Armut macht fremdtun & lassen

eingSCHENKt

Ablehnung und «Ausländerfeindlichkeit» sind in einem überwiegenden Ausmaß Machtspiele um die Rangordnung in der Gesellschaft. Zum «Ausländer» wird, wer auf sozialer Distanz gehalten werden soll. Dauerhafte Armut anderer wird im selben Maße wie sozialer Aufstieg von der jeweils bessergestellten Gruppe als Bedrohung interpretiert. Integration ist immer auch eine Frage sozialer Rangordnung. Je weniger sozialer Aufstieg, desto befremdender. Für alle. Das ist eine alte Einsicht, die gut belegt ist, erstaunlicherweise aber bisher öffentlich nicht Gegenstand der Debatte werden durfte.Fremdheit ist ja nicht eine Eigenart des anderen. Sie entsteht vielmehr dadurch, dass das Andere als Fremdes wahrgenommen und anerkannt wird. Wer als «Ausländer» definiert wird, ändert sich ständig. Vor hundert Jahren waren die Migrant_innen aus Tschechien «die Ausländer». Besonders beklagte man sich über ihre mangelnde Anpassung, ihre Rückständigkeit, die «dreckigen« Wohnverhältnisse und ihre Herkunft aus der Landwirtschaft («Bauerntölpel»). Die Deutschnationalen meinten, die «Vertschechung der Stadt» käme «einem Kulturrückschritt gleich», und außerdem würde der Fremdenverkehr abgeschwächt, «wenn die Straßen Wiens durch tschechischen Pöbel unsicher gemacht werden».

Die Ablehnung steigt nicht mit der Zahl der «Ausländer», sondern mit der Zahl der einkommensschwachen «Ausländer»-Haushalte. Hier ist das Merkmal zur Unterscheidung der Menschen in gute und schlechte: das Geld. Wer es hat, der ist kein Fremder, wem es abgeht, der wird zum Fremden. Wer auf Dauer «unten» bleibt, ist fremder als jemand aus derselben Herkunftskultur mit gehobenerem Lebensstil. So verstärkt sich Be-Fremdung: Der Sozialwissenschaftler August Gächter hat das auf die Formel «Ausschließung macht arm, Armut macht fremd, Fremdheit macht Angst» gebracht.

Das bestätigen auch sozialpsychologische Erkenntnisse. Wenn Sie in einer Gesellschaft aufwachsen, in der nur wenige Mitglieder einer Minderheit sowie nur wenige Frauen einen gehobenen Beruf ausüben, die Mitglieder dieser Gruppe also mehrheitlich niedrige Tätigkeiten verrichten, werden Sie, einfach weil Sie in dieser Gesellschaft leben, eher bestimmte (negative) Ansichten über die Fähigkeiten von Minderheiten und Frauen entwickeln.

Teilnehmer_innen eines Experiments an der Stanford Universität in den USA wurden gebeten, die ethnische Herkunft von Gesichtern zu bestimmen, die sie auf Computerbildern zu sehen bekamen. Personen, die Anzug und Krawatte trugen, der Geschäftswelt zuzuordnen waren, wurden eher als «weiß» eingestuft; Gesichter mit Kleidung aus der Welt der Portiere und Hausangestellten eher als «schwarz». Es waren aber dieselben Gesichter. Einzig ihr sozialer Status und ihre berufliche Position ließ die einen «schwärzer» bzw. «weißer» als die anderen erscheinen.