“ etc.) nur noch in ironischem Zusammenhang leben kann. Doch ökonomisch hat sich an der unterprivilegierten Stellung des Geschlechts im Prinzip nichts geändert. Frauen verdienen auch für dieselbe Arbeit immer noch weniger als Männer.Armut läßt sich umschreiben als „Unterversorgung“ in bestimmten Bereichen und als „beträchtlich eingeschränkte materielle und soziale Teilhabechance“. Diese Definition schließt den Einkommensaspekt zur Analyse von Armut ein, geht aber darüber hinaus, indem Armut vor allem unzureichende Teilhabemöglichkeit in vielen Bereichen bedeutet. Armut ist in erster Linie ein Ergebnis kumulierter äußerer (Lebens)umstände, für die man zum Teil nicht selbstverantwortlich ist oder sein kann. Die Ursachen von Armut sind unterschiedlichster Herkunft.

Bei Frauen spielen in erster Linie die geringeren Einkommen eine große Rolle. So verdienen in Österreich Frauen durchschnittlich um ein Drittel weniger als Männer. Auch bei gleicher Qualifikation erhalten Frauen durchschnittlich weniger an Lohn als ihre männlichen Arbeitskollegen. Eine der Ursachen dafür liegt in einer zur Entgeltfestsetzung vorgenommenen Arbeitsbewertung, die sich aber in erster Linie an männlicher Arbeitsleistung orientiert. Die Tätigkeiten bzw. das Arbeitsumfeld innerhalb eines Betriebes oder einer Branche sollten unabhängig von der ausführenden Person bewertend verglichen werden. Anforderungen und Belastungen der Tätigkeiten gelten als Basis für die Höhe der Bezahlung.

Doch noch immer werden Arbeiten, die Frauen verrichten, als weniger belastend und daher auch als niedriger zu entlohnen eingestuft. So sind in manchen Arbeitsbewertungsverfahren Anforderungen, die hauptsächlich an weibliche Tätigkeiten gebunden sind (wie Konzentrationsanforderungen, enorme Geschicklichkeit, repetive und monotone Aufgaben etc.) von der Beurteilung und Bewertung überhaupt ausgeschlossen.

Eingeschränkter Zugang zum Arbeitsmarkt oder niedrige Einkommen sind u.a. auch Ergebnis eines geringen Ausbildungsniveaus. So haben in Österreich 24 % der Frauen im Alter von 30 40 Jahren und 19 % der 20- bis 30-jährigen Frauen keinen über die Hauptschule hinausgehenden schulischen oder ausbildungsmäßigen Abschluss.

Unzureichende Ausbildung bzw. mangelnde Qualifikationen reduzieren die Einstiegschancen am Arbeitsmarkt sehr deutlich. Durch diese Situation bietet sich für Frauen oft nur die Möglichkeit auf prekäre Arbeitsplätze. Durch diese schlecht bezahlten und arbeits- und sozialrechtlich meist mangelhaft geschützten Arbeitsplätze, ist trotz einer Erwerbstätigkeit die Armutsgefährdung sehr hoch. Dieser Zustand trotz Erwerbseinkommen arm oder armutsgefährdet zu sein – wird als „working poor“ bezeichnet. „Etwa 10% aller unselbständig Erwerbstätigen erzielen ein arbeitszeitstandardisiertes (auf 40 Wochenstunden umgerechnetes) monatliches Nettoeinkommen von höchstens ATS 10.000,- (14x jährlich). Frauen haben viel öfter so niedrige Einkommen. Von den Männern sind nur Hilfsarbeiter in der Land- und Forstwirtschaft verstärkt betroffen (jeder Vierte), bei den Frauen hingegen jede dritte Arbeiterin, jede vierte Angestellte mit Hilfstätigkeit und jede fünfte Angestellte mit gelernter Tätigkeit.“

Da die staatlichen Sozialtransferleistungen an die Erwerbseinkommen gebunden sind, beziehen Frauen auch durchschnittlich weniger z.B. an Arbeitslose, Notstandshilfe und Pensionen. So erhalten knapp die Hälfte der Bezieherinnen von Arbeitslosengeld und 60 % der Notstandshilfebezieherinnen einen Betrag unter ATS 7.000,-. (In diesen Werten sind jedoch auch vormals Teilzeitbeschäftigte inkludiert.) Österreichweit bekommen Frauen durchschnittlich um 28 % weniger an Arbeitslosengeld und 23 % weniger an Notstandshilfe als Männer.

Für viele Frauen wird auch die Altersvorsorge zu einem Problem, denn das Pensionssystem ist ebenfalls an vorausgegangene Erwerbsarbeit gebunden. Das bedeutet, dass die Altersvorsorge für Frauen sehr oft als nicht gesichert gilt, und für viele erst durch eine Partnerschaft/Heirat ermöglicht wird.

Der Ausschluss der Alleinerzieherinnen

Wenn es am Arbeitsmarkt zu Krisensituationen kommt, sind es wiederum Frauen, die zuerst davon betroffen sind. Es sind ihre Arbeitsplätze die zuerst abgebaut werden. Die weibliche Arbeitskraft wird dadurch wie schon so oft auf Tätigkeiten für Heim und Familie reduziert.

Das Wohlfahrtsmodell Österreich mit seiner (Be-)steuerungspolitik ist nach wie vor ausgerichtet, Frauen auf ihre traditionellen Rollen festzulegen und Männern die Aufgabe des Ernährers zu überlassen.

Doch viele Frauen entscheiden sich, Partnerschaften im „klassischen Stil“ abzulehnen und so manche Frauen leben überhaupt alleine mit oder ohne Kinder. Vor allem Alleinerzieherinnen sind mit der schwierigen Aufgabe konfrontiert, sich und ihr(e) Kind(er) über Wasser halten zu können. „Ein Drittel der KlientInnen der Caritas sind Alleinerzieherinnen, während diese Gruppe nur vier Prozent der Gesamtbevölkerung stellt.“

Unter diesen Frauen sind vor allem nur jene mit qualifizierter Ausbildung nicht von überdurchschnittlicher Armutsgefährdung betroffen. Sind schon für Mütter in Partnerschaften die Erwerbsmöglichkeiten erschwert, ist es für Alleinerzieherinnen doppelt so schwer, am Arbeitsmarkt unterzukommen. Hier liegt es oft weniger am Stellenangebot selbst, sondern auch an den Kinderbetreuungsmöglichkeiten. Sind keine Verwandten oder Freunde zu Hilfe, können alleinerziehende Mütter je nach Alter ihres(r) Kindes(r) oft nur Teilzeitverhältnisse eingehen. Da Teilzeit gleichbedeutend ist mit Teillohn (=geteilter Lohn), sind mit diesem Verdienst hauptsächlich nur die Kinderbetreuungskosten abgedeckt, und es bleibt wieder zu wenig zum Leben. Bei Einkommensausfällen z.B. aufgrund von Arbeitslosigkeit können Alleinerzieherinnen je nach Vorgeschichte in den meisten Fällen nicht auf die Hilfe ihrer Expartner zählen.

Weitere Ausschließungsmechanismen am gesicherten Arbeitsmarkt stellen Beschäftigungsunterbrechungen aufgrund familiärer Bedingungen dar, wie z. B. für Zeiten der Kindererziehung, Pflege v. Verwandten etc. Für Frauen bedeutet das in vielen Fällen die Aufgabe ihrer ursprünglichen Berufslaufbahn bzw. berufliche Rückkehr in Form von Teilzeitarbeitsverhältnissen. Teilzeitarbeit ist in den letzten Jahren sehr stark angestiegen. Männer sind nach wie vor relativ gering in diesen Arbeitsverhältnissen anzutreffen. Teilzeit bedeutet auch „geteiltes“ Einkommen, sprich weniger Gehalt aufgrund kürzerer Arbeitszeiten. Existenzsicherndes Einkommen und soziale Absicherung sind durch diese Beschäftigungsverhältnisse (dazu zählt auch geringfügige Beschäftigung) zum Teil gar nicht gegeben.

Scheidung & Schulden eine klassische Paarung

Eine weitere Gruppe von Frauen, die stark armutsgefährdet sind, sind Frauen nach Scheidungen. Sie werden oft als Bürgen für noch laufende Kredite, die während der Ehe abgeschlossen worden sind, herangezogen. Bei einem Großteil der Frauen reicht das Einkommen bzw. die finanzielle Lage nicht aus, ihren Teil des Kredits zurückzuzahlen. Das Einfordern von Bürgschaften bzw. Mithaftungen treffen drei mal soviele Frauen wie Männer. Laut einer Studie der ARGE Schuldnerberatungen im Auftrag des Bundeskanzleramtes, Abteilung für Frauenangelegenheiten beherbergen kreditverschuldete Ehen ein größeres Potential für familiäre Konflikte, und stellen damit ein erhöhtes Risiko dar in Zahlungsschwierigkeiten zu geraten. Scheidungen bringen zusätzlich auch Anwaltskosten oder Gerichtskosten. Die neue Haushaltsgründung ist in vielen Fällen oft nur mit Hilfe eines Kredits möglich. Frauen, die sich nach einer Scheidung oder Trennung ohne Hilfe von außen über Wasser halten bzw. ausreichend selbst erhalten können, bilden eine Ausnahme.

Das Durchschnittsalter der verschuldeten bzw. überschuldeten Frauen liegt zwischen 31 und 40 Jahren. Beinahe jede dritte Klientin der ARGE Schuldenberatung ist Alleinerzieherin und 35 % der weiblichen Klientel haben eine Scheidung hinter sich.

DSA Alexander Maly, Begründer und Mitarbeiter der Schuldenberatung Wien, weist jedoch darauf hin, Zahlen und Prozentwerte vorsichtig zu betrachten: „Ein Problem sind die Zahlen, die (auch von Schuldenberatungen) veröffentlicht werden. Kommt es nämlich zu Problemen im Zusammenhang mit Schulden, dann kann in der Regel nicht mehr gesagt werden, wer (ob Frau oder Mann) sie letztendlich verursacht hat. Warum? Weil in rund 90%(!) der Fälle Umschuldungen stattgefunden haben. Zum Beispiel: Mann hat Kredit und kann nicht zahlen. Die Bank drängt auf eine Lösung und bietet eine Umschuldung an, möchte aber jetzt die Unterschrift der Frau dazu haben. Und damit das nicht so grauslich aussieht, „übernimmt“ die Bank z.B. den Kontoüberzug der Frau mit in diesen neuen Umschuldungskredit. Und schon kann die Bank sagen: Hier gehts um gemeinsame Schulden… Ich glaube also, dass die Problematik Wer verschuldet sich für wen noch wesentlich ungünstiger für die Frauen ausfällt, als uns die Statistik zeigt. Das wäre eigentlich eine eigene Tiefenuntersuchung wert.“

Die höchsten Schuldenberge verzeichnen ehemals Selbständige aufgrund gescheiterter Gewerbebetriebe und großteils Frauen, die sich über Kredite Wohnraum beschaffen müssen.


Literatur:

Zur wirtschaftlichen Situation überschuldeter Frauen…Eine Untersuchung im Auftrag des BKA, Abt. für Frauenangelegenheiten. Linz, 1999

Einbinden statt Ausgrenzen. Neue Strategien gegen die Armut. Bericht einer ExpertInnenarbeitsgruppe. Wien, Mai 1999

Gertrud Diestler/Evelin Moser: Arbeitsbewertung und Frauenlohndiskriminierung. In: Wiener Frauenbericht. S. 269ff. Wien 1995


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