Arzt bestätigt Augustin-Kritiktun & lassen

Zu den vier Klassen unseres Gesundheitssystems

Auf großes Leser_inneninteresse ist der Artikel über die österreichische Klassenmedizin in der Ausgabe Nr. 418 («Bitte kommen Sie in meine Praxis» – Per Zuzahlung zum schnellen Operationstermin) gestoßen. Viele Mediziner_innen profitieren davon, vielen aber ist nach Widerstand zumute. «Leider» könne er «keinen Satz» an den Wahrnehmungen unserer Autorin Anna Herr bezweifeln, mailte uns der Wirbelsäulenspezialist Univ.-Doz Dr. Werner Lack. Er habe noch niemals so viele frustrierte Ärzt_innen an Wiens Gemeindespitälern erlebt wie heute.

Illu: Karl Berger

Erlauben Sie mir bitte als Insider, einige Fakten zu Ihrem Artikel beizusteuern: Es gibt tatsächlich eine Vierklassenmedizin; fangen wir von den Ärmsten an. Nichtversicherte Österreicher sind ja Gott sei Dank sehr selten, aber natürlich kommen jetzt Flüchtlinge ohne offiziellen Status dazu. Es ist aber so, dass gerade ein Krankenhaus, das zu Spenden aufruft, bekannt dafür ist, dass es auch die Behandlung Nichtversicherter übernimmt! Sie sehen, jedes Ding hat zwei Seiten, und irgendwoher muss die Finanzierung für einen geistlichen Spitalserhalter ja herkommen!

Wir kommen zur Klasse drei, den Allgemeinversicherten. Ja, Sie haben absolut Recht, einen baldigen OP-Termin in manchen Fächern (Augen, Neurochirurgie, Orthopädie …) zu bekommen ist schwierig. Dabei haben Sie es ja mit einem Bandscheibenvorfall noch relativ gut, da alle neurochirurgischen und viele orthopädische Abteilungen diesen operieren und für den Spitalserhalter keine zusätzlichen Implantatkosten wie bei Versteifungsoperationen der Wirbelsäule auftreten. Vor allem größere Eingriffe wie Aufrichtungsoperationen, aber auch spezielle Eingriffe an den Kreuzdarmbeingelenken werden nur in ganz wenigen öffentlichen Spitälern durchgeführt. Ich selbst bin Wahlarzt mit operativer Tätigkeit in einem Privatspital und leide unter anderem darunter, dass solche Patient_innen an öffentliche Krankenhäuser manchmal einfach nicht vermittelt werden können, weil die betreffenden Operationen dort nicht durchgeführt werden. Eine OP im Privatspital wäre auch bei Honorarverzicht nicht möglich, weil die Implantatkosten oft mehrere Tausend Euro betragen! Es gibt aber auch Wahlärzt_innen, die fallweise infolge guter Kontakte Patient_innen in manchen öffentlichen Spitälern ohne Honorar (mit-)operieren. Ja, auch das gibt es, allerdings können sich die dann nur einen Suzuki und keinen Lamborghini leisten!

Natürlich ist es reine Korruption und streng zu verurteilen, wenn Ärzte in ihrer Ordination Geld nicht nur für ihre diagnostische und beratende Leistung, sondern auch dafür kassieren, dass sie ihre Patient_innen vorreihen oder damit sie diese persönlich operieren («Sie können sich ja auch von einem Lehrling operieren lassen!»). Diese «Einkommen» rentieren sich doppelt, weil sie natürlich an Steuer und Ärztekammerabgaben (zusammen ca. 65 %!) vorbeigeschleust werden (müssen!)

Aber wie so oft stinkt der Fisch von oben: Eine bessere Kontrolle wäre vom Spitalserhalter oder von politischer Seite durchaus möglich! Trotzdem sollte man die gleichzeitige Tätigkeit von Ärzt_innen in Ordinationen und an einem öffentlichen Krankenhaus nicht verteufeln; Dafür sprechen die ständige Betreuung der Patient_innen durch den gleichen Arzt, die gleiche Ärztin, der/die auch die Operationsanzeige stellt, die Nachbehandlung durch den gleichen Arzt, die gleiche Ärztin, der auch weiß, was bei der OP erfolgte; dem gegenüber steht eine unpersönliche, weil durch ständig wechselnde Ärzt_innen an überfüllten Ambulanzen stattfindende Betreuung. Man kann nicht ein Prinzip verurteilen, weil einige Missbrauch betreiben!

Wir kommen zur nächsten Klasse, den Patient_innen mit Privatversicherung. Diese geben einen relativ hohen Betrag dafür aus, dass sie sich Arzt/Ärztin ihres Vertrauens selbst auswählen und auch einen möglichst wunschgemäßen OP-Termin bekommen. Die sozialdemokratischgrüne Stadtregierung Wiens hat dafür das Gesetz der Gleichstellung mit Allgemeinversicherten bezüglich der Wartezeiten erlassen; löblich einerseits bezüglich der Gleichstellung, wirtschaftlich aber für die Gemeinde Wien ein voller Schuss ins eigene Knie, einerseits wegen des Entgangs der Sonderklassengebühren für die Gemeinde und dadurch Erhöhung des Spitalsdefizits, andererseits wegen des fehlenden Zusatzeinkommens der Spitalsärzt_innen durch die Honorare, die ja aufgeteilt werden und nicht nur dem Primar oder den Oberärzt_innen zukommen; dies wäre ein Anreiz gut ausgebildeter Kolleg_innen, trotz der im Vergleich zum westlichen Ausland beschämend niedrigen Gehälter hochqualifizierter Mediziner_innen.

Was tun also die Privatversicherten, die ja ihre hohen Prämien nicht dafür zahlen wollen, dass sie eine Gratiszeitung um 1 bis 2 Euro und einen zusätzlichen Pudding beim Nachtmahl bekommen? Sie wandern logischerweise in die reinen Privatspitäler ab. Und da Österreich verfassungsmäßig ein Land des (sowieso massiv eingeschränkten) freien Unternehmertums ist, kann niemand den Bau von Privatkrankenhäusern sowie den Abschluss von Zusatzversicherungen verbieten!

… und schließlich die Plüschpatient_innen

Abschließend folgt die Beleuchtung der «ersten Klasse», der sogenannten «Plüschpatient_innen», wie sie im ärztlichen Jargon heißen. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Glauben Sie, dass ein österreichischer Landeshauptmann, aber auch ein Vizebürgermeister einer Stadt, in der es ein Krankenhaus gibt, auch ohne Sonderklasse brav in der Ambulanz wartet, aufgerufen und auf eine Warteliste gesetzt zu werden? Nein, da wird natürlich der rote Teppich ausgerollt usw usf. Ich selbst habe einen einzigen wirklich Prominenten erlebt, der dies getan hat, das war der vielgelästerte ehemalige Bundespräsident Kurt Waldheim (verstehen sie mich bitte richtig, ich akzeptiere trotzdem seinen Ausspruch zum Weltkrieg: «Ich habe nur meine Pflicht getan!» nicht!)

Dabei glauben die meisten Betroffenen, sie hätten eine Vorrangbehandlung auch verdient, schließlich haben sie das Spital erbaut! Nein, sie haben es nicht erbaut, sie haben aus populistischen Gründen entgegen jeder wirtschaftlichen Vernunft alle 15 km ein Krankenhaus aus Steuergeldern hinstellen lassen (vielleicht erraten Sie, um welches Bundesland hier es vor allem geht!).

Das war jetzt leider ein sehr langer Brief, aber es ist einfach unmöglich, Vor- und Nachteile sowie Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit unseres Gesundheitssystems aus Sicht eines langjährig tätigen Arztes darzustellen. Klar ist, dass es in Österreich natürlich ein Mehrklassen-Gesundheitssystem gibt und dass Österreich ein eindeutig reformierbares System hat, das weit entfernt von dem immer wieder beschworenen «besten Gesundheitssystem der Welt» ist. Des Weiteren ist aber auch klar, dass diejenigen, die am ehesten etwas zur Verbesserung beitragen könnten, nämlich Spitalserhalter_innen und Politik untätig bleiben.

Ich habe jahrzehntelang an öffentlichen Spitälern Wiens gearbeitet. Ich habe noch niemals eine solche Frustration unter Kolleg_innen an Wiens Gemeindespitälern erlebt wie heute, und das sicherlich nicht aus Geldgier. Dafür spricht auch die Bereitschaft von 93 % (!!!) von Wiens Gemeindeärzt_innen zu Protestaktionen! Eine funktionierende gesundheitliche Versorgung sieht anders aus und erfordert einfach auch zufriedene Mitarbeiter_innen!

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