Menschenrechtsexperte Manfred Nowak
Im Wahlkampf wurde die Europäische Menschenrechtskonvention von der FPÖ in Frage gestellt. Ein Tabubruch. Experte Manfred Nowak sprach mit Clemens Staudinger über Menschenrechte global.
Fotos: Lisbeth Kovačič
Angelobung der Bundesregierung: VdB erinnert Bundeskanzler Kurz und Vize Strache an die Einhaltung der Menschenrechtskonvention. Was ist los in
der Republik?
Im Jahr 2000 war noch viel mehr Aufregung als heute. Wir haben uns in Europa und Österreich daran gewöhnt, dass Parteien, die früher als nicht regierungsfähig galten, ins Amt kommen. Wenn man nun sieht, dass in Österreich künftig das Verteidigungsministerium und das Innenministerium – dort wo die Machtzentren, die Geheimdienste angesiedelt sind – in Händen einer Partei sind, und wenn man sieht, wie Überwachungsmaßnahmen ausgebaut werden, dann kann ich Bundespräsident Van der Bellen gut verstehen, wenn er verschiedene Grundwerte einmahnt. Etwa den Verbleib Österreichs in der EU – die FPÖ hat sich ja noch vor kurzem positiv zu einem Öxit geäußert. Die Europäische Union ist eine Wertegemeinschaft, in der die Menschenrechte Bedingung und Basis sind. Gleichzeitig sehen wir in Nachbarstaaten wie Ungarn, dass es Verstöße gegen Demokratie und Menschenrechte gibt. Ich würde mir wünschen, dass Österreich Teil eines neuen sozialen Europas wird, anstatt in die Ecke der Visegrádstaaten abzudriften.
Wenn am Globus Länder, in denen die Menschenrechte in Gefahr sind, weiß, und Länder in denen Menschenrechte beachtet werden, golden markiert werden, wie sieht der Planet aus?
Es gibt Plätze, die positiv markiert werden können. Aber man darf nicht von der naiven Vorstellung ausgehen, dass es Staaten gibt, wo keine Rechte verletzt werden. Es geht um das Ausmaß, also wie weit sich ein Staat trotz Verletzungen zu den Menschenrechten bekennt. Die goldenen Flecken finden wir vor allem in Nordeuropa. Dazu kommen auch Kanada, Neuseeland. Auf der anderen Seite stechen Nordkorea, Eritrea und andere afrikanische und asiatische Staaten hervor. Dazu gehört auch die arabische Welt, insbesondere Syrien und Irak. Europa und Südamerika sind jene Regionen, wo die Menschenrechte am weitesten verwirklicht werden.
Ist die Menschenrechtskonvention in ökonomisch höher entwickelten Staaten besser aufgehoben?
Armut ist die schwerste MR-Verletzung überhaupt! Es gibt aber Staaten, die ökonomisch hoch entwickelt und menschenrechtlich eine Katastrophe sind. Beispiel: Saudi-Arabien. Ebenso sind die USA hoch entwickelt und, was die MR angeht, zunehmend ein Problem. Auch China ist trotz einer enormen Aufholjagd im ökonomischen Bereich menschenrechtlich schlecht aufgestellt.
Sowohl die Europäische MR-Konvention als auch die Charta der Vereinten Nationen sind Verabredungen zwischen einzelnen Staaten. Nun hören wir vonseiten der FPÖ, dass die Europäische MR-Konvention infrage gestellt wird …
Der Europarat wurde 1949 in Reaktion auf Nationalsozialismus und Kommunismus als Gemeinschaft demokratischer Rechtsstaaten in Europa, ursprünglich nur Westeuropa, gegründet. 1950 wurde die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) als wichtigster Menschenrechtsvertrag in Europa verabschiedet. Über Verletzungen der EMRK entscheidet der ständige Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg, dessen Urteile für alle Vertragsstaaten bindend sind und in der Regel auch eingehalten werden. Österreich hat die EMRK 1958 ratifiziert, im Verfassungsrang, wodurch auch der Verfassungsgerichtshof über ihre Einhaltung wacht. Nach dem Ende des Kalten Kriegs sind zunehmend auch die früheren kommunistischen Staaten Mittel- und Osteuropas dem Europarat beigetreten, sodass diese Werte-Gemeinschaft heute alle europäischen Staaten einschließlich Russland und Türkei mit Ausnahme von Weißrussland und dem Vatikan umfasst. Damals hat der Europarat die Ratifikation der EMRK zur Bedingung für eine Mitgliedschaft gemacht. Würde Österreich aus der EMRK austreten wollen, dann müsste es auch den Europarat verlassen. Da die Mitgliedschaft im Europarat aber auch Voraussetzung für einen Beitritt zur EU ist, würde das auch das Ende unserer EU-Mitgliedschaft bedeuten, was mit dem Regierungsprogramm unvereinbar wäre.
In den österreichischen Boulevardzeitungen fällt auf, dass MR-Aktivist_innen vornehmlich in negativen Bildern dargestellt werden.
Bei uns hat sich leider seit den 90er und 2000er Jahren ein Narrativ entwickelt, das viel mit Xenophobie zu tun hat. Die MR sagen, alle MR für alle Menschen. Das heißt, wir unterscheiden in der MR-Konvention nicht zwischen Staatsbürgern und Ausländern. Natürlich gibt es Rechte, die Staatsbürgern vorbehalten sind, beispielsweise das Wahlrecht. Für jene, die sagen, es geht uns nur um unsere Heimat, werden die MR zunehmend zu einer Bedrohung, zu einem Angstfaktor. Für Leute, die ständig Angst haben, sind Menschen mit einem weiten Horizont, die Fragen stellen, wie man mit Immigration umgeht, die fragen, ob Europa Afrika nicht lange Zeit ausgebeutet hat und deshalb die Menschen dort arm sind, eine Bedrohung. Diese Menschen verunglimpft man dann, das sind dann die «Gutmenschen». Das machen einzelne Parteien, und in einem Land, wo der Boulevard eine so große Rolle spielt, ist dies für die Menschenrechtskultur fatal.
Was bedeutet präventive Menschenrechtskontrolle? Wie funktioniert das OPCAT-Abkommen? 1)
OPCAT ist eine sehr schöne Idee, weil es immer besser ist, Mechanismen zu schaffen, die dazu angelegt sind, Menschenrechtsverletzungen zu verhindern, als im Nachhinein, wenn man bereits gefoltert wurde oder nicht rechtmäßig festgenommen wurde, nach langwierigen Prozessen Recht zu bekommen. OPCAT ist eine Struktur, die verhindern soll, dass Menschenrechtsverletzungen passieren. So ist es bei bewaffneten Auseinandersetzungen sehr wichtig, dass das Rote Kreuz Kriegsgefangenenlager besuchen kann. Wenn bekannt ist, dass so ein Lager jederzeit von Rotkreuz-Funktionären besucht werden kann, dann wirkt dies präventiv. Wenn dies im Krieg funktioniert, dann sollte dies im Frieden auch gelingen. Ich war Leiter einer Besuchskommission der Österreichischen Volksanwaltschaft. Die Idee ist eine ganz simple: Überall wo Menschen ihrer Freiheit verlustig gehen, das kann in der Polizeihaft, in Gefängnissen, in der Psychiatrie, in Kinder- oder Altenheimen sein, dort ist die Gefahr der Misshandlung am größten. Wenn ein nationaler Präventionsmechanismus besteht, belebt von unabhängigen Expert_innen und wenn diese Expert_innenen jederzeit beispielsweise Polizeistationen und Gefängnisse oder geschlossene Abteilungen in psychiatrischen Krankenhäusern besuchen können, und wenn bekannt ist, dass diese Besuche jederzeit stattfinden können, dann wirkt dies ebenso präventiv wie bei den vorher genannten Kriegsgefangenenlagern.
1) OPCAT: Optional Protocol to the Convention against Torture and other Cruel, Inhuman or Degrading Treatment or Punishment. Deutsch: Fakultativprotokoll zum Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe. In Kraft getreten im Jahr 2006 stellt es eine Ergänzung zum Anti-Folter-Übereinkommen der Vereinten Nationen dar.