Eing'Schenkt (22. November 2023)
Ich esse schon seit Längerem nur ein Mal am Tag, habe Kontakte eigentlich völlig abgebrochen und sitze daheim, weil das einfach das Kostengünstigste ist. Das ist aber jetzt nicht unmittelbar eine Folge der Inflation im letzten Dreivierteljahr, sondern ich hatte vorher schon kein Geld und habe dementsprechend vorher schon Maßnahmen setzen müssen.» Das sagt ein Mann, der unter der Armutsgrenze lebt. Eine Studie der Armutskonferenz hat jetzt seine Stimme und die Stimmen vieler anderer hörbar gemacht. Berücksichtigt wurden Menschen, die unter der Armutsgrenze leben, und Personen, die knapp darüber in der «unteren Mittelschicht» zu verorten sind.
«Die untere Mitte hat mehr zu verlieren und spürt das aktuell auch», berichtet Studienautorin Evelyn Dawid von den Ergebnissen der qualitativen Erhebung. Die finanziellen Einbußen durch die höheren Preise, der Verlust an Lebensqualität sowie das Wegbrechen von Zukunftsplänen und -träumen lassen das Gefühl von Ohnmacht entstehen. Sie sind in ihrer Empörung über die Teuerung, die ihre Situation so verschlechtert hat, lauter als die Armutsbetroffenen, die wiederum laut werden, wenn es um die Faktoren geht, die sie einst – das heißt schon vor Einsetzen der Teuerung – in Armut gebracht haben. «Die Strategien der beiden befragten Gruppen unterscheiden sich insofern, als die Armutsbetroffenen die Schritte nach unten, die die Mittelschicht jetzt gerade machen muss, häufig schon in dem Augenblick hinter sich gebracht haben, als sie in Armut geraten sind», analysiert Dawid. So erzählen auch Armutsbetroffene, dass sie früher biologische Lebensmittel gekauft haben, allerdings bezieht sich dieses «früher» nicht auf die Zeit vor der Teuerung, sondern vor den Ereignissen, die sie in Armut geführt haben: z. B. eine Erkrankung, die Pensionierung nach einem Erwerbsleben als Ein-Personen-Unternehmer:in oder die Geburt eines behinderten Kindes.
Die Ziele müssen sein: Armut verringern, Teuerung ausgleichen, Preise dämpfen
Strategien, der Entwertung des Einkommens zu begegnen, waren mehr zu arbeiten, Ersparnisse aufbrauchen, Schulden zu machen, auf die Hilfe von Familie, Freundeskreis und Nachbarschaft zu bauen, die Nothilfen von diversen Einrichtungen zu nutzen oder alternative Geldquellen zu erschließen. So haben zwei Pensionistinnen – eine armutsbetroffen, die andere aus der unteren Mittelschicht – eine geringfügige Beschäftigung angenommen, eine Alleinerzieherin hat zu ihrer Vollzeitarbeit einen Zusatzjob fürs Wochenende. Für einen Armutsbetroffenen geht nicht mehr viel: «Ich habe mich halt wirklich reduziert. Viel weiter geht’s nicht. Das nächste ist dann Plasma spenden, dass halt auch von der Seiten ein bisschen was reinkommt. Oder halt Medikamentenstudien.»
Wenn wir die Inflation abgelten, dann ist alles wieder ok, meinen manche. Das stimmt dort, wo vorher alles ok war. Dort aber, wo schon seit jeher massive Lücken und Fehlentwicklungen aufgetreten sind, kommt die Teuerung jetzt dazu. Die Krise offenbart die Lücken und Fehlentwicklungen von vorher umso schmerzlicher – auch für diejenigen, die jetzt neu betroffen sind: Mangel an leistbarem Wohnen, funktionierender Sozialhilfe, verfügbaren Therapieplätzen oder guten Schulen für jede:n.
Ärmeren wirklich zu helfen, heißt also, die Teuerung auszugleichen und die Probleme von vorher zu lösen. Die Ziele müssen sein: Armut verringern, Teuerung ausgleichen, Preise dämpfen. Und was die Studie zeigt: Auf die untere Mittelschicht sollte dabei im Sinne der Armutsvermeidung besonderes Augenmerk gelegt werden.